Text Anna SINOFZIK | Fotografie David FISCHER
Johann König möchte in der Kunstwelt neue Räume erschließen. Noch bevor der Lockdown den internationalen Ausstellungsbetrieb lahmlegte, experimentierte er mit virtuellen Präsentationsformen. Nicht etwa, weil der »Blinde Galerist« über seherische Qualitäten verfügt. Sondern weil ihm — auch unabhängig von der Krise — wichtig ist, seine Plattform multimedial zu erweitern. Für die von ihm vertretenen KünstlerInnen. Aber auch, um selbst anders kommunizieren zu können, mehr Menschen Zugang zum Kunstmarkt zu ermöglichen und Letzteren ein Stück weit zu entmystifizieren. Mit der »Messe in St. Agnes« — einer Verkaufsveranstaltung, die im vergangenen Sommer erstmals in seiner Berliner Kirche stattfand und gerade als MISA.art online geht — sorgte König kürzlich für Kunstmedienrummel. Mit einigen seiner letzten Ausstellungen war er — wenn auch eher zufällig — zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Nämlich online. Verändert sich die Kunstwelt gerade wirklich so radikal, wie viele vermuten? Und wieso strebt ausgerechnet jemand, der inmitten der deutschen Kunstelite groß wurde, nach mehr Offenheit, Niederschwelligkeit, Demokratisierung und Transparenz? Ein Gespräch mit Berlins polarisierendstem und vielleicht progressivstem Galeristen über Diskursräume, Erfahrungsräume, Möglichkeitsräume, brutalistische Ausstellungsräume, virtuelle Salesrooms und den emotionalen Wert eines tausendstel Basquiat.
Johann König scheint Menschen und Möglichkeiten aufgeschlossener zu begegnen als der Großteil seiner Branche. Man könnte sagen, sein Ansatz spiegele sich in dem brutalistischen Bau, der die Berliner König Galerie seit 2015 beheimatet. Er wollte ganz bewusst keinen »White Cube«, sondern ein authentisches Gebäude mit sozialen Strukturen, die Material und Konstruktion offenlegen. »Brutalistische Architektur hat etwas Ehrliches, Ethisches, interessanterweise auch immer etwas dem Menschen Dienendes«, so König. Meist seien es Gebäude der öffentlichen Hand, die im Stil des Brutalismus gebaut sind. Krankenhäuser, Universitäten, Rathäuser, Kirchen. Seine wurde von Werner Düttmann entworfen und im Zuge ihrer Umnutzung von Arno Brandlhuber umgebaut. Sie heißt St. Agnes und steht in einem Kreuzberger Wohngebiet, das von schlichten Mietshäusern dominiert wird. Wer möchte, kann neben der Bauart des Sakralbaus auch seinen städtebaulichen Kontext mit der Mission eines Galeristen in Bedeutungszusammenhang rücken. Der nämlich sagt, er wolle den Kunstmarkt nahbarer und zugänglicher machen, ihn von seinem hohen Sockel holen.
Während Königs Kirche die eigene Körperlichkeit kaum manifester betonen, kaum konkreter auf ihrem Baugrund sitzen könnte, sind immer mehr Projekte seiner Galerie dezentral und fluide. Als es pandemiebedingt zeitweise notwendig wurde, hatte König bereits begonnen, virtuelle Präsentationsformen zu erproben. Eine Entwicklung, die, wie er sagt, kaum kalkuliert war, sich vielmehr »situationistisch« ergeben habe. Als ihn vor etwa zwei Jahren in Hongkong auf der Messe eine Sammlerin anrief, die »alles im Detail sehen wollte«, dachte er sich: »Wenn ich ihr jetzt ein Video schicke, kann ich’s ja auch gleich allen zeigen.« Also hat er angefangen, via Instagram Live-Onlineführungen zu machen.
»Corona war trotzdem tragisch, wir hatten gerade einen Container auf dem Weg nach China, weil die Messe dort zu spät abgesagt wurde. Aber zum Glück waren wir ohnehin gerade dabei, unsere Kommunikations- und Vermittlungskanäle virtuell auszubauen. Das geht ja nicht von heute auf morgen, man fängt Schritt für Schritt an, anders zu denken, neue Mittel und Wege zu sehen.« Während des ersten Lockdowns kamen Live-Atelierbesuche auf Instagram hinzu. Um seinen KünstlerInnen dabei zu helfen in Zeiten der Krise sichtbar zu bleiben. Magazin, Podcasts, Social Media — die Plattform, die er als Galerist bieten möchte, könne eben verschiedenste Formen annehmen.
