Von der Skizze zur Ikone

Peter Schreyer und die »Tiger Nose«

Photo Credit: All Images Kia

Einzelne Details im Design eines Fahrzeugs können wichtige Bausteine der Markenidentität sein. Im besten Fall heben sie das Auto sogar in den Status einer Ikone. Diese Artikelreihe beschäftigt sich mit solchen Details, beleuchtet sie und erzählt ihre Geschichte. Den Anfang macht die für Kia typische »Tiger Nose« von Peter Schreyer.

Mit der »Tiger Nose« und der kompletten Neuausrichtung der Kia-Designstrategie bewies Peter Schreyer, der damals als Chefdesigner von VW zum koreanischen Hersteller wechselte, eindeutig den richtigen Riecher.

2007 verlieh der gebürtige Bayer, damals noch in seiner Rolle als frischgebackener Designchef der Automarke, Kia ein neues Gesicht. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Seit der Präsentation seiner ersten Studie für den koreanischen Automobilhersteller, dem Sportcoupé Kia Kee, trägt nämlich jeder Kia dieselbe einprägsame Nase im Autogesicht – die sogenannte »Tiger Nose«. Sie ist seither das zentrale Erkennungsmerkmal der Marke und Kernelement einer neuen Designphilosophie, die mit dem Antritt Schreyers als Designchef ins Hause Kia einzog. Bei der Entwicklung dieser neuen gestalterischen Ausrichtung hatte Peter Schreyer, der zuvor bei VW als Designchef tätig war, freie Hand. Und war darüber hocherfreut, wie er anlässlich der Vorstellung des Kee auf der IAA 2007 erklärte: »Es kommt selten vor und ist eine große Ehre, dass einem Designer zugestanden wird, die gesamte Persönlichkeit einer Marke zu formen und dabei quasi mit einem leeren Blatt Papier anzufangen.«

 

 

Drei Wochen hat er überlegt, bis er sich zur Zusage durchringen konnte. Der Wechsel selbst war dann von zahlreichen Unkenrufen begleitet. Schreyer berührte das damals wenig, der immense Gestaltungsspielraum, der ihn bei Kia erwartete, reizte ihn einfach viel zu sehr. Und die Möglichkeit der Marke damit ein neues Profil zu geben. Die »Tiger Nose« war dabei »schon so etwas wie ein Geistesblitz«, erklärt er in einem Interview mit der deutschen Zeitschrift Auto Bild. »Ich habe nach einem Familiengesicht gesucht, das die Autos zentriert, gleichzeitig aber unique und doch von Modell zu Modell variabel ist.« Als er damit begann, an der mittlerweile markentypischen Tigernase zu arbeiten, war Schreyer auf der Suche nach einem starken visuellen Signal, nach einer Art Siegel und Identifikator. »Die Front eines Autos braucht diese Wiedererkennung, diesen Ausdruck. Ein Auto braucht ein Gesicht, und ich denke, das neue Kia-Gesicht ist stark und unverwechselbar. Die Sichtbarkeit ist entscheidend, und dieses Gesicht sollte es einem ermöglichen, einen Kia auch aus der Ferne sofort zu erkennen«, so der Designer in einem Interview. Mit den beiden typischen Einstülpungen und der eher grobmaschigen Struktur des Kühlergrills vermittelt die von Peter Schreyer entworfene Front Selbstbewusstsein. Die Formen sollen kraftvoll und eigenwillig, gleichzeitig aber vertraut sein. Außerdem entspricht das markentypische Kia-Gesicht, so Peter Schreyer, der von ihm unter dem Motto »The Simplicity of the Straight Line« zusammengefassten Designsprache. Tatsächlich wirken die Designs Schreyers oft so, als ginge es vor allem darum, den Stift so selten wie möglich vom Blatt abzusetzen.

 

Peter Schreyer

Betonen möchte Peter Schreyer, der mittlerweile vom Chefdesigner zum Präsident des Designmanagements des Gesamtkonzerns aufgestiegen ist, aber auch, dass die Idee der »Tiger Nose« nicht der Ausgangspunkt der Designentwicklung war. »Sie ist vielmehr das Ergebnis der zahllosen Arbeitsstunden, die wir darauf verwendet haben, eine charakteristische Design-DNA für Kia zu kreieren.« Dass das gelungen ist, zeigen nicht nur die Verkaufszahlen, sondern auch die zahlreichen Auszeichnungen, die Peter Schreyer für seine Designs bekommen hat. Mehrmals wurde Kia seit der Neuausrichtung der Designsprache mit dem Red Dot Design Award ausgezeichnet. »Immer der Nase nach« bedeutet im Falle Peter Schreyers und seiner »Tiger Nose« also auch, der eigenen Intuition zu folgen und sich durch irritiertes Gerede nicht vom Weg abbringen zu lassen. [Red.]