Architektur im Weltraum

Die LIQUIFER Systems Group plant und entwirft Weltraumhabitate

Credits: LIQUIFER, System Group

Als WeltraumarchitektInnen haben es Barbara Imhof, Waltraut Hoheneder und René Waclavicek ständig mit stark begrenzter Grenzenlosigkeit zu tun. Außerdem interessieren sie sich dafür, welche Erkenntnisse sich aus ihrer Forschung für das Bauen auf der Erde ableiten lassen.

Für die meisten Menschen ist die Beschäftigung mit dem Weltraum gleichbedeutend mit dem Eintauchen in grenzenlose Weiten. Als WeltraumarchitektInnen sind Barbara Imhof, Waltraut Hoheneder und René Waclavicek von dieser Grenzenlosigkeit zwar fasziniert, beschäftigen sich aber mit Räumen, die alles andere als unendlich groß sind. Im Unternehmen der 2005 von Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder gegründeten LIQUIFER Systems Group planen und gestalten sie Raummodule, Weltraumhabitate und Teile von Raummissionen – meist im Rahmen großer, internationaler Projekte. Dass es sich dabei in der Regel um stark begrenzte Räume handelt, liegt auf der Hand. Die Enge, die, wie Barbara Imhof hinzufügt, aufgrund der Schwerelosigkeit im Weltall jedoch anders empfunden wird als auf der Erde, ist jedoch nur eine von vielen Herausforderungen. »Es geht auch um die Gestaltung von Raumatmosphäre und Rückzugsorten«, erklärt Designerin Waltraut Hoheneder. »Über Licht kann man viel machen, aber auch durch individuell wählbare Materialoberflächen und Farben. Es ist wichtig, die eigene Identität im Raum spüren zu können. Gleichzeitig geht es auch immer darum, beispielsweise durch die Transformation von Möbeln, Minimalraum multifunktional zu gestalten.«

Nicht mehr alleine auf dem Planeten 

Darüber hinaus gibt es aber auch konkrete Zahlen, die den Raumbedarf pro Person festlegen – wobei dieser immer in Relation zur Aufenthaltsdauer berechnet werden muss. So wird der Lebensraum pro Person bei Langzeitmissionen mit 25 Kubikmetern beziffert. Allerdings kann das, fügt Barbara Imhof hinzu, immer nur ein Richtwert sein. Ihr Drang danach, zukünftige Entwicklungen bei ihrer Arbeit als Architektin stets miteinzubeziehen, brachte sie nach ihrem Studium an der Universität für Angewandte Kunst in Wien an die International Space University nach Strasbourg (Frankreich). Und schließlich dazu, sich mit einem auf Weltraumarchitektur spezialisierten Unternehmen selbstständig zu machen.

 

Credits: LIQUIFER, Visualisation Minovski/ LIQUIFER 2019

Als LIQUIFER vor etwas weniger als 20 Jahren gegründet wurde, bewegte man sich mit dem Thema Weltraumarchitektur zwar nicht auf völlig unbeackertem Boden, eigenständige Büros für Weltraumarchitektur gab es zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. »Es gab schon Konsulenten, vor allem in Amerika, und einige Architekten – ich benütze in diesem Zusammenhang bewusst nur die männliche Form –, die bei der NASA angestellt waren. Ab den Neunzigerjahren gab es dort dann auch Architektinnen. In Europa ist diese Entwicklung aber noch relativ neu«, sagt Barbara Imhof. Lachend fügt sie hinzu: »Als Architekturbüro sind wir in gewisser Weise immer noch ein Unikum, aber nicht mehr so alleine auf diesem Planeten.«

Die wachsende Bedeutung der Weltraumarchitektur lässt sich ihrer Meinung nach auf zwei Faktoren zurückführen: »Die Missionen werden immer länger. So liegt die mittlere Missionslänge bei der internationalen Raumstation mittlerweile bei sechs bis zwölf Monaten. Mit der ständig steigenden Missionsdauer bekommt der Raum eine andere Bedeutung.« Zugleich gibt es, fügt sie hinzu, einen Bereich, der sich verstärkt mit dem Thema Weltraumtourismus beschäftigt. »Das sind aus unserer Sicht die beiden Triebkräfte, die das Thema momentan stark befeuern. Deshalb gibt es mittlerweile auch mehr Jobangebote, wobei man mit so einer Aussage aufpassen muss, denn die sind immer noch sehr rar.« 