Digitale Viewing-Rooms und Live-Touren zu Präsentationszwecken sind das eine. Das andere die veränderten Bedingungen, die künstlerische Werke verlangen. Als Galerist reagiert König auf die Bedürfnisse der KünstlerInnen, die er vertritt. Präsentationsformen und Ausstellungsstrategien folgen dem Kunstwerk. Seine Verantwortung als Galerist sei aber ja, adäquate Ausstellungsorte für verschiedenste künstlerische Positionen zur Verfügung zu stellen, jedem Werk den Kontext zu bieten, in dem es bestmöglich wirken kann. Oft sind es physische Architekturen, wie die von St. Agnes oder seiner Galerien in London, Tokio oder Seoul. Immer häufiger aber eben auch virtuelle. Im vergangenen Jahr hat König mit der Blockchainbasierten Online-Umgebung Decentraland erstmals eine dezentrale autonome Organisation als Ausstellungsraum erprobt. Auf einem gemieteten virtuellen Grundstück, steht da nun ein Equivalent seiner Kirche, um digitale Kunst im »genuinen Umfeld zu präsentieren«.
Neben räumlichen Kontexten möchte König Möglichkeitsräume schaffen, »zum Beispiel den finanziellen Rahmen, den es braucht, um bestimmte Dinge produzieren oder kommunizieren zu können«. 2019 haben er und sein Team den Künstler Manuel Rossner dabei unterstützt, die App-basierte Einzelausstellung »Surprisingly This Rather Works« zu entwickeln, die im Frühjahr des Folgejahrs fertig wurde. Im Sinne des Titels war der Galerist selbst überrascht, dass die künstlerische Intervention im digitalen Raum, die Galerie als Gaming Environment, so gut funktioniert hat. Die Ästhetik, die von der Game Show »American Gladiators« und von sogenannten »Gyms«, die Unternehmen wie Open-AI in San Francisco für die Spitzenforschung im Bereich der künstlichen Intelligenz nutzen, inspiriert ist, spreche vielleicht auch eine andere »Zielgruppe« an. Darum sei es im Grunde aber gar nicht gegangen. »Es war einfach das richtige, in diesem Kontext«, so König. Rossners Ausstellung hätte sich anders gar nicht umsetzen lassen. »Im Digitalen ist möglich, was im realen Raum unmöglich ist«, heißt es auf der Homepage der Galerie. So trotzen virtuelle Skulpturen in der VR-Umgebung der Schwerkraft, durchbricht eine Installation den Boden des Kirchenschiffs.
Noch vor der Rossner-Schau zeigte König ein Hybridprojekt: Die physische Gruppenausstellung »The Artist is Online. Painting and Sculpture in the Postdigital Age.« versammelte vom Internet geprägte Positionen. Sie war vom 18. März bis 18. April 2021 physisch in St. Agnes zu sehen und wurde unter dem Subtitel »The Artist is Online. Digital Paintings and Sculptures in a Virtual World« in den digitalen Raum erweitert. Auch hier war es Manuel Rossner, der die Galeriearchitektur in ein 3D-Modell überführte — und in bereits erwähntem Decentraland aufbaute. Das Begleitprogramm der Ausstellung fand auf der Community- Plattform Clubhouse statt. Königs ist weltweit die erste kommerzielle Galerie in Decentraland.
Er sagt, mittlerweile betreibe er sie »wie einen weiteren Standort«. Seine beiden ersten virtuellen Ausstellungen hat der Galerist mit Anika Meier kuratiert, die als Kolumnistin der Zeitschrift Monopol seit Jahren »Instagrams Galerien durchstreift«, um über digitale Kunst zu berichten. Weil die von ihm vertretenen KünstlerInnen zunehmend online sind, gibt es mittlerweile zwei weitere Solo-Shows als Apps, eine des britischen AI-Künstlers Thomas Webb und eine der Schweizer Bildhauerin Claudia Comte. Beide können außerhalb ihrer Laufzeiten besucht werden, denn natürlich verschieben sich in digitalen Gefilden neben den räumlichen auch die zeitlichen Bedingungen. Zudem die Art und Weise, in der wir Dinge wahrnehmen, uns selbst darstellen, kommunizieren. Erfordert das »Postdigitale Zeitalter« einen ganz neuen Galeristentypen?
