Reduce to the Max

Hochprozentige Ästhetik

Text Janna STRAUSS | Fotografie Daniela TROST

Wie schön ist eigentlich Destillation? Wer sich in diesem Leben schon die Frage nach dem Verhältnis von Schönem und Nützlichem gestellt hat, befindet sich in bester Gesellschaft. Bereits Aristoteles diskutierte Ideen wie »Kann Technik ästhetisch sein?« oder »Ist Schönheit mit Funktion überhaupt vereinbar?«. Jeder Whiskeybrenner würde bei diesen Fragen einen kurzen Blick auf seine kupfernen Brennblasen werfen, die im Licht der untergehenden Sonne sanft schimmern, versonnen an der soeben entnommenen, goldenen Whiskeyprobe aus dem 12-Jahres-Fass schnuppern, sich selbst zu seiner Berufswahl beglückwünschen, und dann mit einem eindeutigen Ja antworten.

Bastian Heuser von den Spreewood Distillers bei Berlin ist ein solcher Whiskeybrenner. Gemeinsam mit Steffen Lohr und Sebastian Brack hat er im Jahr 2016 die Spreewald-Destillerie im malerischen Schlepzig übernommen und mit einem so liebevollen wie professionellen Auge für Details zur ersten deutschen Rye-Whiskey-Brennerei ausgebaut. Heute führt er uns persönlich durch die heiligen Hallen des 1600 Quadratmeter großen Destilleriegeländes. Riesige Säcke mit Roggen warten in der großen Scheune neben dem wie hingemalten Bachlauf auf ihre Verarbeitung. Daneben blinken stählerne Gärbottiche. Ein ehemaliges Hofgebäude weiter stehen die fast lächerlich schönen Kupferbrennapparate, in denen das passiert, was uns heute am meisten interessieren soll. Neugierig streichen wir über das schimmernde Metall, werfen fragende Blicke durch das kleine Sichtfenster ins Innere des Brennkessels, bewundern das technische Hin und Her der Kupferleitungen und freuen uns auf den anschließenden Whiskeycocktail im Innenhof. Doch zurück zur schönen Technik: Was tun die Brennblasen eigentlich, außer funkelnd gut auszusehen?

 

Kupfer ist nicht umsonst das Material  der Wahl: Das Halbedelmetall baut unter anderem unerwünschte Schwefelverbindungen ab.

 

KONZEPTION EINES WHISKEYS

Zunächst sei gesagt: Das Kupfer hat eine tatsächliche Funktion. Das Halbedelmetall reagiert chemisch mit der Flüssigkeit in der Brennblase und baut unter anderem unerwünschte Aromen aus etwa Schwefelverbindungen ab. Die Brennblasen verlieren bei diesem Prozess über die Jahre immer weiter an Material und werden daher regelmäßig ausgetauscht. Denn: Jeder gute Whiskey ist immer nur so gut wie das schwächste Glied seiner Entstehungskette. Da es hier um die Ästhetik des technischen Aspekts der Whiskeyproduktion, in diesem Fall also der Destillation, gehen soll, sei nur kurz auf die vorangestellten Schritte eingegangen.

Whiskey wird aus dem sogenannten Beer gebrannt, das durch das Maischen und Fermentieren des zuvor gemälzten Getreides — in unserem Fall: überwiegend Roggen — entsteht. Als »Mälzen« bezeichnet man das 48- bis 72-stündige Einweichen des Getreides in Wasser, das anschließend auf dem eigens angelegten Mälzböden ausgebreitet wird und in einem Zeitraum von bis zu zwei Wochen, je nach Gusto der jeweiligen Destillerie, auskeimt. Das Keimen ist deshalb wichtig, weil sich dabei — denn im Grunde möchte hier eine Pflanze entstehen — Zucker bildet, der für die Whiskeyproduktion nötig ist. Ist der gewünschte Zustand des Getreides erreicht, wird die Keimung punktgenau durch Trocknung gestoppt. Das Getreide wird geschrotet und mit heißem Wasser in den sogenannten Mash Tun, den Maischbottich, gegeben, sodass die wertvolle Stärke gelöst werden kann. Nach dem Abkühlen wird die Maische in die Wash Backs, die Gärtanks, gefüllt und zum Gären mit spezieller Hefe versetzt. Im Gärbereich der Spreewood Distillery duftet es dementsprechend säuerlich — die Hefekulturen leisten ganze Arbeit und verwandeln den vorab erwähnten Zucker in das, was später als Volumenprozent auf der Flasche stehen soll. Ist der Prozess abgeschlossen, sterben beziehungsweise »verhungern« die Hefen und in den Wash Backs ruht das fertige Beer — bereit zur Destillation.