René Waclavicek hat Barbara Imhof im Studium an der TU Wien kennengelernt, wo sie am Hochbau 2 Institut von Helmut Richter unterrichtete und Weltraumarchitektur-Entwurfsprogramme ausschrieb. Zum Thema des Bedeutungszuwachses seines Berufs- und Forschungsfeldes fügt er hinzu, dass dieser auch damit zu tun hätte, dass sich der Fokus in Richtung Oberflächenarchitektur verschoben hat. »In naher Zukunft wird man verstärkt daran interessiert sein, permanente Mondbasen und in absehbarer Zeit auch am Mars eine permanente Basis zu errichten. Das wird eher als Aufgabe für ArchitektInnen erkannt. Wobei wir unser Aufgabengebiet ohnehin nicht gerne stark eingrenzen, weil wir glauben, dass überall dort, wo sich Menschen aufhalten, ArchitektInnen eine Aufgabe haben.« Gebraucht werden ArchitektInnen auf jeden Fall immer dann, wenn es um Ergonomie, also beispielsweise um die Höhe eines Tisches, geht. Ein Gebiet, auf dem IngenieurInnen im Gegensatz zu ArchitektInnen nicht ausgebildet sind. 

Dass die Zusammenarbeit zwischen IngenieurInnen und ArchitektInnen bei solch technologisch hochkomplexen Projekten nicht immer ganz einfach ist, lässt sich ohne große Anstrengung erahnen. Auch wenn beide Berufsgruppen dasselbe Ziel umkreisen, tun sie das auf sehr unterschiedlichen Umlaufbahnen. Aufgrund der technologischen Komplexität, die sich aus der Herausforderung, einen Aufenthalt außerhalb der Erdatmosphäre überhaupt erst möglich zu machen ergibt, scheint kaum ein anderer Bereich innerhalb der Architektur so sehr vom Grundsatz »Form-Follows-Function« geprägt zu sein. Wobei, wie René Waclavicek an dieser Stelle einwirft, kaum jemand weiß, dass die erste Architektin schon in den Fünfzigerjahren in der Raumfahrt Fuß fassen konnte. »Galina Balaschowa war Teil des sowjetischen Raufahrtprogramms«, erklärt er. »Ihre Arbeit ist heute noch am russischen Teil der internationalen Raumstation ablesbar – vor allem an der Farb- und Innenraumgestaltung.«

 

Credits: LIQUIFER, Visualisation Minovski/ LIQUIFER 2019
Credits: LIQUIFER, Visualisation Minovski/ LIQUIFER 2019

Geschärftes Ressourcenbewusstsein 

Für das Leben auf der Erde lässt sich aus der Arbeit der WeltraumarchitektInnen vor allem ein geschärftes Ressourcenbewusstsein ableiten. So spielt beispielsweise die Wiederverwendung von Abwasser bei Weltraummissionen eine entscheidende Rolle, wodurch sich spannende Erkenntnisse für die Erde ergeben. »Man kann die Stadt als Raumschiff denken«, ist Barbara Imhof überzeugt. Schließlich sind sowohl auf der Erde als auch im All die Ressourcen begrenzt und Menschen aus unterschiedlichen Kulturen kommen auf engem Raum zusammen. »Wenn man in einer Umgebung überleben will, die für den Menschen eigentlich eine feindliche ist, wird einem viel stärker bewusst, wie wertvoll Luft und Wasser sind«, bringt es Waltraut Hoheneder auf den Punkt. 

Viele der Projekte, die Barbara Imhof, Waltraut Hoheneder und René Waclavicek auf Trab halten, entstehen in enger Zusammenarbeit mit internationalen Raumfahrtagenturen wie der NASA oder der ESA. So zum Beispiel die Planung des Wohnmoduls I-Hab für die neue internationale Raumstation Lunar Orbital Platform-Gateway (LOP-G), die ein gemeinsames Projekt von NASA, ESA, der kanadischen Raumfahrtagentur CSA und der japanischen JAXA ist. Die Raumstation ist als Zwischenstopp zwischen Erde und Mond gedacht und möglicherweise auch für zukünftige Missionen zum Mars. Die beiden Wohnmodule sollen Platz für jeweils vier Personen bieten. 

