»Wir wollen die deutsche Avantgarde widerspiegeln«

Designer Emmanuel Dietrich über das Comeback der Uhrenmarke LÖBNER

Detail einer LÖBNER Uhr Modell Sledge Green, Uhrendesign, Chapter The Design Journal, Uhrendesign

Mit der Reaktivierung der 1862 gegründeten Uhrenmarke LÖBNER wird ein Stück deutscher Industriegeschichte wieder zugänglich gemacht – nicht als museale Reinszenierung, sondern als Versuch, eine gestalterisch eigenständige, gegenwartsorientierte Perspektive auf innovative Uhrmacherkunst »made in Germany« zu formulieren.

Gegründet von Franz Ludwig Löbner im Berlin des 19. Jahrhunderts, war LÖBNER über Jahrzehnte hinweg Synonym für Präzision im Grenzbereich des Messbaren. Als einer der Pioniere der mobilen Zeitmessung entwickelte das Unternehmen bereits in den 1880er-Jahren mechanische Systeme zur Erfassung von Hundertstel- und Tausendstelsekunden – darunter der sogenannte Tertienzähler  sowie Chronoskope mit korrespondierenden Auslöseapparaten.

Die 1000tel Sekunden Stoppuhr von Löbner, historische Uhr

Die 1000tel-Sekunden-Stoppuhr von LÖBNER war mit drei Metern Durchmesser in mehrerer Hinsicht eindrucksvoll.

 

Innovationen, die weltweit exportiert und auf Pferderennbahnen, in Leichtathletikstadien und bei Olympischen Spielen eingesetzt wurden. Auch im frühen Motorsport dokumentierten LÖBNER Zeitschreiber internationale Wettbewerbe und Weltrekorde. Trotz dieser Pionierleistungen geriet die Marke Mitte des 20. Jahrhundert in Turbulenzen und verschwand schließlich vom Markt, bis sich im Jahr 2023 der umtriebige Münchner Unternehmer Matthias Düwel – zusammen mit mehreren Partnern – ihrer annahm.

 

Der Tertzienzaehler von LÖBNER, historische Aufnahme der Stoppuhr, Uhrendesign

 

Der Tertienzaehler von LÖBNER, eine hochpräzise Stoppuhr, die Zeiten bis auf die 100tel-Sekunde genau messen konnte.

 

Das heutige LÖBNER versteht sich jedoch ausdrücklich nicht als historisierende Wiederauflage. Zwar knüpft der Gestaltungsansatz an funktionale Charakteristika früher Modelle an – beispielsweise die dezentrierte Anzeige der Zeit und die Betonung der Kurzzeitmessung – verzichtet aber bewusst auf nostalgische Zitate oder formale Repliken. Federführend in jener Positionierung ist dabei die gestalterische Handschrift von Emmanuel Dietrich. Der renommierte Produktdesigner, der zuvor bereits für Unternehmen wie Hermès oder die Swatch-Group Uhren gestaltete, sowie 2010 seine eigene Uhrenmarke DIETRICH lancierte, hat gleich mit den ersten nach dem Neustart präsentierten LÖBNER-Modellen verdeutlicht, dass für ihn trotz großer Markenhistorie gestalterische Eigenständigkeit oberste Priorität hat.

Detailaufnahme des Ziffernblatts der LÖBNER Uhr Modell Steelracer black, Uhrendesign

 

Das LÖBNER Modell Steelracer ist eine Hommage an den technologischen Pioniergeist im Automobilrennsport des frühen 20. Jahrhunderts.

 

Die aktuelle Produktfamilie umfasst den Chronographen Steelracer, der von berühmten Rennfahrzeugen der 20er und 30er Jahre inspiriert ist und mit einer dezentraler Zeitanzeige eine äußerst markante Ästhetik aufweist, sowie die Dreizeigeruhr Sledge  mit patentiertem Kronenschutz-Schieberegler als besonders hervorzuhebendes Highlight. Alle Modelle sind dabei im Sinne eines industriell geprägten Gestaltungsbegriffs entstanden – denn, wie Dietrich betont, gehe es nicht um eine dekorative Neuinszenierung der Marke, sondern um die Fortführung funktionaler Prinzipien in einer klaren, zeitgenössischen Formensprache.
Ebenso erläutert Emmanuel Dietrich im Gespräch mit Chapter, wie er die historischen Parameter der Marke in zeitgenössisches Uhrendesign übersetzt, warum mechanische Präzision auch im heutigen digitalen Zeitalter noch solch eine Faszination ausübt und welche Gestaltungsprinzipien seiner Ansicht nach das Fundament darstellen, um zeitloses Design zu kreieren.

