Start in eine neue Ära: Die Vision Neue Klasse, welche Anfang September präsentiert wurde, gibt einen Ausblick auf die zukünftige Formensprache aller BMW Modelle. Sie soll trotz ihrer für ein Visionsfahrzeug typischen optischen Überhöhung auch tatsächlich jene neue BMW Designphilosophie samt spezifischer Gestaltungselemente zeigen, die für alle ab 2025 folgenden Modelle der Neuen Klasse prägend sein werden. Das Fahrzeug soll zudem die Innovationskraft der Marke in Sachen Elektrifizierung, Digitalisierung und Zirkularität widerspiegeln.
Nicht nur ein neues Kapitel, ein völlig neues Buch wird mit diesem Visionsfahrzeug aufgeschlagen, verlautbarte BMW bei der Präsentation der Vision Neue Klasse in München. Und tatsächlich – der nahezu monolithische Fahrzeugkörper, die starken Einzüge an Front und Heck oder auch die großen Fensterflächen zeigen eine neue, sehr mutige und insbesondere auch futuristisch-elegante Ästhetik – auch wenn klassische BMW-Charakteristika wie das zurückversetzte Greenhouse, die im »Shark Nose«-Stil weit nach vorn ragende Fahrzeugfront oder der Hofmeisterknick weiterhin erhalten bleiben oder sogar noch markanter dargestellt werden.
»Einerseits typisch BMW und gleichzeitig so progressiv, dass es aussieht als hätten wir eine Modellgeneration übersprungen«, beschreibt es Adrian van Hooydonk, Leiter BMW Group Design, den Chapter direkt im Anschluss an die Weltpremiere der Vision Neue Klasse zum Interview getroffen hat. Mit ihm sprachen wir über den Mut, vielleicht auch mal zu viel Veränderung im Design zu suchen, die Rolle von AI im Automobildesign und warum Designer:innen besonders feine Antennen für zukünftige Trends und Strömungen benötigen.
Chapter Wir haben heute die vielleicht größte Transformation im Design von BMW erlebt und einen ersten Ausblick auf die zukünftige Designsprache sämtlicher Modelle erhalten. Inwieweit sind solche vorab präsentierten Designstudien aber eigentlich auch eine Art »Provokation« – im positivsten Sinne gemeint natürlich – also ein Austesten von Reaktionen, um beispielsweise zu evaluieren, ob die Wahrnehmungsgewohnheiten von Konsument:innen schon für neue Proportionen oder Gestaltungsansätze bereit sind?
Adrian van Hooydonk Also wir versuchen natürlich schon bei einem Showcar oder Visionsfahrzeug uns ein bisschen mehr Freiheit zu nehmen, als wir in Serie haben. Und das aus gutem Grund, denn damit dehnt man natürlich auch ein wenig die Perception von dem, was eine Marke machen kann oder »darf«. Aber Provokation stand hier eigentlich nicht im Vordergrund, das war nicht im Zielkatalog, wenn man so will. Natürlich wollen wir auch ein bisschen Testen und Vorbereiten, denn die Neue Klasse wird ja tatsächlich umgesetzt werden und es wird diese großen Sprünge in Technologie und im Design auch wirklich geben. Wir glauben, dass dies notwendig ist, weil sich die Zeit um uns herum einfach derart schnell und stark ändert – und nun sehen wir den Moment gekommen, um etwas größere Schritte zu gehen und das auch im Kern der Marke. Wir haben beispielsweise vor knapp 15 Jahren schon einen i3 und i8 entworfen und die waren, wenn man so will, auch fortschrittlich. Aber das waren eher Additionen, die am Rande von unserem Produktprogramm passiert sind. Das hat zwar viele Menschen begeistert, aber es waren eben auch Fahrzeuge, bei denen ein Kernkunde sagen könnte »Ja, schön, dass ihr das macht, aber ich fahre Fünfer, also mich betrifft das nicht.« Jetzt hingegen sprechen wir über den Kern der Marke, nicht mehr nur über ein paar Produkte am Rande, denn wir werden die Neue Klasse über die ganze Produktpalette ausrollen. Und wir haben für dieses Visionsfahrzeug auch bewusst einen Sedan gewählt, weil er so typisch für die Marke BMW ist – wenn man einen Sedan zeigt, dann kann man am besten erklären, wie groß die Veränderungen wären oder welche Art der Veränderungen es sind, die wir anstreben. Das sind die Ziele gewesen – also nicht unbedingt Provokation, aber schon ein bisschen das Aufweichen von dem, was man als BMW versteht oder kennt und ein Vorbereiten auf das, was kommen wird.
