Interview Sarah WETZLMAYR
Wenn Felix Kilbertus, Head of Exterior Design bei Rolls-Royce, über Formen und Linien der Rolls-Royce-Modelle spricht, ist die Grenze zwischen Begeisterung und absoluter Hingabe sehr schnell durchbrochen.
Seit Februar 2017 ist der gebürtige Oberösterreicher Felix Kilbertus als Head of Exterior Design bei der traditionsreichen britischen Marke Rolls-Royce tätig. Nicht sein erster Job in leitender Position — zuvor zeichnete er sich drei Jahre lang für das Exterior Design bei Fiat verantwortlich. Aber auch bei Renault, Nissan und dem renommierten Designbüro Pininfarina durfte er schon Ideen und Entwürfe entwickeln und umsetzen. Diesen offenbar stark ausgeprägten Wunsch danach, die eigenen Fähigkeiten immer wieder neu auszuloten und auf verschiedene Marken und Modelle anzuwenden, merkt man dem jungen Designer im Gespräch nicht an. Von Rastlosigkeit keine Spur.
Ganz im Gegenteil: Ruhig und eloquent schildert er, wann es notwendig ist, bestimmte Linien konsequent fortzuführen und welche sich so verbiegen lassen, dass sie Tradition und Moderne auf ideale Weise miteinander verbinden. Scheint fast so, als ließe sich das Bild des ruhenden Löwen nicht nur auf die Modelle der Marke Rolls-Royce, sondern auch auf Felix Kilbertus anwenden.
Als Head of Exterior Design bei Rolls-Royce weiß Felix Kilbertus, an welchen Schrauben er drehen muss, damit Tradition und Moderne wie aus einem Guss erscheinen. © Antonio Lagrotta
Chapter Sie wurden in der oberösterreichischen Stadt Wels geboren. Mit welchen Automobilen sind Sie aufgewachsen und wie stark haben Sie diese Fahrzeuge geprägt?
Felix Kilbertus Das waren zu Beginn natürlich die Autos der Familie. Ich kann mich an das erste Auto meines Vaters, einen schönen, alten Peugeot, noch sehr gut erinnern. Auch das Auto von meinem Großvater ist mir gut in Erinnerung geblieben. Er ist jahrelang einen Mercedes gefahren. Für mich sind die Erinnerungen an diese Fahrzeuge stark mit den Reisen, die wir damit unternommen haben, verknüpft. Mit bestimmten Erlebnissen und der Lust daran Dinge zu entdecken. Diese Verbindung hat mich immer sehr fasziniert. Aber auch die Autos selbst. Auch heute erzählt mir meine Mutter noch, dass ich die Autos erkannt habe, noch bevor ich ihre Namen richtig aussprechen konnte. Die Form der Autos, ebenso wie einzelne grafische Elemente, haben auf mich wohl genauso anziehend gewirkt, wie das Gefühl der Fortbewegung und die Idee, dass man mit dem Auto tatsächlich an einen anderen Ort kommt.
Chapter Also durchaus auch eine Faszination, die stark emotional geprägt war?
Felix Kilbertus Ja, das bestimmt auch. Trotzdem ging es mir auch als Kind schon darum, wie sich Autos anfühlen. Um das Ausforschen der Tatsache, dass sich ein französisches Auto ganz anders anfühlt und andere Eigenarten hat als ein deutsches Auto. Um hier nur ein Beispiel zu erwähnen. Diese Eigenarten haben mich schon als Kind fasziniert.
Chapter Wenn man auf die ersten eigenen Fahrzeuge oder auf jene der Familie zurückblickt, ist in der Regel nur sehr selten ein Rolls-Royce dabei. Was waren Ihre ersten Berührungspunkte mit der Marke?
Felix Kilbertus Die ersten Autos der Marke Rolls-Royce habe ich vermutlich auf Bildern oder in Bildbänden gesehen. An einen spezifischen Moment oder ein bestimmtes Erlebnis kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube aber, dass wenn man aber als Kind schon so eine große Faszination für Autos hegt, man an der Marke einfach nicht vorbeikommt. Und natürlich sieht man dann seinen allerersten Rolls-Royce einmal tatsächlich vorbeifahren oder betrachtet ihn im Museum und hat damit plötzlich eine echte Ikone vor sich. Rolls-Royce ist einfach eine dieser Marken, die man kennt, obwohl man die Fahrzeuge vielleicht noch gar nicht so oft wirklich erlebt hat.