GEBURT IN KUPFER

Master Distiller Steffen Lohr füllt das Beer, das zu diesem Zeitpunkt zwischen sechs und zehn Volumenprozent hat, in die erste Brennblase, die Wash Still. Jetzt folgt der erste Brenndurchgang, der um die vier Stunden dauert: Die Wash Still wird erhitzt und das Beer fängt dank der zugeführten Wärme an zu dampfen. Durch das Sichtfenster lässt sich der Vorgang faszinierend beobachten: Schäumende Flüssigkeit und dichte Dampfwolken geben ein beeindruckendes Bild. Der aufsteigende Dampf wird aufgefangen und durch den sogenannten Neck zum Low Wine Receiver geführt. Dabei kondensiert der Dampf. Die entstehende Flüssigkeit, der Low Wine, beinhaltet mit etwa 20 bis 25 Volumenprozent mehr als doppelt so viel Alkohol wie das ursprüngliche Beer.

Direkt an die erste Brennblase ist die zweite Brennblase, die Spirit Still, angeschlossen. Hier brennt der Brennmeister beim zweiten Brenndurchgang den Low Wine zu Whiskey, dessen Herz er anschließend im Spirit Receiver auffängt. Dabei verlässt er sich rein auf seine Erfahrung: Im ungenießbaren Vorlauf befindet sich unter anderem scharfes Ethylacetat — diesen muss Lohr abpassen und im richtigen Moment den Mittellauf öffnen. Auch der richtige Zeitpunkt zum Schließen des Mittellaufs muss gut gewählt sein, denn der Nachlauf gehört mit seinen Fuselölen ebenso wenig in das fertige Destillat wie der Vorlauf.
Dann ist Geduld gefragt: Bis zum ersten Schluck lagert der eben geborene Whiskey viele Jahre im ehemaligen Bourbon- und Weißweinfass, die mit der Zeit feine Vanille-, Toffee und Bitterschokoladennoten an das edle Destillat abgeben.

 

 

PHILOSOPHIE ON THE ROCKS

Doch wie es der Zufall und Bastian Heuser wollen, stehen genug Flaschen fertig gereifter Rye Whiskey bereit und wir mixen uns einen ersten Vieux Carré (ein Vintagecocktail, so dunkel wie eine Dienstagnacht in New Orleans). Die Gespräche und Ideen schweben auf einer weichen Roggenwolke über den Tischen und, wie den alten Philosophen, beschäftigt uns nun die Frage, warum wir der eben erlebten Technik einstimmig eine ganz eigene Schönheit attestieren? Warum wir den Prozess der Destillation als so ästhetisch empfinden, dass wir meinen, ihn im Glas schmecken zu können?

Es gibt eine objektive Schönheit, über die lässt sich nicht streiten — Naturphänomene wie ein klarer Sternenhimmel, vom Wind aufgepeitschte Ozeanwellen oder ein gesunder Wald sorgen beim Betrachtenden für Faszination und Gänsehaut. Überlegen wir, was Destillation ausmacht, dann ist es das Eindampfen einer Substanz auf ihre Essenz. Das ureigenste Wesen wird gewissermaßen herausgearbeitet, nichts .berflüssiges bleibt mehr übrig. Würden wir Sätze destillieren, bliebe die Kernaussage. Ein guter Werbeslogan oder eine griffige Überschrift funktioniert im Grunde so. Reduce to the max. Der Minimalismus hat aus der Idee der Destillation eine ganze Bewegung gemacht, und Marie Kondo einen Beruf: Den eigenen Besitz destillieren auf seine oberen 30 Prozent? Gerne.

Ob die Faszination für das Wesentliche, zumindest in unserem kleinen Kulturuniversum, auch deshalb so stark ist, weil wir uns inmitten eines ständigen Überangebots von allem auch mal Klarheit und Reduktion wünschen? Vielleicht. Ob ein Rye Sour dabei helfen würde, der Antwort auf diese Frage weiter auf den Grund zu kommen? Definitiv. Bastian gibt Rye Whiskey, Zitronensaft, Zuckersirup, Eiweiß und einen Dash Bitters in den Shaker und lässt die Eiswürfel klappern. Abgeseiht, fertig.

