Text und Interview Anna SINOFZIK | Fotografie Peter RIGAUD
Stefan Sagmeisters Namen verbindet man auf Anhieb weniger mit dekorativem Design als mit radikalen, exhibitionistischen Gestaltungskonzepten. 1999 hat sich der gebürtige Vorarlberger den Ankündigungstext für einen Vortrag am renommierten Cranbrook College mit einem Präzisionsmesser in den eigenen Torso geritzt. Das Plakatmotiv für das American Institute of Graphic Arts (AIGA), das so entstand, zeigt ihn selbst nackt, in einem Anschnitt, der gerade noch ohne Zensurbalken auskommt. Sechs Jahre zuvor hatte der Grafikdesigner in New York City sein Büro Sagmeister Inc. gegründet — und es mit einem Aktselbstportrait als Mail-Out in kürzester Zeit weltbekannt gemacht. 2012 wurde aus Sagmeister Inc. Sagmeister & Walsh — und wieder gab es ein Nacktbild, diesmal von ihm, seiner Geschäftspartnerin Jessica Walsh, sowie dem gesamten Studioteam. Es sei ihm als Gestalter lange vor allem ums Konzept, um den Prozess, und sicher auch um die Provokation gegangen, sagt Stefan heute. Nun sieht er sich eher als Vertreter eines grafischen Humanismus. Eines seiner letzten Projekte erforschte das Glück. Mit dem aktuellsten propagiert er die Schönheit. Unter dem Titel »Beauty« hat das Büro Sagmeister & Walsh eine internationale Ausstellungsreihe konzipiert, die das Ornament feiert — und damit nicht nur gegen die Stromlinienform des alten Funktionalismus, sondern auch gegen den Mainstream der gestalterischen Gegenwart geht. Zumindest empfindet Stefan es so. In seinen Augen hat die eigene Branche die Bedürfnisse des Menschen schon eine ganze Weile aus dem Blickfeld verloren. Wir haben mit ihm besprochen, warum es sich gerade heute lohnt, für das Schöne zu kämpfen. Und ihn gefragt, was Schönheit, Glück und gutes Design eigentlich ausmacht.
Chapter Stefan, du hast dich in den vergangenen Jahren mit zwei verdammt großen Begriffen beschäftigt, mit dem Glück und der Schönheit … Brauchen wir das Schöne, um glücklich zu sein?
Stefan Sagmeister Zumindest gibt es da einen klaren Zusammenhang. In einer schönen Umgebung fühlen wir uns einfach wohler. Aber Schönheit macht natürlich nicht automatisch glücklich …
Chapter Man sagt, dass es glücklichen Menschen im Gegenzug leichter fällt, das Schöne zu erkennen.
Stefan Sagmeister Auf mich persönlich trifft das auf jeden Fall zu. Wenn es mir gut geht, sehe ich das Schöne in der Welt schneller und direkter.
Chapter Deine Ausstellung »Beauty«, die du mit Jessica Walsh konzipiert hast, wird in Kürze im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt gezeigt, vorher war sie im Wiener MAK zu sehen. Dort habt ihr die Schönheit, gleich im Eingangsbereich des Museums, in einem Satz definiert. Ist es wirklich so einfach?
Stefan Sagmeister Der Satz, der dort zu lesen ist, lautet: »Schönheit ist die Kombination von Gestalt, Farbe, Materialität, Komposition und Form, die meine ästhetischen Sinne anspricht, speziell mein Sehen.« Aber natürlich ist das vor allem der Versuch, die Schönheit auf einfachste Art zu definieren: Im Grunde basiert die Empfindung von Schönheit auf einem funktionalen Mechanismus, der unserem denkfaulen Hirn in seiner Entscheidungsfindung hilft. Dieser Mechanismus funktioniert wie eine Abkürzung, die dem Gehirn erlaubt, Energie zu sparen. Denn es gelingt ihm, ohne denken zu müssen, eine gute Wahl zu treffen. Immer, wenn wir im Studio versuchen, etwas besonders schön zu gestalten, funktioniert es gleich besser. Das Problem ist, dass viele Designer heute gar nicht mehr gewohnt sind, etwas Formschönes zu gestalten, dass es die meisten gar nicht mehr können. Funktionalität ist einfach zu erreichen. Wenn etwas funktional und gleichzeitig im zeitgemäßen Sinne schön sein soll, wird es schwieriger.