 

Detailaufnahme Rückseite einer LÖBNER Uhr Modell Steelracer black, Uhrendesign, Chapter The Design Journal, Uhrendesign

 

Das aufwendig finissierte Säulenrad-Chronographen-Kaliber L6223 der LÖBNER Steelracer verfügt über 60 Stunden Gangreserve.

 

Chapter  Was war der entscheidende Impuls, eine fast vergessene Marke wie LÖBNER wiederzubeleben? War es eine strategische Investition des Initiators Matthias Düwel oder vielmehr eine persönliche Faszination für historische Marken und/oder eine Begeisterung für Uhrmacherkunst?

Emmanuel Dietrich  Also Matthias Düwel interessiert sich leidenschaftlich für die Geschichte des deutschen Luxus und stellte fest, dass fast alle Marken mit dem Zweiten Weltkrieg verschwunden waren. Daraufhin begann er, diese Marken zu recherchieren und zu sammeln – mit der Idee, eine Gruppe zu gründen, die sie wiederbeleben sollte. So wurde LÖBNER Teil der Jandorf-Gruppe und eine der ersten Marken, die wiederbelebt wurden. Eine andere Marke der Gruppe, die sehr erfolgreich ist, ist Josephinenhütte. Wir haben auch eine zweite Uhrenmarke aus Glashütte in der Entwicklung, nehmen uns aber Zeit und planen langfristig.

Chapter  Die Luxusuhrenbranche ist eine von Tradition geprägte Welt, in der Marken mit jahrhundertelanger Historie dominieren. Wie positioniert sich LÖBNER in diesem Umfeld – als Hommage an die Vergangenheit oder als moderne Interpretation klassischer Uhrmacherkunst?

Emmanuel Dietrich Wir wollen ganz klar die deutsche Avantgarde widerspiegeln, indem wir die erste deutsche Uhrenmarke sind, die sich auf Stahlsportuhren spezialisiert hat. Dies spiegelt die Modernität des Ansatzes wider, die LÖBNER schon immer angetrieben hat: Kurzzeitmessungen, Super-Hightech-Lösungen der Zeit, eine wirklich faszinierende Geschichte des deutschen Erfindungsreichtums und der Technik. Damit ehren wir unsere Vergangenheit, sind aber gleichzeitig verpflichtet, den innovativen Geist unserer Gründer fortzuführen.

Detailaufnahme der Luxusuhr LÖBNER speed arrow limited edition von LÖBNer, UHrendesign

 

Die Speed Arrow Limited Edition ist ein perlgestrahlter Edelstahl-Chronograph mit Zifferblatt in Silberpfeil-Grau, eine Hommage an die ikonischen Silberpfeile der 1920er- und 30er-Jahre.

 

Chapter  Welche gestalterischen Prinzipien haben Sie bei der aktuellen LÖBNER-Kollektion definiert? Gab es zum Beispiel historische Designdetails, die für Sie beim Relaunch unverzichtbar waren, um – wenn auch vielleicht in moderner Interpretation – die historische Authentizität der Marke zu wahren?

