Lange Zeit schien es so, als müssten sich all jene Menschen, die sich mit ihren Berufen der sogenannten Kreativbranche zugehörig fühlen, nicht davor fürchten, dass eines Tages Roboter ihre Arbeit übernehmen. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsfeldern wurde die Kunst als für Algorithmen und künstliche Intelligenz undurchdringbarer Bereich kolportiert – gut geschützt von der Hoheit menschlicher Schöpferkraft.
Während erste von Algorithmen geschaffene Texte eher beiläufig als Spielereien abgetan wurden, schaute die Kunst- und Kulturwelt spätestens dann etwas genauer hin, als im Oktober 2018 im Auktionshaus Christie’s das Kunstwerk »Edmond de Belamy«, das mithilfe eines intelligenten Algorithmus erstellt wurde, für 432.500 Dollar einen neuen Besitzer fand. Hinter dem Werk steckt das Pariser Kollektiv Obvious / @obvious_art. Zur Erstellung des Kunstwerks lud das Künstlerkollektiv 15.000 klassische Porträts in ein neuronales Netz. Im zweiten Schritt generierte der Computer mithilfe eines speziellen Algorithmus, der unter der Bezeichnung Generative Adversarial Network (GAN) bekannt wurde, eine Reihe neuer Bilder der fiktiven »La Famille de Belamy«, darunter auch das Porträt aus der Auktion.
Einige Jahre später wurde ein vom menschenähnlichen Roboter Sophia gemaltes Selbstporträt für nahezu 700.000 Dollar versteigert. Und erst vor kurzem sorgte die Robo-Künstlerin Ai-Da für Aufsehen. Allerdings weniger wegen der Ästhetik ihrer Bilder als vielmehr aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dieser KI um einen humanoiden Roboter handelt, der trotzdem klar als Maschine erkennbar ist. Von vielen Menschen wurde das als Akt der Provokation empfunden.
Die großen Fragen der Kunstwelt
Die eben erwähnten Ansätze sind jedoch nur drei Beispiele aus einer ganzen Reihe an Kunstwerken, die in den vergangenen Jahren von einer KI geschaffen wurden. Falls in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Schaffensprozess gesprochen werden darf, da dieser in der Regel eine Originalität impliziert, die KI-Kunstwerken meist nicht zugesprochen wird. Gemein ist diesen Werken nicht nur, dass sie nicht von Menschen erdacht und kreiert wurden, sondern darüber hinaus auch ein plötzliches Aufwerfen der ebenso großen wie uralten Fragen der Kunstwelt: Was ist Kreativität? Was ist der Künstler? Wer ist denn der Urheber?
Mit sogenannten NFTs, Non-Fungible-Tokens, konnte zwar keine allumfassende Antwort auf die Frage zum Thema Urheberschaft gefunden werden, dafür aber eine praktische Lösung, um computergenerierte Kunstwerke als Einzelstücke zu kennzeichnen. Bei dieser relativ jungen Technologie handelt es sich um digitale Echtheits- und Eigentumsnachweise, die mithilfe der Blockchain funktionieren – ähnlich einer digitalen Signatur. Annäherungen an die beiden anderen in diesem Zusammenhang oft gestellten – und noch viel philosophischeren – Fragen sind in der Regel weniger von Funktionalität, dafür aber von vielen Widersprüchen begleitet. So erklärt Markus Gabriel, der sich in seinem Buch »Der Sinn des Denkens« auch mit den Folgen von KI auseinandersetzt, im Zuge des Global Media Forums 2019, dass er es für einen »Fehler« halte, ein von Robotern erschaffenes Gemälde »als Kunst zu bezeichnen«. Für ihn seien Kunstwerke allein Ergebnisse autonomer Individuen. Und diese seien nicht wiederholbar, sondern »radikal einzigartig«.
Holger Volland, Autor von »Die kreative Macht der Maschinen«, hat dazu eine etwas andere Meinung, wie er in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur erläutert: »Wenn wir uns ansehen, wovon zum Beispiel Künstlerinnen und Künstler inspiriert werden, wenn sie Werke schaffen, dann sehen wir natürlich, dass es ganz oft auch Kopien dessen sind, was wir uns vorher an Kunst angesehen haben, was wir untersucht haben. Die wirklich eigenständigen Arbeiten, die Arbeiten, bei denen jemand einen Regelbruch begeht, bei dem jemand Chaos erzeugen will oder etwas ganz Neues erzeugen will, diese Arbeiten sind relativ selten tatsächlich. Auch wir kopieren uns die ganze Zeit selbst.« Einen großen Unterschied zwischen Mensch und Maschine verortet er jedoch in der Motivation sich künstlerisch auszudrücken. Persönlichkeit, Inspiration und Intention, die Künstlerinnen und Künstler in den Prozess einbringen, würden bei Robotern und Maschinen fehlen. »Das Interessante daran ist aber, glaube ich, weniger, ob die Maschinen wirklich kreativ sind, sondern das Interessante ist, dass die Wirkung dieser Kreationen auf uns vollkommen identisch ist zur Wirkung von menschlichen Kreationen«, so Volland. Sprich: Emotionale Berührung gelingt nicht nur Werken, die von Menschen geschaffen wurden.
Der Computer als Sklave
Obwohl es oft so wirkt, ist die Computerkunst, zu der auch die KI-Kunst gehört, keineswegs ein Phänomen, das erst mit Blockchain und Krypto-Währungen aufkam. Eine der Vorreiterinnen ist die französisch-ungarische Künstlerin Vera Molnar, die sich bereits in den 1970er-Jahren mit algorithmischer Kunst auseinandersetzte. So ließ sie in ihrem Werk »(Dés) Ordres« auf Basis eines Zufallsprinzips von einem Plotter verschiedene Quadrate zeichnen. Davon wählte sie dann einige aus und fügte sie zu einem Werk zusammen. Dem Computer ordnete sie sich schlussendlich also nicht unter – ganz im Gegenteil: Sie bezeichnete ihn als ihren Sklaven.
Sollte es bei diesem Thema so etwas wie Einigkeit geben, besteht diese meist darin, dass es noch für längere Zeit ein solches Abhängigkeitsverhältnis geben wird – KI also vor allem als Werkzeug für Künstlerinnen und Künstler eine Rolle spielen könnte. Betrachtet man es auf diese Weise kann darin durchaus eine Chance liegen, wie Kunst- und Digitalisierungsexpertin Sabine Himmelsbach in einem Gespräch mit SRF erklärt: »Als Chance würde ich die immense Bandbreite an Schöpfungsmöglichkeiten bezeichnen, in der unzählige Bild- und Klangwelten durch den Einsatz von KI entstehen können. Wichtig dabei ist stets der verantwortungsbewusste Umgang mit diesen Systemen und den Datenbanken, mit denen sie gefüttert werden.« [SW]