Chapter Sie konnten ja bereits in einigen unterschiedlichen Designteams Erfahrungen sammeln. Wie kann man sich in der Automobilbranche den Umstieg von eher massentauglichen Produkten zu absoluten Luxusprodukten, wie eben den Fahrzeugen der Marke Rolls-Royce, vorstellen?
Felix Kilbertus Als Designer ist dieser Umstieg überraschenderweise gar nicht so schwierig. Auf jeden Fall habe ich ihn nicht als besonders belastend empfunden. Weil man sich immer mit dem Objekt und den damit verbundenen Emotionen beschäftigt. Darüber hinaus handelt es sich beim Automobil natürlich auch immer um ein technisches Objekt. Das bedeutet,dass gewisse Abläufe und Problemstellungen sehr ähnlich sind. Für mich wurde es bei Rolls-Royce besonders interessant, als ich realisiert habe, wie spezifisch Dinge werden können. Für einen Designer ist es natürlich hochfaszinierend, wenn sich plötzlich im Detail Unterschiede ergeben, an denen man arbeiten muss. An denen man arbeiten darf. Ich glaube, dass es eine unglaubliche Erweiterung des eigenen Horizontes ist, in diese ganz feinen emotionalen Dinge einsteigen zu können. Vor allem bei einer Marke wie Rolls-Royce, die von einem solch großen Mythos umgeben ist. Im ersten Moment war da natürlich auch sehr viel Ehrfurcht vor dieser langen Geschichte. Aber es macht natürlich auch wahnsinnig viel Spaß sich in diese Geschichte einzuarbeiten und es wurde mir mit der Zeit immer stärker bewusst, dass ich innerhalb dieses Rahmens sehr viel für die Marke erreichen kann. Und natürlich auch für den Kunden. Besonders schön daran ist auch, dass wir bei Rolls-Royce ja quasi direkt für den Kunden arbeiten. Anders als bei einem klassischen Massenhersteller gestalten und produzieren wir die Autos nicht für anonyme Personas, die bestimmten Marketinganforderungen entsprechen müssen. Das macht die Fahrzeuge, die wir produzieren, sehr viel individueller. Das spürt man sowohl in den Teams, die sehr klein sind, als auch in den Arbeitsabläufen. Man kennt sich einfach sehr gut. So eng, so gut abgestimmt und so detailliert zu arbeiten, macht sehr viel Spaß.
Chapter Wie Sie ja bereits angedeutet haben, handelt es sich bei Rolls-Royce um eine sehr markante Marke mit außergewöhnlich spitzer Zielgruppe. Außerdem spielen Tradition und Heritage eine große Rolle. Wie viel Bewegungsfreiheit haben Sie innerhalb dieses Rahmens tatsächlich und welche Rolle spielt, wie Sie es vorher genannt haben, die Ehrfurcht vor der Marke?
Felix Kilbertus Es gibt prinzipiell natürlich schon diese Idee von Tradition, von bestimmten Regeln und von Kontinuität, gleichzeitig gibt es aber natürlich auch Freiräume. Als Designer hat man es schließlich immer mit gewohnten und mit ungewohnten Dingen zu tun. Und das ist überhaupt kein Widerspruch. Um hier ein konkretes Beispiel zu geben, möchte ich gerne den typischen Rolls-Royce-Kühlergrill erwähnen. Eines der stärksten ikonischen Merkmale der Marke. Seit Firmenbeginn erkennt man diese Form an der Front sofort, egal ob die Scheinwerfer groß oder klein oder rund oder eckig sind. Das ist für eine Automobilmarke sehr ungewöhnlich. In diesen Elementen findet sich also die bereits erwähnte Kontinuität. Je weiter wir zur Seite schwenken oder in Richtung Heckbereich gehen, desto größer werden aber die Freiräume. In diesen Bereichen geht es dann für mich vor allem darum, dass das sogenannte Ungewohnte, das noch nicht Teil der Tradition ist, als Chance wahrgenommen wird. Aus diesen wahrgenommenen Chancen können dann später sogar Traditionen werden. Das ist ein sehr spannender und natürlich immer auch ein dynamischer Prozess.