Eine genaue Prognose, wann die ersten Menschen am Mars landen könnten, möchten die drei WeltraumarchitektInnen nicht abgeben. Das immer wieder kolportierte Ziel, das schon in den 2030er Jahren zu versuchen, halten sie für ambitioniert. »Es gibt noch große Hürden auf dem Weg dorthin, wobei die allergrößte nach wie vor die extreme Strahlenbelastung ist«, sagt Waclavicek. Für ihn zählt ein vollständig von Robotern übernommener Aufbauprozess der grundlegenden Infrastruktur zu den wichtigsten Voraussetzungen. »Damit die ersten Menschen, die den Mars betreten, dort schon Strukturen vorfinden, die sie vor der Strahlenbelastung schützen.« Beispielsweise durch Schichtstrukturen, für die man das vorhandene Baumaterial, den sogenannten »Regolith«, heranziehen könnte. Diese Schutzschicht müsste allerdings in etwa zwei bis drei Meter dick sein. 

Das Projekt »RegoLight«, an dem LIQUIFER maßgeblich beteiligt war, widmet sich der Erforschung des Aufbaus solcher Schichtstrukturen mittels 3D-Druckverfahren.  Die wichtigste Prämisse dabei lautet: Verwendet wird nur, was vorhanden ist. In diesem Fall also Mondstaub und Sonnenlicht. »Unsere Aufgabe war es, Geometrien, also Ziegel, zu entwickeln, die miteinander verzahnbar sind. Man kann sich das ein bisschen wie Lego vorstellen, nur dass es ein wenig anders ausschaut«, erklärt Barbara Imhof. Eine ähnliche Technologie könnte vielleicht eines Tages am Mars zum Einsatz kommen. 

 

Credits: RegoLight Consortium, Visualisation: LIQUIFER

Ein Gewächshaus für Körper und Geist 

Doch nicht nur der Aufbau einer Schutzschicht, sondern auch der einer funktionierenden Biosphäre wird bei derartigen Projekten eine entscheidende Rolle spielen. Wie Waltraut Hoheneder erklärt, wird bereits viel darüber nachgedacht, welche Pflanzen und Mikroben für solch eine Mission in Frage kämen. Einen wichtigen Forschungsbeitrag auf diesem hochkomplexen Gebiet leistete LIQUIFER beispielsweise mit der Beteiligung an dem  Forschungsprojekt »Eden ISS«, einem Gewächshaus, das vier Jahre lang in der Antarktis getestet wurde und nun abgebaut wird. Nur mit künstlichem Licht, einem Nährstoffmix und ohne Erde wurde erforscht, welche Obst- und Gemüsesorten unter solch schwierigen Bedingungen wachsen können. Die gewonnen Erkenntnisse sollen dabei helfen, Wege zu finden, Menschen auch unter extremen Bedingungen ernähren zu können – beispielsweise auf Weltraummissionen. Außerdem, fügt Waltraut Hoheneder hinzu, unterstrich das Forschungsprojekt den wichtigen psychologischen Effekt eines solchen Gewächshauses. 

»In einer Wüste aus Eis eine Pflanze zu sehen und den Geschmack von etwas Frischem im Mund zu haben wirkte sich positiv auf das Wohlbefinden der ForscherInnen aus«, fasst sie zusammen. Das zeigt auch, dass sich die Grundbedürfnisse der Menschen nicht ändern, egal ob sie in einer Großstadt, auf dem Land, in der Antarktis oder im Weltall leben. »Wir brauchen etwas zu essen, wir brauchen Luft und Wasser, haben gerne etwas Sinnvolles zu tun, sind von Natur aus neugierig und haben uns als Spezies dem Erforschen gewidmet«, so Barbara Imhof in einem Interview mit Madame Wien. Was die Bedeutung der letzten beiden Punkte betrifft, besteht nach einem Gespräch mit der Architektin und ihren beiden KollegInnen keinerlei Zweifel mehr. [SW]

 

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