Wohl wissend, dass er selbst wie eine Antwort im Raum steht, reagiert König indirekt: »Ich glaube dadurch, dass ich von Geburt mit Kunst zu tun hatte, versuche ich ganz bewusst Menschen anzusprechen, die anders als ich selbst nichts mit der verhältnismäßig kleinen Kunstelite zu tun haben, sondern ein breiteres Publikum.« Als Sohn des Kurators Kasper König wurden ihm die Gepflogenheiten des Kunstdiskurses ebenso in die Wiege gelegt, wie allerlei wichtige Kontakte. In seiner Autobiografie erzählt er, wie seine stark eingeschränkte Sehkraft ihn die Welt, die Kunst und auch die Kunstwelt »neu wahrnehmen« ließ. In Kindertagen hatte ihm ein Unfall den Großteil des Augenlichts genommen, als er mit 20 seine erste Galerie gründete, war er beinahe blind. Mittlerweile sieht er dank zahlreicher Operationen wieder besser. Aber der kritische Insiderblick ist ihm stets geblieben. »Während die Kunst tolle progressive Sachen hervorbringt, tickt ein Großteil der Marktteilnehmer extrem konservativ. Man kann sich da konform verhalten. Oder eben experimentieren. Was auch bedeutet, das Risiko einzugehen, hier und da mal anzuecken.«
Angeeckt ist er zuletzt mit einer Verkaufsveranstaltung, die eigentlich bloß darauf angelegt war, die pandemiebedingten Ausfälle internationaler Kunstmessen und damit einhergehenden Umsatzeinbußen zu kompensieren. Die »Messe in St. Agnes« lockte trotz Krise insgesamt 8.000 Besucher und Besucherinnen in Königs Kirche. Unter Einhaltung strenger Hygieneauflagen natürlich.
Kritik bekam der Galerist vielmehr für die Missachtung anderer, ungeschriebener Regeln: Zum einen kombinierte seine Messe den Primär- und Sekundärmarkt, also Erstverkäufe von KünstlerInnen, die er selbst vertritt, mit Weiterverkäufen, die ihm andere Galerien, Auktionshäuser, SammlerInnen oder KünstlerInnen zum Verkauf angeboten hatten. Letzteres führte zu einem offenen Streit mit dem Künstler Saâdane Afif und dessen Galeristen, die sich — eigenen Aussagen zufolge — durch die unfreiwillige Teilnahme an Königs »Trödelmarkt« »verraten« fühlten. Zum anderen legte König die Preise aller Kunstwerke offen. Insgesamt verkaufte er welche im Wert von über vier Millionen Euro, unter anderem von Gerhard Richter, Albert Oehlen, Anne Imhof and Neo Rauch. So gesehen war die »Messe in St. Agnes« ein voller Erfolg. Aber wie geht er mit Kritik an seiner Strategie um, die manch einer »hemdsärmelig« nennt?