Chapter Design an sich sollte ja ohnehin immer als dynamischer Prozess wahrgenommen werden …
Felix Kilbertus Das stimmt. Und dadurch ergibt sich auch immer ein Prozess, in dem das Gewohnte und das Ungewohnte nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich einfach zu zwei verschiedenen Polen entwickeln. Gestaltung ist ja immer nur in einer Art Zeitfluss zu sehen. Vielleicht kennen Sie ja dieses berühmte Bonmot, dass man nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen kann. Das gilt für das Automobildesign vielleicht noch sehr viel stärker als für jeden anderen Bereich. Der immergleiche Entwurf reicht eines Tages einfach nicht mehr. Und das ist vermutlich einer der faszinierendsten Aspekte in der Gestaltung. Man schreitet ständig voran und versucht sich diese Freiräume aktiv zu erarbeiten. Zuerst im Designteam oder mit den Kollegen aus Marketing und Vertrieb, aber natürlich auch mit den Technikern, den Aerodynamikern und vielen anderen. Dadurch wird der Kampf um diesen Freiraum dann zu jener Arbeit, die für jeden Designer und jede Designerin wohl die spannendste ist. Dabei ist die Tradition dann vielleicht ein Leuchtturm, der ein bisschen Richtung geben kann, aber nie das Ziel. Die Welt des Automobildesigns ist einfach keine statische Welt. Deshalb ist mir hier die Metapher des Flusses auch lieber, als die Idee einer statischen Architektur, die möglicherweise sogar zu einem fixen Dogma wird.
Chapter Das menschliche Gehirn kann ja nur sehr geringe Mengen neuer Information am Stück verarbeiten. Bei der Einführung neuer Produkte spielt also das Gewohnte eine weitaus größere Rolle als man sich das oft vorstellt. Ich nehme an, dass das für das Automobildesign auch so gilt. Wie findet man die perfekte Balance zwischen dem Gewohnten und dem Ungewohnten? Wie überrascht man den Kunden ohne ihn zu überfordern?
Felix Kilbertus Hier kommen sehr viele Aspekte zusammen. Ich formuliere es mal frech und sage, dass man das im Vorhinein nie weiß. Weil eben ständig alles im Wandel ist und gewisse Prozesse auch einfach ihre Zeit brauchen. Der Großteil der Entwicklungsprozesse in unserem Bereich wird in Jahren und nicht in Wochen gemessen. Dadurch braucht es sehr viel Überzeugung und sehr viel Bewusstsein dafür, in welche Richtung man als Marke und als Entwicklungsteam gehen möchte. Natürlich was die Werte angeht, für die man als Marke steht, aber auch was die Gefühle betrifft, die man ausdrücken möchte. Was sind die Motivationen, die vielleicht auch ein Käufer spürt, sucht oder ausdrücken möchte? Die Form ist dann eher die Konsequenz aus dem was zu einem bestimmten Zeitpunkt und innerhalb eines Entwicklungsprozesses möglich ist. Das gilt vor allem für eine Marke wie Rolls-Royce, die aus Überzeugung langlebige Produkte auf den Markt bringt. Der Vorgänger des aktuellen Phantom hat sich zum Beispiel 14 Jahre lang am Markt bewähren müssen.
»Architecture of Luxury« nennt der britische Autohersteller jene Plattform, auf der — seit der Einführung des neuen Phantom im Jahr 2018 — alle Rolls-Royce-Modelle aufgebaut sind. Dadurch wird das für die britische Luxusmarke typische, gleitende Fahrgefühl noch stärker spürbar. Ebenso ikonisch wie dieses Gefühl ist die »Spirit of Ecstasy«, die stolz über dem Markenemblem schwebt.
Chapter Man strebt im Grunde also immer danach eine Ikone zu schaffen?
Felix Kilbertus Ich glaube, dass die Schwierigkeit tatsächlich eher in der Überlegung liegt, welche Art von Gestaltung so stark ist und gleichzeitig so viel Charakter und Charisma hat, dass sie mehrere Jahre und vielleicht sogar mehrere Jahrzehnte überdauern kann. Und an diesem Punkt ist dann die Balance zwischen Überraschung und vertrauten Sehgewohnheiten gar nicht mehr so wichtig. So wichtig erste Eindrücke auch sind, gibt es bei Fahrzeugen und speziell bei neuen Fahrzeugen immer eher die Gefahr, zu nah am Gewohnten zu bleiben. Diese Gefahr ist meiner Erfahrung nach deutlich öfter gegeben, als die Gefahr zu innovativ zu sein. Geschichtlich betrachtet fallen mir etwa zehn Autos ein, die für den jeweiligen Markt zu futuristisch waren, aber mir fallen hunderte Beispiele von Autos ein, die zu konservativ waren und dadurch nie wirklich Charakter entwickeln konnten und deshalb auch nie zu markenprägenden Produkten wurden. Ich bin überzeugt davon, dass das Ungewohnte immer eine wichtige Rolle spielen muss. Die Balance trotzdem zu halten, fällt uns bei Rolls-Royce vielleicht deshalb etwas leichter, weil wir sehr viele Elemente haben, die auf gute und gewohnte Formen abzielen und diese aufrechterhalten.