Emmanuel Dietrich Ja, das Design des Chronographen-Zifferblatts basiert eindeutig auf der exzentrischen Verteilung der Zähler, die bereits beim Tertienzähler verwendet wurde. Der Tertienzähler war der größte Erfolg der Marke LÖBNER, konnte bereits 1881 die Hundertstelsekunde messen und wurde in die ganze Welt exportiert. Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist der Kronenschutz, der – nach oben geschoben – als Tastensperre für die Start-Stopp-Funktion dient, während die Uhr eingestellt wird. Dadurch wird nicht nur die Krone, sondern auch das Uhrwerk geschützt. Dies ist eine patentierte Innovation und zeugt von unserem hohen Anspruch. Auch beim Chronographen wurde die optische Priorität klar auf die Kurzzeitmessung gelegt, indem die Zeitanzeige bei zehn Uhr in den Hintergrund gestellt wurde. Es handelt sich also um einen »Chronographen, der auch die Zeit anzeigt«, und nicht um eine »Uhr, die auch ein Chronograph ist«. Wenn der zentrale Sekundenzeiger des Chronographen über das Zifferblatt gleitet, steht er majestätisch allein da. Dies sind alles Details, die in der Summe ein komplettes und zufriedenstellendes Erlebnis ergeben.

Chapter  In vielen Design-Disziplinen spricht man im Zusammenhang mit gutem Design gerne von „Zeitlosigkeit“ – ein Begriff, der auch in der Haute Horlogerie von großer Bedeutung ist. Was bedeutet Zeitlosigkeit für Sie im Produktdesign sowie speziell im Uhrendesign – und wie spiegelt sich dieses Prinzip in den aktuellen Modellen von LÖBNER wider?

Emmanuel Dietrich Ich glaube, Zeitlosigkeit ist die Belohnung der Zeit für gutes Design. Nur Designs, die ihre Zeit widerspiegeln und perfekt konsequent sind, werden irgendwann zeitlos. Also haben wir versucht, sehr eigen zu sein, und lassen die Zeit bestimmen, ob wir zeitlos sind oder nicht. Das ewige Haute-Horlogerie-Briefing »zeitlos, aber modern, innovativ, aber mit klassischen Merkmalen« ist für mich eine Selbsttäuschung. Wichtig ist in erster Linie die Kohärenz. Alle Details, die gesamte Formensprache eines Objekts sollten dem gleichen Zweck dienen. Dann entsteht ein Design, das eigenständig ist und damit die Chance hat, irgendwann zeitlos zu werden.

 

Detail einer LÖBNER Uhr Modell Steelracer Black, Uhrendesign, Chapter The Design Journal, Uhrendesign

 

Detailaufnahme des Arbmands der LÖBNER Steelracer Black

 

Chapter   Sie haben LÖBNER im Oktober 2023 neu lanciert. Nun, einige Monate später – an welchem Punkt der wirtschaftlichen Entwicklung sehen Sie die Marke aktuell? Welche Meilensteine konnten Sie bereits erreichen, und welche Herausforderungen stehen noch bevor?

Emmanuel Dietrich  Wir haben die Implementierung mit unserem ersten Vertriebspartner Bucherer erfolgreich abgeschlossen und stehen nun am Anfang der Expansionsphase. Wir wollen weltweit ein kleines Händlernetz aufbauen, um die Marke weiterhin sehr exklusiv zu betreiben. Vor uns liegt die Genfer Messe, an der wir zum ersten Mal teilnehmen werden und von der wir uns viel versprechen. Der Aufbau einer Luxusmarke ist ein langer Weg, und das Wichtigste ist im Moment, den richtigen Schritt zu finden, um langfristig solide wachsen zu können.

Chapter  Können Sie uns Einblick geben in Ihre spezifische Strategie, um LÖBNER im hochkompetitiven Markt der Luxuszeitmesser zu etablieren? Wie wollen Sie beispielsweise sicherstellen, dass die Marke sowohl für Uhrenliebhaber:innen als auch für Sammler:innen auch langfristig relevant bleibt?

Emmanuel Dietrich  Wir versuchen, sehr klar zu kommunizieren und uns Zeit zu nehmen, um unsere Botschaft immer und immer wieder zu verbreiten. Es wird ein langer Weg sein, und Markenaufbau im Luxusbereich ist immer eine Frage der Zeit. Das Besondere an einem Relaunch ist, dass diese Zeitschichten bereits in der Vergangenheit existieren. Wir haben einen Schatz an Geschichte und Legenden. Aber es wird Zeit brauchen, bis alle davon gehört haben und wir unsere neue Präsenz etabliert haben. Zeit kann man nicht kaufen – auch nicht als Uhrenhersteller.