Chapter Ich habe ein Zitat von Ihnen in Erinnerung, als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, nämlich, dass es in der aktuellen Zeit ein größeres Risiko wäre, zu wenig Veränderungen im Design zu suchen, als vielleicht auch mal zu viel umzusetzen. Bezogen auf die Neue Klasse – gibt es spezifische Elemente, in denen Ihr Designteam vielleicht bewusst ein bisschen zu viel mutige Veränderung »riskiert« hat?
Adrian van Hooydonk Also zu diesem Zitat stehe ich auch heute noch. Und wie erwähnt, ein Concept oder Vision Car darf auch ein bisschen übertreiben, muss nicht alle Gesetzmäßigkeiten erfüllen. Es ist aber auch noch zu früh, um die Reaktionen auf dieses Konzept auszuwerten. Wir haben schon versucht, auch auf die ersten Feedbacks zu achten, aber das braucht ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen, bis man ein Fazit ziehen kann. Und ja, wir wissen selber natürlich, wo wir vielleicht bewusst übertrieben haben und wo wir in Serie ein bisschen anders unterwegs sein werden. Und nun werden wir natürlich in ein paar Wochen auch noch besser wissen, ob wir da richtig liegen.
Chapter In der aktuellen Chapter Printausgabe stellt unser Autor Prof. Lutz Fügener die Frage, warum sich das Automobildesign eigentlich so wenig vom Bauhaus inspirieren ließ bzw. lässt. Beim heutigen Blick auf die Formensprache der Neuen Klasse mit den klaren Flächen ohne Sicken, nahezu monolithisch in der Erscheinung, ist mir jener Beitrag in den Sinn gekommen – man könnte nämlich beim Design der Vision Neue Klasse fast von Bauhaus Ästhetik sprechen…
Adrian van Hooydonk Danke, das ehrt uns natürlich, aber natürlich muss das jeder für sich interpretieren. Aber was wir auf alle Fälle machen wollten, ist ein Design, das sehr clean ist, weil wir glauben, dass das natürlich auch modern wirkt, zudem ist es aber auch langlebiger, weil diese Fahrzeuggeneration wollen wir auch länger laufen lassen als die bisherigen, was ja auch Sinn macht in Bezug auf Nachhaltigkeit. Und gleichzeitig versuchen wir, die Vereinfachung nicht nur umzusetzen, weil es uns optisch gefällt, sondern auch, um deutlich weniger Bauteile zu haben, denn ein Auto ist heutzutage schon sehr kleinteilig – im Interieur wie auch im Exterieur – und dem versuchen wir hier entgegenzuwirken. Und trotzdem wollen wir, dass unsere Kunden, unsere Fans, eindeutig einen BMW als solchen erkennen, auch wenn wir weniger Mittel dafür benutzen: Unter anderem ganz wenige Linien – und das ist vielleicht etwas, was dem Bauhaus eben auch ähnlich ist. Dennoch möchten wir nicht, dass es statisch wirkt, weil es ja natürlich ein Produkt auf vier Rädern ist, das sich aus eigener Kraft bewegen kann.
Chapter Jetzt entwirft und plant ein Designteam ja einige Jahre im Voraus und muss aufgrund dessen vieles an zukünftigen Entwicklungen antizipieren: Wie sich der Markt verändert, die Gesellschaft, Kultur, Architektur und so weiter. Können Sie uns hierzu ein wenig Einblick in den Alltag des Designteams geben, wie lange muss man nach nach vorne blicken und welcher Marktforschungsdaten oder anderer Forecasting Tools kann man sich hierfür bedienen?
Adrian van Hooydonk Also im Jahr 2023 arbeiten wir aktuell an Produkten die 2026/27 auf den Markt kommen. Die müssen wir dieses Jahr im Design entscheiden oder festlegen, schließlich kommen sie raus und dann sind sie so sieben bis acht Jahre am Markt. Das heißt, wir arbeiten jetzt schon an Produkten, die noch 2033/34 im Markt sein werden. Und es gibt hier eigentlich keine Marktforschung dazu, an sich gibt es natürlich Trendanalysen, die man machen kann, auch beispielsweise die Mode benutzt das ja, aber die blickt nicht derart weit nach vorne, vielleicht ein Jahr oder so.
Chapter Liegt dieses angesprochene Antizipieren also großteils im Talent eines Designers oder einer Designerin?
Adrian van Hooydonk Ich würde sagen ja, oder zumindest sollte es zum Skillset gehören, das man mitbringen muss. Wir versuchen hier natürlich mit unserem Design Dinge zu antizipieren, die in der Gesellschaft passieren werden, und oft ist es so, dass sich diese Dinge schon ankündigen. Wenn man feine Antennen hat, nimmt man diese schon wahr, auch wenn sie noch nicht allgegenwärtig sind. Also sagen wir so, diese feine Antennen muss man haben, das ist hilfreich.