Chapter In der Moralphilosophie wird das Schöne gern mit dem Guten gleichgesetzt. In eurer Ausstellung zitiert ihr zum Beispiel Platon (»schön = gut = wahr«) und Wittgenstein (»Ethik = Ästhetik«). Wird es nicht spätestens da kompliziert?
Stefan Sagmeister Ja, da wird alles sehr viel komplexer. Ich selber glaube nicht, dass alles, was schön ist, auch automatisch wahr ist.
Chapter Du beschreibst das »Beauty Project«, aus dem die Ausstellung entstanden ist, als Plädoyer für die Schönheit und kritisierst, dass Letztere oft als oberflächlich, beinahe banal, aufgefasst wird — zumindest innerhalb der visuellen Kultur. Wann hat die Idee des Schönen ihren Glanz verloren?
Stefan Sagmeister Das »Schöne« wurde noch Ende des 19. Jahrhunderts als eigener moralischer Wert angesehen, auf derselben Höhe wie das »Gute«. Als sich dann im 1. Weltkrieg sogenannte zivilisierte Nationen auf die brutalste Art umbrachten, verloren viele Künstler den Glauben an den Wert des Schönen. Es entstanden Werke wie Duchamps Pissoir. Dieses Denken ist für mich geschichtlich gut nachvollziehbar, heute aber durch hundertjährige Wiederholung im wahrsten Sinne des Wortes überholt und langweilig.
Chapter Auch in der Postmoderne haben konzeptionelle Ansätze den Wert der Schönheit immer wieder hinterfragt. John Baldessari hat im Jahr 1967 die Worte »PURE BEAUTY« auf eine Leinwand gemalt und erklärt: »Why make a painting? Why not just say it’s beautiful and if people believe it, fine.« Empfindest du es heute eher als radikal, das Dekorative zu promoten?
Stefan Sagmeister Ja, genau. Wer heute als junger Künstler meint, dass er mit Readymades noch zur Avantgarde gehört, obwohl die Idee jetzt 100 Jahre alt ist, der ist altmodisch. Da ist es doch interessanter, irgendwelche Art-Deco Schnörkel zu malen. Die sind zwar genauso alt, aber zumindest weniger abgelutscht.
Chapter Als der Kritiker Dave Hickey in den frühen Neunzigern eine Reihe von Essays zur Schönheit schrieb, ist er ziemlich angefeindet worden. Er habe gewagt, das B-Word in der Öffentlichkeit zu erwähnen, kommentierte das BOMB Magazine damals. Habt ihr auch kritische Reaktionen erlebt?
Stefan Sagmeister Ja. Vor allem in Kreisen älterer intellektueller Architekten wird das Schöne noch gern als altmodisch verspottet. Wirklich gute, zeitgenössische Architekten wie Jacques Herzog von Herzog & de Meuron, Peter Zumthor, Liz Diller von Diller Scofidio + Renfro, oder Renzo Piano sprechen heute hingegen wieder sehr offen von der Notwendigkeit der Schönheit. Die Kuratorin des österreichischen Pavillon in Venedig, Verena Konrad, schickt mir regelmäßig Artikel zu dem Thema. Zumindest in der Architektur ist es heute wieder präsenter — und wird auch wieder viel positiver bewertet.
Chapter Was die Intellektuellen der Kunstwelt in Hickeys Fall so aufgeregt hat, war, dass seine Idee von Schönheit die ästhetische Erfahrung von ihrem Sockel hob und sie als soziale, durchweg demokratische Angelegenheit darstellte. Euer Konzept scheint ähnlich gelagert: Ihr bezieht den Betrachter ein, macht das Schöne interaktiv erlebbar. Kannst du den Ansatz kurz erklären?
Stefan Sagmeister Wir sind durch unsere Arbeit im Studio darauf gekommen, dass gestalterische Projekte immer dann sehr viel besser funktionieren, wenn wir die Form und all ihre Details ernst nehmen — und damit eben auch den Menschen, für den das Design gemacht ist. Ich verstehe die Schönheit als etwas, das den Menschen auf ganz elementare Art anspricht. Wenn sie fehlt, verfehlt Design seine Wirkung. Es gibt in der Geschichte der Gestaltung ja zig Beispiele, die dies bestätigen. Wie all die funktionalen Siebzigerjahre-Wohnblöcke, die in den Neunzigern schon wieder gesprengt werden mussten, weil niemand darin wohnen wollte. Wenn Schönheit während der Planungsphase von Bedeutung gewesen wäre, hätten sie sicher besser funktioniert.