Chapter Welche Elemente meinen Sie, wenn Sie von den guten und gewohnten Formelementen sprechen?
Felix Kilbertus Zu den typischen Markenikonen von Rolls-Royce zählt natürlich der Kühlergrill, aber auch viele andere Details, wie die »Spirit of Ecstasy«, sollten hier erwähnt werden. All diese Details sind wichtig, trotzdem glaube ich, dass es in erster Linie auf die Ausstrahlung eines Autos ankommt. Und diese Ausstrahlung wird immer über die Proportionen und die Silhouette eines Fahrzeuges transportiert. Wenn es um das Exterior Design bei Rolls-Royce geht, wird man immer auf bestimmte Spannungsverhältnisse treffen, die man teilweise auch wirklich sehr mathematisch ausdrücken kann. Da geht es zum Beispiel um den Abstand zwischen dem Armaturenbrett und der Vorderachse, aber auch um Höhen und Breitenverhältnisse oder um die Idee, dass die Gürtellinie im Verhältnis zur Dachlinie in einem bestimmten Verhältnis stehen muss. Da kann man sehr viel an Gewohntem einbringen und kann dann an anderen Stellen dafür sehr mutig sein. Und daraus ergibt sich dann vermutlich diese Balance aus Bekanntem und Überraschendem. Das macht es gleichzeitig aber umso wichtiger, sich bewusst zu entscheiden, an welchen Stellhebeln man nach vorne springt und an welchen Hebeln man eher beruhigt und Kontinuität beweist. Stark heruntergebrochen würde ich also sagen, dass es in erster Linie immer um die Ausstrahlung und die Eigenständigkeit eines Fahrzeuges geht und dass sich beides in erster Linie über die Proportionen und die Silhouette ausdrückt. Und dann geht es erst in die Form und in den Ausdruck. In die Expression, wenn man so will. Also um die Form eines Scheinwerfers oder um die genaue Spannung einer Linie. Und dann geht es aber noch ein Level präziser, also wirklich um Details, um Materialien und um Licht. Aber auch um Bewegungen und Produktfeatures, um die spezielle Art wie sich eine Tür öffnen lässt, zum Beispiel.
Chapter Design löst ja sehr unmittelbar Emotionen aus. Deshalb kann sich gutem, aber auch schlechtem Design, niemand so recht entziehen. Welche Emotionen sollen Design und Formensprache bei Rolls-Royce im Jahr 2019 auslösen?
Felix Kilbertus Ich glaube, dass jedes Auto, das unser Werk verlässt, eine gewisse Präsenz haben muss. Das ist ein sehr interessantes Wort, vielleicht auch deshalb, weil man es emotional spüren muss. Die Markenidentität lässt sich natürlich noch auf viele andere einzelne Detailthemen herunterbrechen. Da wäre zunächst einmal die Qualität der einzelnen Teile, aber zum Beispiel auch die Größe oder die Farbe. Da spielt auch die wahrgenommene Dichtheit der Materie mit. Unterm Strich geht es aber immer um Präsenz. Zusätzlich würde ich noch sagen, dass ein Rolls-Royce immer eine gewisse Souveränität ausstrahlen sollte. Es geht um Ruhe und Gelassenheit. Wir verwenden ab und zu das Bild eines ruhenden Löwen, weil wir hier sehr viel von der bereits besprochenen Ausstrahlung wiederfinden. Man weiß, dass da Kraft, Wille und Charakter da sind, gleichzeitig gibt es aber eine gewisse Ruhe und eine Souveränität, die diese Eigenschaften auf bestimmte Weise erden. Diese Vorstellung zieht sich eigentlich durch die gesamte Geschichte der Marke. Am Ausdruck der Scheinwerfer lässt sich das beispielsweise konkret festmachen. Aber auch an den Linien. Es wird bei Rolls-Royce nie eine aggressive Linie oder einen »bösen Blick« geben. Weil es darum schlichtweg nicht geht. Diese Ruhe und Gelassenheit haben wir außerdem auch ganz bewusst in das Erlebnis des Fahrzeuges, also auch in den Innenraum, integriert. Da geht es dann sehr oft darum, im Design bewusst Dinge zurückzunehmen. Da ist im Designteam mitunter auch sehr viel Disziplin gefordert, weil man sich häufig die Frage stellen muss, wo noch mehr Reduktion möglich ist. Das Ziel dabei ist, den Charakter des Autos so souverän wie möglich erscheinen zu lassen.