Chapter Können Sie dies vielleicht anhand eines aktuellen, konkreten Beispiels näher beschreiben?
Adrian van Hooydonk Zum Beispiel der Bereich Künstliche Intelligenz – darüber wird ja aktuell sehr viel diskutiert und nachgedacht und hier ist es natürlich auch für uns wichtig, nicht jedem Hype hinterherzurennen, sondern heraus zu destillieren aus dieser Vielzahl an Entwicklungen, was könnte wirklich für uns, für unsere Produktkategorie und Kunden relevant sein und wozu kann das führen? Denn viele Entwicklungen können natürlich zu Dingen führen, die es heute noch nicht gibt, aber die dann in fünf Jahren sehr normal sein werden. Und hier ist es eben sehr wichtig dies zu antizipieren. Das ist natürlich nicht immer einfach, aber ich sage auch häufig, wenn man sich etwas vorstellen kann, dann hat man heutzutage auch eine sehr große Chance, dass dies auch tatsächlich eintreten wird. Und etwas anderes, das uns hilft, denke ich, sind unsere weltweiten Studios (red. Anmerkung: DesignWorks), in Shanghai, Los Angeles, München, England, weil Veränderungen und die Geschwindigkeit jener Veränderungen durchaus unterschiedlich sind in unterschiedlichen Regionen: Das Thema Digitalisierung entwickelt sich in China sehr viel schneller als bei uns, manche Dinge sind dort schon normal, die haben wir hier noch gar nicht gesehen. Das Thema Nachhaltigkeit wiederum ist vielleicht eher ein europäisches Thema, da ist Europa sehr fortschrittlich, zumindest im Denken. Und dann ist Amerika traditionell natürlich ein Land, wo es eigentlich keine Grenzen gibt für Veränderungen, »change is always good«… und so sieht man da auch jetzt ein paar neue Player kommen, die durchaus interessante Dinge hervorbringen. Zudem muss man natürlich kreativ sein, und auch mehrere Szenarien entwerfen, je nach dem wie man denkt, dass sich die Welt entwickeln könnte, und versuchen entsprechende Entwürfe zu gestalten, die für die jeweiligen Szenarien passen können. Und dann diskutiert man im Team, wie wahrscheinlich ist dieses oder jenes Szenario und wie attraktiv finden wir die darauf basierende Lösung? Und dann erst geht man in die Umsetzung und die tiefere Ausarbeitung des Designs. Aber natürlich hat es auch viel mit Risiko zu tun und mit dem Einnehmen von einer Position. Denn wenn man wartet, bis man genau weiß, was passieren wird, ist man in aller Regel zu spät. Irgendwann muss man ein paar Entscheidungen treffen und den Mut haben zu sagen, wir glauben, dass dieses und jenes für die Marke BMW richtig ist und genau so ist es auch zu diesem Visionsfahrzeug gekommen.
Chapter Weil das Thema AI aufgekommen ist: Welche Rolle kann denn auch künstliche Intelligenz bei diesem Forecasting-Prozess oder generell im Automobildesign spielen?
Adrian van Hooydonk Also ich glaube, menschliche Kreativität ist schwer zu toppen. Natürlich ist es so, dass auch im Automobildesign viele Designer bereits AI benutzen. Aber letztendlich, was macht AI? Es saugt das gesamte Internet ab und kombiniert dies dann mit ein paar Schlagwörtern, die du eingegeben hast. Und irgendwie kommt einem das Ergebnis dann neu aber auch strangely familiar vor. Und das ist auch kein Wunder, weil es basiert eben auf jenem Absaugen von allem was es schon gibt. Ich würde also sagen, der Mensch, wir Designer, haben das alles ebenso im Kopf, als eine Art Database. Und dann kommt das Thema Kreativität hinzu, wenn wir zeichnen. Und ich sage auch immer zu meinen Designern, dass man das Ergebnis nicht immer sofort bewerten soll, sondern einfach mal eine Woche lang zeichnen und dann am Ende der Woche überlegen, was hab ich denn da kreiert – und dann wird man sofort erkennen, dieses ist neu und jenes nicht, das erinnert mich an irgendetwas anderes, was es schon gab, Und gut, AI mag diesen Prozess beschleunigen, kann meinetwegen 100 Skizzen über Nacht machen, aber sind diese alle gut? Nein, da muss man sehr viel aussortieren. Also es ist noch schwierig zu sagen, wo die Entwicklung hinführt, ich glaube letztendlich, der Mensch ist immer noch der entscheidende Faktor – einmal bei AI, welche Parameter führt man ein, und dann, zweitens, beim Entscheidungsprozess. Ich denke, dieser wird nie automatisiert ablaufen, ein Computer wird nicht feststellen können, mit diesem Entwurf wirst du der Sieger sein. [CS]