STEFAN SAGMEISTER und JESSICA WALSH, The Happy Show, Institute of Contemporary Art (ICA), 2012
Chapter Innerhalb eurer Ausstellung werden die BesucherInnen immer wieder nach ihrer Meinung gefragt. Was passiert mit dem Material, das ihr gesammelt habt?
Stefan Sagmeister Das wird alles ausgewertet und die Ergebnisse in der nächsten Ausstellung präsentiert. So können wir sehen, inwieweit es in den verschiedenen Ländern und Kulturen Übereinstimmungen gibt, ob die Menschen wirklich ähnliche Dinge als schön empfinden oder es doch auch mal größere Abweichungen gibt.
Chapter Ein Raum der Show ist der multisensorischen Erfahrung des Schönen gewidmet, inklusive Gerüchen, Klängen, et cetera. Ist euer Plädoyer für die Schönheit auch ein Plädoyer für die Sinnlichkeit?
Stefan Sagmeister Dieser Sensory Room ist eher ein Experiment, in dem es darum geht, herauszufinden, inwiefern Sinneseindrücke, die als besonders schön gelten, wirklich Wohlbefinden erzeugen. Wir haben die Ergebnisse diverser Umfragen — zur schönsten Stimmung, zum schönsten Naturgeräusch, zum schönsten Geruch — nachgestellt und auf einen einzigen Raum konzentriert. Ich selber habe mich in diesem Raum aber nicht besonders wohl gefühlt.
Chapter Ähnlich wie das Schöne weckt auch der Begriff des Guten bei manch einem gemischte Gefühle. Gutmensch wird im deutschsprachigen Raum gerade rechts des politischen Spektrums gern als Schimpfwort benutzt, das Positive wird ins Negative verkehrt. Siehst du da Parallelen oder Verbindungen zur visuellen Kultur?
Stefan Sagmeister Dem Gutmenschen wird in gewissen Kreisen Inauthentizität und Naivität vorgeworfen — das ist mit dem Schönen in der Gestaltung tatsächlich teilweise ähnlich. Was die Spaltung zwischen links und rechts betrifft, glaube ich, dass die Entwicklung vor allem mit den sozialen Medien verbunden ist, in denen quasi jeder sein ideologisches Zuhause finden und seine Meinungen öffentlich kundtun kann. Aber auch in diesem Zusammenhang lässt sich beobachten, welche Bedeutung das Schöne hat: Personen auf Twitter sind viel garstiger zueinander als auf Instagram, wo das Visuelle eine wichtige Rolle spielt. In jeder Umgebung, in der die Funktion regiert, fühlen sich die Leute schlechter und sie benehmen sich schlechter.
Chapter In einem Review zu eurer Ausstellung hat es geheißen, sie nehme sich der Frage an, ob Schönheit die Welt verbessern könne. Hört sich gleich so groß an. Aber wahrscheinlich wärst du kein Designer geworden, wenn du nicht daran glauben würdest.
Stefan Sagmeister Wenn ich heute in einer Stadt lebe, ist alles was mich umgibt, gestaltet. Mein Hemd und meine Socken, das Telefon in meiner Hand, der Tisch an dem ich sitze, der Raum in dem ich mich befinde, das Haus in dem der Raum ist, die Straße, der Park, der Bezirk, die Stadt. Jedes dieser Elemente kann gut oder schlecht gestaltet sein. Der Einfluss des Designs auf den Stadtbewohner ist vergleichbar mit dem Einfluss der Natur auf den eingeborenen Urwaldbewohner. Dieser Umstand wird im Arbeitsalltag gern vergessen.
Chapter Wenn der Begriff Schönheit auch aus der Mode gekommen ist, kommt einem das alltägliche Leben heute doch ziemlich ästhetisiert, beinahe durchdesignt, vor. Es wird wahnsinnig viel Wert darauf gelegt, wie man sich kleidet, einrichtet, einkauft …
Stefan Sagmeister Die Mode und die Inneneinrichtung gehören zu den wenigen Richtungen der angewandten Künste aus der die Schönheit nie richtig verschwunden ist. Die Menschen wollen einfach nicht in grauen Kutten herumlaufen. Wenn wir hingegen Architektur, Stadtplanung, Interface- oder Verpackungsdesign von 1950–2000 betrachten, dann spielt da überall Funktionalität die Hauptrolle.