»Ich glaube die Probleme, die manche mit so einem Ansatz haben, basieren meist vor allem auf Annahmen. Irgendwie dachten immer alle, Künstlerinnen und Künstler wollen nicht, dass ihre Preise kommuniziert werden. Dabei hatte sie einfach nie jemand gefragt. Als ich das dann gemacht hab, fanden sie das vollkommen nachvollziehbar. Ich hatte mich einfach über Jahre gefragt, was das eigentlich für eine irre Idee ist, so eine komische Intransparenz aufrecht erhalten zu wollen. Einfach weil man glaubt, Offenheit gehöre sich nicht. In anderen Branchen versteht niemand, warum man die Bepreisung von Kunstwerken nicht klar kommuniziert. Wie willst du denn was verkaufen, wenn du den Preis nicht nennst? Irgendwann habe ich gemerkt, dass viele innerhalb der Kunstwelt das eigentlich auch so empfinden. Man kommt ja mit einigen ins Gespräch. Mittlerweile ziehen andere Galerien nach. Sicher auch durch Corona, weil Onlineverkäufe anders gar nicht gehen.«
Seine Transparenzstrategie hat er kürzlich nochmal mit allen KünstlerInnen der Galerie thematisiert. Als es nämlich darum ging, die Messe online zu bringen — und noch mehr offenzulegen: Weiterentwickelt zu einem »E-Commerce Raum mit Rating-System, Machinelearning, und so weiter« werden auf MISA.art (ein Akronym aus »Messe in St. Agnes«), Angebots- und Schätzpreis gegenübergestellt. Mit der Plattform möchte König den Markt nachvollziehbarer und einen Schritt in die Zukunft machen. Der Galerist nimmt Bezug auf die Blockchain-Technologie: »Ich glaube, die meisten Menschen haben noch gar nicht erkannt, wie radikal das alles verändern wird.« Während er die Bedeutung von NFTs (der Hype um Beeple kam auf, kurz bevor die König Galerie Decentraland launchte) als eher marginal einstuft, sei das Blockchain-Prinzip »revolutionär«. Besonders für den Kunstmarkt, der aktuell geprägt von Intransparenz und Insiderwissen sei. Andererseits von großem Misstrauen.
»Ich weiß, dass Gursky nur sieben Prints einer Fotografie gemacht hat. Beziehungsweise weiß ich es nicht, ich glaube es ihm. Aber auch nur, weil ich gelernt hab, dass man sich darauf verlassen kann. Ich weiß natürlich auch, dass es Ausnahmen gibt. Die öffentliche Wahrnehmung ist aber anders, vor allem nach Bekanntwerden von Betrugsfällen wie Inigo Philbrick, Helge Achenbach, Wolfgang Beltracchi. Und weil die meisten den Markt einfach nicht richtig verstehen. Er ist ja auch kompliziert. Und undurchsichtig.
Wie Primärmarkt und Sekundärmarkt zusammenhängen. Wo die Preise herkommen.« Besonders der Fotografie-Markt könne von den fälschungssicheren Protokollen der Blockchain stark profitieren: »Während Notenbanken ständig neues Geld drucken, ist nachweislich nur eine gewisse Menge Bitcoin im Umlauf. Deshalb ist sie plötzlich so teuer geworden. Und übertrag das mal auf die Fotografie.« Märkte brauchen Nachvollziehbarkeit und Logik, sagt König. Weil die Investment-Schiene in der Kunst indes recht schlecht reguliert sei, gäbe es bislang keine Family Offices, die in Kunst investieren, nur private Familien. »Wenn jetzt aber die Tokenisierung kommt, wird der Markt verlässlicher, transparenter, zugänglicher, breiter.« Was er meint, ist, dass die Blockchain-Technologie die Fraktionalisierung von Werken möglich macht — also ihre Aufteilung in Tokens — wie bei einer Aktiengesellschaft. Wodurch man »beispielsweise einen tausendstel Basquiat« kaufen könne. Damit würde das Sammeln potentiell zum Massenphänomen, oder, wie er es ausdrückt, viel mehr Menschen die Teilhabe ermöglichen. »Wie einen ETF für Green Energy, wird man dann auch einen für Emerging Artist Germany kaufen können.«
