Wie fast kein anderer steht Shigeru Ban für eine sinnstiftende Architektur. Das ungeahnte Potenzial des Werkstoffs Papier, welches er bereits Ende der 1980er-Jahre zu erforschen begann, umspannt dabei nicht nur die berühmten Bögen seiner Bauwerke, sondern vereint auch soziale und ökonomische Anliegen unter einem Dach.
Seine Rolle als Architekt versteht der in Tokio geborene Architekt Shigeru Ban als weit umfangreicher als das bloße Schaffen von Trägerstrukturen. Papier und Karton versinnbildlichen als grundlegende Konstruktionsmaterialien seiner Bauten nicht nur den fortschrittlichen Einsatz moderner Fertigungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, sondern stehen auch für ein erweitertes soziales Bewusstsein, sowie eine ressourcenschonende Bauausführung. Die daraus entstandenen Bauwerke stehen symbolisch für die Achtsamkeit mit der Ban sich seinen Projekten nähert und deren Gestaltung und Umsetzung er mit viel Gespür für den individuellen sozialen und kulturellen Kontext ableitet.
Bans einzigartiger, lösungsorientierter Herangehensweise und unverwechselbarer Handschrift widmet TASCHEN nun eine Monografie mit dem Titel »Shigeru Ban. Complete Works 1985 – Today«, die sich dem Werk des Pritzker-Preisträgers sowohl über persönliche Anekdoten als auch wissenschaftliche Fragestellungen nähert.
Wie es Umfang und Format des monumentalen Bandes bereits vermuten lassen, findet die Erfolgsgeschichte des Ausnahmearchitekten, der als Symbolfigur der japanischen Architektur gilt, hier ihren angemessenen Rahmen.
»Es war der Anfang der Papierarchitektur«, beschreibt Ban darin eines seiner sehr frühen Projekte aus dem Jahr 1986 und bezieht sich damit auf die Gestaltung der Architektur für eine Ausstellung in Tokio, welche sich dem Werk des finnischen Architekten und Möbeldesigner Alvar Aalto widmete. Als kostengünstigere Alternative zu Aaltos Lieblingsmaterial Holz kamen Papierröhren – »Paper Tubes« – zum Einsatz, welche Ban gleichzeitig als die unverkennbaren Strukturelemente seiner Arbeit etablierte, als die Nutzung von ökologisch verträglichen Baumaterialen noch als progressiv bezeichnet werden konnte.
Im Kontext von radikal Neuem steht auch sein als Architekturexperiment geltendes Curtain Wall House – entstanden zwischen den Jahren 1993 und 1995 in Tokio – bei dem Ban das Konzept der Wände eines Hauses hinterfragt. Um der Konstruktion ihre Schwere zu nehmen, greift er in der Ausführung daher neben schmalen Säulen auch auf gläserne Türen und Vorhänge zurück, die sich gänzlich zur Stadt hin öffnen oder schließen lassen.
Auf die Spitze getrieben wird seine frühe Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wänden im Jahr 1997 mit der Umsetzung des Projektes »The Wall-less house« in Nagano, Japan. Dem Konzept liegt die Vision eines »universal floors« zugrunde, ein die fehlenden Wände ausgleichender, durchgehender Boden, der alle Räume miteinander verbindet. Diese Bauweise entspricht auch der Auffassung Bans, dass eine starke Trägerstruktur nicht an das verwendete Material gebunden ist, sondern an eine ausgeklügelte Konstruktion.
Seine Flexibilität als Architekt und Haltung als Mensch beweist Shigeru Ban aber vor allem mit seinen Bauten in Katastrophengebieten, wo Wände als schutzgebende Strukturen eine überaus essenzielle Rolle spielen. Als von besonderer Bedeutung erwiesen sich seine kostengünstigen und umweltschonenden »Paper Tube Structures« in den Hilfsprojekten der von ihm 1995 gegründeten NGO Voluntary Architects Network, deren Anliegen es war, temporäre Häuser und Hütten für Erdbebenopfer in Kobe (Japan), Bürgerkriegsflüchtlinge in Ruanda (Ostafrika) sowie Tsunami-Opfer in Sri Lanka zu errichten. Von 1995 bis 2000 arbeitete Shigeru Ban als Berater der UN Flüchtlingskommission.
Als Beispiel sind hier die sogenannten »Paper Log Houses« zu nennen. Diese dienten nach dem verheerenden Erdbeben in Kobe als Notunterkünfte – gebaut aus Bierkisten, Sandsäcken, Sperrholz, Pappröhren, wasserfestem Klebeband und Stahlstäben. Als temporäres Gemeindezentrum wurde zudem die »Paper Church« errichte, die den Bewohner:innen auch Zuflucht im spirituellen Sinn ermöglichte.
Seine konstruktiven Experimente unter Verwendung von ungewöhnlichen Werkstoffen waren es auch, die seine unverwechselbaren Hauptwerke hervorbrachten, wie das Centre Pompidou-Metz, des Swatch/Omega Campus in der Schweiz, ein zweistöckiges Penthouse auf dem Dach eines 140 Jahre alten New Yorker Wahrzeichens Cast Iron House sowie La Seine Musicale, ein in den Masterplan Jean Nouvels integrierten Konzertsaal auf der Ile Séguin in Frankreich.
Mit seiner Monografie »Shigeru Ban. Complete Works 1985 – Today« versammelt TASCHEN Bans Lebenswerk bis dato in einem rahmensprengenden Band auf eindrucksvollen 696 Papierseiten und holt den Geist seiner Arbeit im Übertragenen Sinn in die Flasche zurück. [DM]
Auch erhältlich als Art Edition, limitiert auf 200 Exemplare mit einem signierten Kunstdruck Shigeru Bans und einem maßgefertigten 3D-Lasercut-Cover aus Holz.
Shigeru Ban. Complete Works 1985 – Today
Hardcover, 30.8 x 39 cm, 6.85 kg, 696 Seiten, € 200
taschen.com