Chapter Das Zitat »form follows function«, das heute als Grundprinzip der sachlichen Moderne gilt, stammt von Louis Sullivan, einem amerikanischen Architekten, der eigentlich nicht an Ornamenten gespart hat. Tom Wolfe hat Sullivans Stil in seinem Buch From Bauhaus to Our House gelobt, die internationale Moderne hingegen verteufelt. Teilst du seine provokante These, dass die sachliche Moderne unmenschlich und snobistisch ist und im Grunde auch niemandem je wirklich gefiel?
Stefan Sagmeister Ich würde da grundsätzlich unterscheiden: Gerade bei den Gründern des Modernismus hat die Form ja eine große Rolle gespielt und natürlich wurden dabei wunderschöne Dinge gestaltet. Ich finde viele Bauten von Mies, Loos oder auch Le Corbusier ästhetisch herausragend. Allerdings wurden ihre Thesen von den nachfolgenden Generationen oft als ökonomischer Funktionalismus missverstanden, der sich dann wirklich oft als unmenschlich herausstellte.
Alle wichtigen Dinge, sagt er, wurden in irgendeiner Form schon mal formuliert. Deshalb arbeite er heute vor allem daran, die Dinge auf eine Weise noch einmal zu sagen, die das Herz des Betrachters berührt.
Chapter Wolfe hat den schlichten International Style für eine gewisse Globalisierung der Form kritisiert. Das war Anfang der Achtzigerjahre. Heute verbreiten sich gestalterische Trends rasend schnell, so dass die Stadtzentren und Szeneläden sich immer ähnlicher sehen. Steht hinter deinem Bestreben, die Schönheit wiederzubeleben, auch der Wunsch nach mehr Diversität im Design?
Stefan Sagmeister Ja, auf jeden Fall! Es gibt wenige Menschen, die wollen, dass die Welt überall gleich aussieht. Ich finde, dass wir die lokale Kultur wieder viel ernster nehmen müssen.
Chapter Du lebst seit mehr als zwanzig Jahren in den USA und arbeitest international. Hast du grundsätzlich das Gefühl, dass der Begriff von Schönheit heute global sehr unterschiedlich verstanden wird? Wie verhält sich zum Beispiel die American Beauty gegenüber der Schönheit im europäischen Sinne?
Stefan Sagmeister Es gibt weltweit und kulturübergreifend eine erstaunliche Übereinstimmung darüber, was wir als schön empfinden und was nicht. Die Schönheit liegt nämlich nicht im Auge des Betrachters, zumindest viel weniger als allgemein angenommen wird. Der Psychologe Dr. Helmut Leder in Wien, der sich sehr viel mit Ästhetik beschäftigt hat, schätzt das Universelle auf etwa 50 Prozent. Für die anderen 50 Prozent spielt vor allem der soziale Kontext eine Rolle — wir empfinden das als schön, was wir gut kennen. Und: Je sicherer ich mich fühle, desto mehr empfinde ich neue, überraschende Dinge als schön.
Chapter Stimmt es, dass du eigentlich gern den deutschen Titel »Schönheit« gewählt hättest?
Stefan Sagmeister Ja, das stimmt. Ich mag die englischen Wörter im Deutschen nicht gern, das bekommt gern einen Werbe-Beigeschmack. Da wir aber eine international wandernde Ausstellung gestaltet haben, die in verschiedenen Sprachkreisen gezeigt werden wird, machte der gleiche Titel für alle Orte am Ende mehr Sinn. Ich bin mir des Widerspruchs in Hinblick auf meine Liebe zum Lokalen dabei jedoch sehr bewusst.
Chapter Du betonst immer wieder, dass Schönheit selbst Funktion ist, beziehungsweise öfter als solche verstanden werden sollte. Biologen erklären den Zierrat, den viele Vögel mit sich rumschleppen als Code, um ihn mit den utilitaristischen Prinzipien der Evolution unter einen Hut zu bringen. Darwin selbst meinte, weil auch Tiere das Schöne schätzen, habe sich neben der natürlichen Selektion eine Art ästhetische Selektion durchgesetzt. Welchen Wert haben solche wissenschaftlichen Überlegungen für dich als Designer?
