TEXT & INTERVIEW Dzenana Mujadzic | Erschienen in CHAPTER №VIII »elements« – sommer 2023
Julius Hirtzberger sagt, alles in seinem Leben hätte etwas mit Orten und Ortsveränderung zu tun. Dies spiegelt sich auch unverkennbar in seinen Arbeiten wider, in denen er es schafft öffentliche Bereiche des Lebens in emotional aufgeladene Orte der Sehnsucht zu verwandeln. Wir sprachen mit ihm über reale, aber auch mentale Orte und die Wechselwirkung zwischen emotionaler und visueller Komponente in der Fotografie.
Chapter Deine Serie »Entrances of Milan (ongoing) « dokumentiert eindrucksvolle Türportale in Mailand. Neben dem eigentlichen Sujet, welchen Stellenwert nimmt die — hier definiert durch die Farbqualität der Bilder — emotionale Komponente in deinen Arbeiten ein?
Julius Hirtzberger Abgesehen davon, dass sie oft einfach unglaublich schön sind, sind die Eingangsbereiche von Mailänder Gebäuden von sehr zentraler Bedeutung und definieren oft das ganze Haus. Man könnte behaupten: »Kennst du das Entrée, weißt du wie das Haus aussieht, wie es sich anfühlt und wer dort wohnt«. Meine Bilder der Mailänder Türportale spiegeln zudem auch zwei zentrale Aspekte meiner Arbeit wider: Zum einen geht es sehr viel um Sehnsüchte und Sehnsuchtsorte, aber vor allem darum, wie sich diese anfühlen, weswegen ich in meinen Arbeiten eher mit emotionalen Komponenten spiele als Dinge oder Orte bloß deskriptiv abzuhandeln. Und zum anderen erlaubt dieses konkrete Motiv es mir, einen Ausschnitt zu zeigen, der im Idealfall eine sehr leicht zugängliche, aber eben nicht ganz vollständige Basis bildet, die unvermeidlich die eigene Fantasie weckt und so das Bild ganz unbewusst erweitert und vervollständigt. Die Sehnsucht entsteht folglich erst im Kopf.
Chapter Würdest du sagen, dass die Abbildung realer Orte durch die fast überhöhte atmosphärische Darstellung in deinen Fotoarbeiten oftmals zu so genannten Sehnsuchtsorten stilisiert wird?
Julius Hirtzberger Wie bereits erwähnt, sollen meine Bilder für die Betrachtenden möglichst einfach zugänglich sein. An meine Arbeit erhebe ich den Anspruch nichts zu konstruieren, was ich nicht auch so beobachtet hätte, bediene mich allerdings gerne einer gewissen dezenten Überhöhung, um klarer zu kommunizieren. Je subtiler die dem Bild zugrunde liegende Szene, desto eher suche ich den Reiz in atmosphärischer Darstellung, beispielsweise dem Spiel mit Licht. Zudem »zwingt« der Sucher mit dem eingeschränkten Sichtfeld mich dazu, meinen Fokus auf das zu legen, was den Raum oder die Szene eigentlich ausmacht. Isoliert betrachtet sind es diese oftmals unscheinbaren Details, die sehr viel Kraft ausstrahlen. Und zugegeben — auch wenn ich es tunlichst zu vermeiden versuche — meine Arbeit ist sicherlich nicht vollends von aktueller Ästhetik — allen voran jener in den sozialen Medien — inspiriert, aber zumindest indirekt davon beeinflusst. Und die sozialen Medien sind bekanntermaßen ein Ort, an dem die Übertreibung gewinnt.
Chapter Als Fotograf, wie verändert sich dein Blick auf einen Raum, wenn er menschenleer ist?
Julius Hirtzberger An einem Raum interessiert mich grundsätzlich was er in uns auslöst, wie wir mit ihm interagieren und wie wir uns darin bewegen. In der Praxis ist dies einfacher darzustellen, indem man zumindest Spuren von Menschen mit einbezieht. In einem privaten Setting funktioniert das auch, allerdings selten unbemerkt. In besonderen öffentlichen Räumen, wo es mit dem bloßen Beobachten sehr gut funktionieren würde, bedeutet es aber beinahe immer, dass Menschen Smartphones in der Hand haben und diese intensiv nutzen. Smartphones sind allerdings ganz klar inkompatibel mit meiner angestrebten Darstellung zeitloser Eleganz. Insofern bevorzuge ich von vornherein menschenleere Räume und fotografiere diese dann im Gegenzug so, dass man sich in gewisser Weise selbst darin wähnt.
Chapter Ganz allgemein, kann Kunst — und konkret Fotografie — als eine Art mentaler Rückzugsraum gesehen werden?
Julius Hirtzberger Sowohl als auch. Im Schaffensprozess empfinde ich Fotografie als bloßes Mittel zum Zweck. Wenn man so will, fotografiere ich niemals um des Fotografierens Willen. Wenn aus (digitalen) Negativen fertige Bilder werden, hat das allerdings etwas Magisches. Wenn eine Serie also von besonderer Bedeutung für mich ist, kann die Postproduktion — sei es in der Dunkelkammer, oder auch am Computer — eine Umgebung schaffen, in der ich mich auf eine angenehme Art und Weise verlieren kann. Ein »echter« mentaler Rückzugsraum entsteht für mich persönlich jedoch erst, wenn ich die Kamera aus der Hand lege, meine eigene Arbeit hinter mir lasse und mich in den Bildern und der Kunst anderer verliere.