Chapter Ein spezifisches Charakteristikum von Rolls-Royce ist ja auch dieses Gefühl des Gleitens oder Schwebens beim Fahren. Auf welche Weise wird das schon durch das Design, speziell durch das Exterior vermittelt?
Felix Kilbertus Das ist ganz klar eines der Leitmotive der Marke. Deshalb verwenden wir hier auch sehr gerne das Bild des »Magic Carpet Ride«. Außerdem ist es natürlich auch ein wichtiger Teil der technischen Auslegung. Im Begriff »Architecture of Luxury« möchten wir dieses Gefühl und seine technischen Hintergründe bündeln. Aber natürlich versuchen wir auch immer dieses einzigartige Fahrgefühl durch das Design emotional lesbar zu machen. Hier geht es dann vor allem auch wieder um die Proportionen und die Silhouette. Wenn man sich die Proportionen vor Augen hält, wird beispielsweise sehr schnell klar, dass es sich zwar um dynamische Formen, aber gleichzeitig auch um sehr ruhige dynamische Formen handelt. Parallel dazu soll in der Seitenansicht eine gewisse Spannung und eine bestimmte Form von Kraft ausgedrückt werden. Bei uns passiert sehr viel davon über eine lange Motorhaube und über sehr kurze Überhänge vorne und bewusst elegante und längere Überhänge hinten. Die ruhende Kraft, die ja auch sehr stark mit diesem Gefühl des Gleitens verbunden ist, findet also allein dadurch schon ihren Ausdruck. Als konkretes Beispiel würde ich außerdem noch gerne die »Waft Line« erwähnen. Der Ausdruck lehnt sich an die weich federnden Bewegungen eines Bootes beim Beschleunigen und Abbremsen an, wenn es sich hebt und dann wieder ins Wasser einsinkt. Diese Linie sieht man beim Phantom auf sehr schlichte Art und Weise, bei Wraith und Dawn sieht man sie als Schattenfuge oder Schattenlinie, die sich vom unteren Türbereich nach vorne vorzieht und dann an der Seitenwand vorne ganz leicht nach vorne abkippt. Damit ist uns eine Linie gelungen, die in dieser Form niemand anderer in der Industrie verwendet, weil in ihr eben genau dieses Schwebende seinen konkretesten Ausdruck findet. Wir versuchen diese Linien auch sehr dezent und subtil einzusetzen, damit immer der Ausdruck erscheint, dass sich das Heck nach hinten verjüngt. Wir gliedern sie also so, dass der vordere Teil leichter und das Heck noch eleganter wird. Die Linien, mit denen wir arbeiten, sind generell eher horizontal und nach hinten leicht abfallend.
Mit dem Cullinan ist es Rolls-Royce gelungen, das Segment der Luxus-SUVs neu zu definieren. Auch er wurde, ganz der »Architecture of Luxury« entsprechend, auf der Plattform des neuen Phantom aufgebaut.
Chapter Bis auf den Kühlergrill. Hier finden wie sehr starke vertikale Linien. Das Design des Kühlergrills orientiert sich ja an der Architektur griechischer Tempel. Ist die Architektur auch für Sie eine Inspirationsquelle?
Felix Kilbertus Meine Ideen kommen aus den unterschiedlichsten Ecken. Als Designer ist es wichtig, eine gewisse Weltoffenheit und Grundneugierde zu besitzen. Die Ideen können dann aus der Kunst, aber auch aus der Natur und der Architektur kommen. Die Verbindung zu den griechischen Tempeln ist eine schöne Geschichte und wir arbeiten nach wie vor noch sehr bewusst damit. Die Präsenz, die ich vorher schon angesprochen habe, entsteht zum Beispiel genau durch diese aufrechten und vertikalen Ausprägungen. Allerdings sollte Architektur als Vorbild auch kritisch betrachtet werden, schließlich hat sie die Eigenschaft sehr statisch zu sein. Gerade in der Architektur der griechischen Antike ist das beispielsweise so. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde es überhaupt technisch möglich dynamische und organische Architekturen zu bauen. Beim Auto waren wir natürlich immer der Faszination der Bewegung, der Geschwindigkeit und der Dynamik ausgesetzt und genau daraus ergibt sich bei Rolls-Royce letztlich diese interessante Spannung. An der Front ist alles sehr vertikal und dadurch auch unglaublich präsent, nach hinten hin und über die Seitenlinie werden die Autos aber graduell viel dynamischer. Ein tolles Wechselspiel.