Kritiker und Kritikerinnen der Ökonomisierung des Kunstbetriebs werden wohl mit den Ohren schlackern. Einige von ihnen fordern gar eine Neuorganisierung des Kunstbetriebs nach Vorbild der »Commons«. König indes ist nicht nur Galerist, sondern auch Realist. Zudem vielleicht zu sehr Brancheninsider um das eigene Umfeld nicht klar und pragmatisch zu betrachten. »Teure Kunst ist schon immer Kapitalanlage gewesen. Auch wenn die meisten Akteure der Branche gerne so tun, als wäre es anders. Die Welt funktioniert nach dem Prinzip des Kapitalismus. Den kann man natürlich in Frage stellen. Aber ich find’s heuchlerisch, so zu tun, als sei Kunst was anderes, Höheres. Natürlich ist es nochmal eine Next-Level-Kommerzialisierung, ein Gemälde zum fraktionalisierten Asset zu machen. Der Vorteil wiederum ist, dass mehr Künstlerinnen und Künstler in die Lage kommen, von ihrer Arbeit leben zu können. Andererseits haben manche Leute so viel Geld, dass sie gar nicht wissen, wohin damit, so dass alternative Anlagemöglichkeiten gefunden werden müssen. Und stell dir vor, du bist totaler Basquiat-Fan und glaubst fest daran, dass er noch teurer wird. Dann ist das doch ein emotionales Investment, mit emotionaler Rendite.«
Die Idee zu MISA.art ist König auch deshalb gekommen, weil er viele Freunde aus dem Startup-Bereich hat. »Die wollen anfangen Kunst zu kaufen, aber eher etablierte Positionen und die sind ihnen dann meist zu teuer. Sie wollen aber eben das Katharina Grosse Bild für 200.000 Euro, denn da haben sie die Ausstellung im Hamburger Bahnhof gesehen, das hat einen robusten Marktwert, das wissen sie. Sie könnten aber auch eine ganz junge Johanna Dumet kaufen, die kostet nur 5.000 Euro, das funktioniert dann aber wie Seed-Investment, wo es ein gewisses Risiko gibt. Ich glaube, wenn man ehrlich mit Käufern umgeht, werden sie schnell routinierter, fangen an richtig zu sammeln und eigene Dinge zu entdecken«, so der Galerist. Wie Decentraland ist MISA.art ein Pionierprojekt. Zumindest in dem Umfang hat es so eine virtuelle Verkaufsplattform bisher nicht gegeben.
Artbuyer als Asset Manager. Ausstellungshäuser als Teil einer DAO? Kunst gegen Kryptowährung. Vertrauen durch Technik. Haben Galerien, die sich solchen Ideen verweigern, auf lange Sicht keine Zukunft? »Das denke ich nicht und kann auch gut verstehen, wenn sich jemand überhaupt nicht dafür interessiert«, sagt Johann König. Er persönlich findet jedoch, dass es einem Markt, der sich wesentlich auf jenes kulturelle Kapital stützt, von dem König selbst schon aus familiären Gründen genug hat, eine gewisse Open-Source Mentalität gut tut. Nicht, weil er die ganze Kunstwelt umkrempeln oder alles anders machen will, wie ein trotziger Teenager, der gegen ein extrem großes Erbe ankämpft. Sondern weil er gern experimentiere und »die Zukunft mitprägen« möchte.
Gegenwärtig prägen Dependancen der König Galerie global immer mehr Hotspots der Kunstinteressierten und Anlagebereiten. Neben Standorten in Berlin, London und Seoul hat er kürzlich einen Showroom in Monaco eröffnet, den seine Homepage als »nächsten logischen Schritt in seiner Reihe außergewöhnlicher Locations« beschreibt: »Der historische Stadtstaat an der Côte d’Azur ist seit jeher eine Drehscheibe für internationale Sammler und hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen.« Der neue Showroom biete der Galerie »eine Plattform, um Teil der wachsenden lokalen Kunstszene zu werden«, heißt es da. Trotz dezentraler Plattformen und Projekte ist es ihm als Galeristen weiterhin wichtig, zur richtigen Zeit physisch am richtigen Ort zu sein. Für KünstlerInnen habe sich da mehr geändert, findet er. »Man kann ja heute auch in Magdeburg queer und trotzdem Teil einer großen Community sein. Dass die Welt kleiner wird, bietet auch dem künstlerischen Nachwuchs zig neue Möglichkeiten, sich zu präsentieren und Kontakte zu knüpfen.«
Für junge KünstlerInnen häufig die größte Herausforderung — und in seinen Augen ein Riesenproblem: »Es gibt vielleicht 50.000 KünstlerInnen in Berlin, aber nur, keine Ahnung, 200 Galerien. Und dann wird ihnen gesagt, sie seien nichts wert, wenn sie keine finden.« Er ermutige sie immer wieder, selbst aktiver zu werden, selbst anzufangen zu verkaufen. Auch dafür mache er die Plattform MISA.art, die natürlich auch kuratiert ist, aber weniger exklusiv und subjektiv, als die Galerie, die seinen Namen trägt. Während letztere etwa 40 Positionen vertritt, soll es auf dem digitalen Marktplatz »rund 400 geben, vielleicht auch 4.000 irgendwann. Um auch hier die Hürde zu senken, offener zu sein, den Raum zu erweitern«.