Stefan Sagmeister Ich habe mich immer wieder mit Wissenschaftlern getroffen und lese deren Bücher zum Thema. Leider gibt es relativ wenige wirklich gute aktuelle Untersuchungen, weil die Schönheit auch in der Psychologie aus der Mode gekommen war. Aber auch das ändert sich gerade.
Chapter Während ihr wissenschaftlichen und philosophischen Aspekten in eurer Ausstellung viel Raum gebt, habt ihr Mode und Kosmetik ausgeklammert. Warum?
Stefan Sagmeister Das Thema ist sowieso schon so groß, wir wollten es etwas übersichtlicher halten und uns auf die vom Menschen gemachte Schönheit konzentrieren — nicht auf die Schönheit des Menschen. Dementsprechend wird Mode schon noch besprochen, Schönheitschirurgie aber nicht.
Chapter »Trying to look good limits my life.« Das hast du vor über zehn Jahren in gebastelten Lettern in die Landschaft geschrieben und in deinem Buch Things I Have Learned In My Life So Far publiziert. Welche Bedeutung hat die Eitelkeit in deinem persönlichen Streben nach Schönheit?
Stefan Sagmeister Das war damals eher so gemeint: Immer gut dastehen zu wollen, das heißt als der feine Mensch zu erscheinen, das kann mein Leben einschränken.
Chapter In eurer Ausstellung findet auch der Jaguar E-Type, den Enzo Ferrari mal als »das schönste Auto aller Zeiten« bezeichnet hat, seinen Platz. Was macht für dich gelungenes Automobildesign aus?
Stefan Sagmeister Die perfekte Kombination von Gestalt, Materialität, Komposition und Form.
Chapter Deine eigene Arbeit ist immer wieder in den höchsten Tönen gelobt worden, als unkonventionell, mutig, et cetera. »Schön« war selten eines der Attribute, die da verwendet wurden. Ärgert dich das?
Stefan Sagmeister Nein. Als junger Designer habe ich sehr konzeptionell gearbeitet, da war das Formale eher nebensächlich. Ich habe mich geändert.
Chapter Würdest du deine Arbeiten, zum Beispiel dein bekanntes AIGA Poster, für das du dir die Buchstaben in die nackte Haut geritzt hast, denn selbst als schön beschreiben?
Stefan Sagmeister Nein. Damals ging es mir um die Darstellung des Prozesses. Und die Provokation hat sicher auch eine Rolle gespielt.
Chapter Vor dem »Beauty Project« hast du dich für deinen »The Happy Film« intensiv mit dem Glück beschäftigt, hast recherchiert und ein paar Methoden — Sport, Meditation, Medikamente — in Selbstversuchen getestet. Man sagt ja, dass es kein Rezept zum Glücklichsein gibt. Gibt es zumindest eine Art von Konzept?
Stefan Sagmeister Ich habe in Bali tatsächlich ein kleines Rezept entwickelt: Man nehme ein Smartphone, gefüllt mit einer Reihe von neuen, guten Liedern — die noch keine alten Erinnerungen hervorrufen —, einen gelben Motorroller, eine schöne unbefahrene Straße — ohne Helmpflicht, so dass der Wind gespürt werden kann — , mixe diese Zutaten und fahre ohne Ziel, nur um des Fahrens willen, durch die Gegend. Das hat bisher jedes Mal einen richtigen Glücksmoment hervorgerufen, inklusive Gänsehaut. Es lässt sich also auch wiederholen, aber wahrscheinlich nicht endlos.
Chapter Glaubst du, dass uns das ständige »schneller, höher, weiter« am Glücklichsein hindert? Was dein eigenes Studio betrifft, hast du dich bewusst gegen das Wachstum entschieden…
Stefan Sagmeister Ich kann dazu wenig Allgemeingültiges sagen, weil ich es nicht wirklich untersucht habe. Für mich selber war aber immer klar: Ich will Designer bleiben. Vor 25 Jahren gründete ich ein größeres Designstudio in Hong Kong, unter Schirmherrschaft der Werbeagentur von Leo Burnett. Was damals passierte, war, dass ich zum Manager wurde. Wenn ich gerne Manager geworden wäre, hätte ich damals auf der WU (Anmerkung: Wirtschaftsuniversität Wien) studiert, anstatt auf der Angewandten (Anmerkung: Universität für Angewandte Kunst Wien).