 

DESTILLATION AM ANDEREN ENDE DER WELT

Weich rinnt der cremige Cocktail ins Denkzentrum. Mir fällt ein Besuch im mexikanischen Hinterland ein. Es ist 2016. Irgendwo zwei Autostunden hinter Oaxaca-Stadt landen wir bei einem sonnenverbrannten Maestro Mezcalero namens Israel, der in soundsovielter Generation eine kleine Mezcalbrennerei, eine palenque, führt. Ein vollkommen anderer Prozess als die Whiskeydestillation, mehr ein religiöses Ritual, und damit nicht minder spektakulär. Mezcal wird aus dem Herz der Agave gebrannt. Dabei begleitet der Mezcalero seinen Brand von der kleinen Agavenpflanze an. Bis zu zehn Jahre wachsen die Pflanzen an mehr oder weniger steilen Hängen, bis sie auf dem Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeit geerntet werden. Der Brenner braucht die piña, das Herz der Agave, und zwar genau jetzt, wenn sich die gesamte Energie der Pflanze darin zentriert hat, um auszutreiben, zu blühen und dann zu sterben. Die Arbeiter, die nun mit ihren scharfen Macheten anrücken, greifen der Natur also im Grunde nur ein paar Wochen vor. Und trotzdem wirkt es so brutal, dass man kaum hinsehen möchte, wenn die fleischigen Blätter der Pflanzen mit kräftigen Hieben abgeschlagen werden und die bis zu 80 Kilogramm schweren Herzen schließlich vom Boden gestemmt und auf die erdige Ladefläche des bereit stehenden Pickup-Trucks geladen werden.

In der palenque ist der Erdofen bereits vorbereitet, der Boden des drei Meter tiefen Lochs ist mit Steinen und Ästen bedeckt. Israel hat das Feuer geschürt und wieder erstickt. Es qualmt und kohlt. Die Arbeiter kommen mit dem vollbeladenen Pickup-Truck um die Ecke und entladen die schweren piñas auf den gestampften Boden um den Erdofen. Hier werden die Herzen in große Stücke zerschlagen, auf die Glut geworfen und anschließend gut mit Erde und Agavenfasern bedeckt. Unter dem jetzt einen Meter hohen Hügel köcheln die Herzstücke vier Tage lang, bis die Hitze die enthaltenen Kohlenhydrate in verwertbaren Zucker für die Gärung umgewandelt hat. Wir nutzen die Tage für einen kleinen Roadtrip und kommen wieder, um zu erleben wie die Erdschicht des Ofens abgetragen und die warmen, karamellisierten Agavenstücke zum Mahlen vorbereitet werden. Israels kleines braunes Pferd zieht den schweren Mahlstein immer wieder im Kreis über die wertvollen Stücke, bis ein faseriger Brei entsteht. Diese fertige Maische wird in offene Gärbottiche gefüllt, wo wilde Hefen die wichtige Gärung in Gang setzen und — genau wie in der Schlepziger Whiskeydestillerie, den chemischen Prozessen sind Landesgrenzen herzlich egal — den enthaltenen Zucker zu Alkohol umwandeln.

 

Die Qualität der Apparaturen zählt genauso viel wie die des Getreides. Denn jeder gute Whiskey ist immer nur so gut wie das schwächste Glied seiner Entstehungskette.

 

VON MAISCHE UND MITTELLAUF

Da dieser Prozess ein bis zwei Wochen dauert, sind wir froh, dass ein Fass mit bereits fertig fermentierter Maische bereitsteht. Unter den beiden kupfernen Brennblasen — ein bisschen weniger beeindruckend als die funkelnden Apparate in Brandenburg, dafür mit Agavenkulisse — schlagen schon die ersten Flammen. Mitsamt Agavenfasern wird die Maische im ersten Brenndurchlauf auf bis zu 30 Volumenprozent und bei der zweiten Destillation, der sogenannten rectificatión, auf 45 bis 55 Volumenprozent gebrannt. Auch Israel arbeitet nach dem Vorlauf-Mittellauf-Nachlauf-Prinzip. Er lässt den estherhaltigen Vorlauf im Sand der palenque verrinnen und fängt dann den ersten Strahl des mundgerecht gebrannten Mezcal mit einer kleinen Kürbisschale, der traditionellen jicara, auf. Der Stolz in seinen schwarzbraunen Augen blitzt mit den beiden Brennkesseln um die Wette, als wir den fertigen Brand kosten. »Bueno, hé?« Vielleicht ist ein Destillat sogar mehr als die reine Konzentration seiner Ausgangssubstanz, sinnieren wir zurück unter dem Brandenburger Nachthimmel. Vielleicht tragen auch die Liebe zum Destillationsprozess, die Konzentration bei der Herstellung und der Stolz auf das fertige Produkt zu dem irgendwie unbeschreibbaren Je-ne-sais-quoi bei, das handgefertigte Spirituosen wie ein schöner Schleier umgibt, das in Craft Spirits — wie dem Rye Whiskey aus dem Spreewald oder dem Mezcal aus dem mexikanischen Nirgendwo — lebt, wo echte Menschen mit Herz und Begeisterung am Brennkessel stehen. Und wir wünschen uns ein bisschen good ol‘ Aristoteles in die Runde. Er hätte sicher ein paar spannende Ideen beigetragen. Ob er ein guter Whiskeybrenner gewesen wäre? Ganz bestimmt sogar.