Ein anderes Projekt, mit dem König bald den Nachwuchs fördern und seine Plattform beträchtlich vergrößern könnte, liegt gerade auf Eis: Mit einem zweiten offenen Brief haben sich er und der Architekt Arno Brandlhuber, der auch St. Agnes umgebaut hat, vor einigen Wochen erneut an die Berliner Behörden gewandt. Sie möchten den Mäusebunker, ein ehemaliges Tierschutzlabor im Südwesten der Stadt, in eine Art Kunst-Multiplex, mit Werkstätten, Ausstellungsflächen, et cetera verwandeln. Das brutalistische Gebäude, das wie ein riesiger Raumpanzer, halb Raumschiff halb Schlachtschiff, an das architektonische Wettrüsten zwischen Ost und West der Achtzigerjahre erinnert, sollte ursprünglich abgerissen werden (auch wenn man sich mit Blick auf die bunkerartige Baustruktur fragen muss, wie). Jedenfalls wollen König und Brandlhuber verhindern, dass all die »graue Energie«, die in dem Klotz steckt, in die Atmosphäre verpufft. Sie haben sich vorgenommen, sie stattdessen in Kreativität umwandeln — oder zumindest in einen Ort für Kreative.
Ein Händchen für den richtigen Moment hätte der Galerist wohl auch hier. Der Hype um den Brutalismus ist groß, sein brachialer Charme wird derzeit überall wiederentdeckt. Im Brücke- Museum lief gerade eine Werner Düttmann-Ausstellung. Die Berlinische Galerie, unweit Königs Kirche gelegen, widmete postmodernen Architekturen der IBA 87, darunter auch zahlreichen brutalistischen, jüngst eine Schau. Auch auf Instagram »trenden« entsprechende Hashtags. Bloß wird sich die Idee vom Mäusebunker als eklektischem Kunstort wohl nicht so schnell realisieren lassen. »Das Gebäude gehört dem Senat, der dem Projekt nicht abgeneigt ist«, erklärt König, »nur hat er es der Charité zur Verfügung gestellt, die es nicht rausrücken will. Den Abriss konnten wir schon mal verhindern. Aber jetzt heißt es warten, bis die Verantwortlichen sagen, dass sie an dem Gebäude keine Verwendung mehr haben. Also gegebenenfalls bis zum Sankt Nimmerleinstag.«
Im Zuge des Wahlkampfs ist das Projekt plötzlich auch Politik. König und Brandlhuber bekommen viel Unterstützung von Berlins Kultursenator, Klaus Lederer. Generell von der Linksfraktion. »Erstaunlicherweise überhaupt nicht von den Grünen. Was echt irre ist, denn ein Abriss wäre ja die pure Umweltverschmutzung. Und auch sonst Wahnsinn, denn die können ja nicht wieder den Fehler machen, wie beim Palast der Republik«, findet König. Bleibt zu hoffen, dass sich die Vision irgendwann umsetzen lässt und der Mäusebunker dann als eine Art Anti-Humboldt Forum und vorwärtsgewandter Kulturort ein Zeichen setzt, gegen die Geschichtsvergessenheit und Ressourcenverschwendung.
Für Letztere wurde auch der internationale Art-Jetset in den vergangenen Jahren viel kritisiert. Vielleicht kann MISA.art auch in dem Kontext punkten. Das »unkalkulierbare Aufeinandertreffen von Menschen, Objekten und Perspektiven aus allen geografischen und geistigen Himmelsrichtungen«, das ein Großteil der Kunstwelt weiterhin als unverzichtbar ansieht, wird Königs virtueller Verkaufsraum ebenso wenig ersetzen, wie virtuelle Rundgänge das physische Erleben von Malerei, Performance, Bildhauerei, oder Konzeptkunst. Wie all seine Ideen bereichert sie bestenfalls eine Branche, die seit eh und je vom Erproben neuer Möglichkeiten lebt.
Johann König fotografiert von David Fischer für Chapter №V. Jetzt bestellen frei erhältlich als Digital Issue, Printausgabe bestellbar unter plasticmedia.eu