Chapter Du machst mittlerweile regelmäßige Sabbaticals. Auch eine Art Suche nach Glück?
Stefan Sagmeister Für mich sind das vor allem Experimentierjahre, in denen ich all das ausprobiere, für das in den normalen Arbeitsjahren keine Zeit bleibt. In den Jahren davor sammle ich Ideen, die mich interessieren, die aber zu arbeitsintensiv sind, um während des normalen Studiobetriebs realisiert zu werden. Ich sortiere diese Liste dann nach Prioritäten und erstelle einen genauen Stundenplan, wie in der Schule. Zwei bis drei Monate nach Beginn des Sabbaticals laufen dann meist so viele Projekte, dass ich den Plan vergessen kann. Aber was die Frage betrifft: Ja, eines der Hauptresultate dieser Auszeitjahre ist, dass ich meinen Beruf nach fast 30 Jahren immer noch als sehr vergnüglich empfinde.
Chapter Dazu braucht es also keine spirituellen Trips, mit Meditation, Yoga, und digital Detox.
Stefan Sagmeister Bisher war wirklich jedes Jahr verschieden: Das erste habe ich alleine in New York City verbracht, mit viel Zeit zum Nachdenken und wenigen ausgeführten Arbeiten als Resultat. Das zweite Jahr waren wir zu fünft in Indonesien, in einer Handwerkskultur, das ergab einige fertiggestellte Projekte. Das letzte Sabbatical begann im Herbst 2016 und führte mich an drei völlig verschiedene Orte: Tokio, Mexico City, und den Bregenzer Wald.
STEFAN SAGMEISTER, AIGA Detroit, 1999. Das AIGA Plakat mit den blutigen Lettern würde Stefan nicht als schön bezeichnen, damals ist ihm das Schöne als gestalterische Kategorie nämlich selbst kaum wichtig gewesen. Vielleicht gehört es zur Schönheit des Menschseins, dass sich Haltungen, Prinzipien und persönliche Stile im Laufe des Lebens verändern. Sich das einzugestehen bedarf manchmal Mut, macht aber glücklich.
Chapter Du hast mal gesagt, du probierst als Designer immer wieder unterschiedliche Medien aus, um zu verhindern, selbstzufrieden zu werden. Hast Du in Hinblick auf das Leben einen ähnlichen Tipp?
Stefan Sagmeister Diesen Ratschlag zum Schutz vor Selbstgefälligkeit könnte ich gerade selber gut gebrauchen.
Chapter Du bist gern schonungslos ehrlich, auch in deinen Projekten. »Stefan Sagmeister has always understood the power of getting naked«, hat der Chefredakteur des Creative Review, Patrick Burgoyne, mal geschrieben. Worin liegt die Kraft des Sich-nackig-Machens?
Stefan Sagmeister Besonders bei »The Happy Film« war ich im Grunde dazu gezwungen: Ich bin weder Glücksexperte noch Psychologe, ich bin Designer. Ich konnte diese Fragen nur sehr persönlich beantworten, sicherlich nicht allgemeingültig.
Chapter In deiner Arbeit ist der menschliche Aspekt auch in Form handgemachter Elemente spürbar. Als ich angefangen habe, Design zu studieren, war dein Buch Things I Have Learned In My Life So Far gerade erschienen, es gab einen ziemlichen Hype um installative Typographie. Ich habe das in meiner Dissertation der performativen Kunst des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt, mit Happenings, der Verschmelzung von Kunst und Leben. Macht der Vergleich für dich Sinn?
Stefan Sagmeister Ja! Es ging bei uns im Studio auch immer um die Verschmelzung von Design und Leben, hin zum subjektiven, individuellen Design, gemacht von einem Menschen für einen Menschen.
Chapter Was meinst du, muss passieren, damit wir alle glücklicher werden und das Schöne wieder zu schätzen lernen?
Stefan Sagmeister Als Designer müssen wir die Schönheit als konkretes Ziel wieder in den Designprozess mit aufnehmen. Das wird nicht leicht, weil es unheimlich schwierig ist, schöne, zeitgenössische Dinge zu gestalten. Aber leider werden die Dinge eben nicht von selber schön.
STEFAN SAGMEISTER, Having Guts Always Works Out For Me, 2009
Ein installativer Schriftzug, den Stefan 2009 in seinem Buch Things I Have Learned In My Life So Far publiziert hat.