 

Zifferblatt einer LÖBNER Uhr Modell LÖBNER speed arrow limited edition , Uhrendesign, Chapter The Design Journal, Uhrendesign

 

Zifferblatt LÖBNER Speed Arrow Limited Edition

 

Chapter  Viele Luxusmarken setzen zunehmend auf Direktvertrieb und Exklusivität statt auf traditionelle Händlernetzwerke. Welches Vertriebskonzept verfolgen Sie für LÖBNER – und wie stellen Sie sicher, dass die Marke wirtschaftlich nachhaltig wächst?

Emmanuel Dietrich  Wir haben uns am Anfang eher auf den klassischen Vertrieb direkt mit POS konzentriert, weil wir den direkten Kontakt bevorzugen. Wir nutzen auch Veranstaltungen, um näher an unsere Kunden heranzukommen und gleichzeitig den Direktverkauf zu fördern – und natürlich, um die Uhren-Community in die Geschichte der Marke einzubeziehen und zu inspirieren. Wir glauben sehr an die Rückkehr des direkten Kontakts und der Kommunikation, auch wenn wir natürlich unseren »digitalen Aufgaben« nachgehen.

 

Zifferblatt einer LÖBNER Uhr Modell steelracer rocketman mit Edelstahlgehäuse und Zifferblatt in „Galvano-Black“

 

LÖBNER Steelracer Black mit charakteristischer dezentraler Zeitanzeige. Alle Modelle werden in Deutschland in hoher Handwerkskunst montiert und feinreguliert.​

 

Chapter  Im Interview mit Chapter  betont Robert Punkenhofer, der ja in mitunter vergleichbarer Weise die historisch bedeutende Wiener Uhrenmarke Carl Suchy & Söhne wiederbelebt hat, die besondere Herausforderung, Netzwerke und eine Community in der Uhrenindustrie aufzubauen – seien es Händler, Opinion Leader, Journalisten oder Sammler. Wie haben Sie diese Herausforderung beim Relaunch der Marke erlebt und bewältigt?

Emmanuel Dietrich  Als langjähriger Designer in der Uhrenbranche und durch meine eigene Marke bin ich immer in Kontakt mit der Community gewesen und verfolge einen sehr persönlichen Ansatz bei der Markenkommunikation. Es stimmt – und ich denke, das ist ein schöner Aspekt der Uhrenindustrie –, dass sie eine kleinere und engere Gemeinschaft ist. Das macht sie in einer Zeit zunehmender Digitalisierung menschlich, und das gefällt mir sehr.

 

Portrait des Designers Emmanuel Dietrich, Uhredesigner LÖBNER Uhren

 

Emmanuel Dietrich wurde 1969 in Frankreich geboren und lebt und arbeitet in der Schweiz. Neben seinen Entwürfen für renommierte Uhrenmarken ist er auch in anderen Designdisziplinen, insbesondere im Bereich Möbeldesign, erfolgreich tätig.

 

Chapter  Die Renaissance klassischer Mechanik steht im Kontrast zu den smarten, vernetzten Technologien unserer Zeit. Wie erklären Sie sich die anhaltende Faszination für mechanische Uhren?

Emmanuel Dietrich  Mechanik ist etwas, das mit den Sinnen erfasst und verstanden werden kann. Sie ist konkret, spricht von Logik, Ordnung, Effizienz. Und deshalb fasziniert sie die Menschen (vor allem Männer) nach wie vor und wirkt in unserem digitalen Zeitalter beruhigend und besänftigend. Hinzu kommt eine wachsende Faszination für das Handwerk, das vor dem technischen Fortschritt lange Zeit seine Aura verloren hatte. Heute gibt es eine Reihe von jungen Uhrmachern und Kunden, die es wieder pflegen und zelebrieren. Da dieses Handwerk völlig überflüssig geworden ist, ist es gleichzeitig zu einem reinen Luxus geworden. Es ist eine reine Performance, eine Uhr mit ein paar Maschinen und viel Savoir-faire zu bauen – wie Kunst.

Chapter  Wenn Sie eine LÖBNER Uhr in fünf Worten beschreiben müssten – welche wären das?

Emmanuel Dietrich  Konsequent, lesbar, effizient, geometrisch, solide. [CS]