 

Geschmack auf der  ganzen Linie: Die Whiskeydestillerie im Spreewald wurde einer  sorgfältigen Restaurierung unterzogen.

 

RYE WHISKEY COCKTAILREZEPTE

Nicht umsonst haben wir für diese Reportage die Destillerie ausgewählt, die 2019 die World Whiskies Awards gewann — und das als nicht-amerikanische Brennerei. Ein kleiner wunderbarer Skandal. Mit dem Stork Club »Full Proof« Rye Whiskey (55 Volumenprozent) aus dem Spreewald macht man beim Spirituosenhändler seines Vertrauens also alles richtig. Wer sich weiter durch das noch überschaubare, aber höchst empfehlenswerte deutsche Rye-Angebot kosten möchte, dem seien etwa der Straight Rye Whiskey vom Freimeisterkollektiv oder der Signatur Single Rye von Eifel Whisky ans Herz gelegt.

 

VIEUX CARRÉ

Zutaten

3 cl Rye Whiskey

3 cl Cognac V.s.o.p.

3 cl Roter Vermouth

.75 cl Bénédictine

1 Dash Angostura

1 Dash Peychaud’s Bitter

Glas: Tumbler

Garnitur: keine

Zubereitung

Alle Zutaten mit Eis im Mixingglas rühren und in einen vorgekühlten Tumbler auf Eis abseihen.

 

RYE SOUR

Zutaten

6 cl Rye Whiskey

3 cl Zitronensaft

2 cl Zuckersirup

1/2 Eiweiß

Bitters

Glas: Sourglas

Garnitur:

Zitronenzeste

Zubereitung

Alle Zutaten im Shaker mit Eiswürfeln kräftig shaken. Doppelt in ein vorgekühltes Sourglas abseihen und mit einer Zitronenzeste garnieren.

 

ALGONQUIN COCKTAIL

Zutaten

4.5 cl Rye Whiskey

2 cl tr ockener  Vermouth

2 cl frischer Ananassaft

Glas:

Cocktailschale

Garnitur: keine

Zubereitung

Alle Zutaten im Shaker mit Eiswürfeln kräftig shaken. Doppelt in eine vorgekühlte Cocktailschale abseihen.

 

MEZCAL COCKTAILREZEPTE

Bei der Wahl des passenden Mezcal helfen ein paar Eckdaten, an denen sich relativ sicher ein gutes Destillat erkennen lässt. Der Mezcal sollte aus 100 Prozent Agave gebrannt sein und mindestens 40 Volumenprozent zählen. Auf der nummerierten Flasche sollten der Produktionsort und der Name des Maestro Mezcalero zu lesen sein. Wer ganz sicher gehen will, schüttelt die Flasche vor dem Kauf: Bilden sich die charakteristischen kleinen Bläschen, kann man von einem starken Alkoholgehalt ab 45 Volumenprozent und einer guten Qualität ausgehen. Der vielzitierte Wurm ist übrigens eine Schmetterlingslarve— und ein verlässliches Zeichen für ein eher mittelprächtiges Destillat.

 

MEZCAL MULE

Zutaten

5 cl Mezcal

2 cl Maracuja-Püree

1.5 cl Limettensaft

1 cl Tonic Sirup

10 cm Gurke

Glas: Tumbler

Garnitur: Gurkenscheibe

Zubereitung

Die Gurke würfeln und im Shaker andrücken. Restliche Zutaten hinzufügen, kräftig shaken und durch ein Teesieb in einen vorgekühlten Tumbler auf Eis abseihen. Mit einer Gurkenscheibe und optional etwas Chilipulver garnieren.

 

OAXACA OLD FASHIONED

Zutaten

1.5 cl Mezcal

4.5 cl Reposado

Tequila

2 Dashes Angostura

Bitters

1 Barlöffel Agavennektar

Glas: Tumbler

Garnitur: flambierte Orangenzeste

Zubereitung

Alle Zutaten in einen vorgekühlten Tumbler auf Eis geben, umrühren und mit einer flambierten Orangenzeste garnieren.

 

AMERO

Zutaten

6 cl Mezcal Reposado

1.5 cl Chai-Ahornsirup

1 Dash Selleriebitter

1 Dash Grapefruitbitter

1 Dash Aromatic Bitters

Glas: Tumbler

Garnitur: Grapefruitzeste

Zubereitung

Alle Zutaten auf Eis rühren und in einen vorgekühlten Tumbler auf frisches Eis abseihen. Mit einer Grapefruitzeste garnieren.