Hokusai Maximus

Mit »The (almost) complete HOKUSAI« hat der Kölner Kunstbuchverlag TASCHEN den ambitionierten Versuch unternommen, das umfangreiche Lebenswerk des japanischen Malers und Holzschnittkünstlers Hokusai in einem Band zu vereinen, wobei »vereinen« hier selbstredend eher Sinne von »gründlich, gewissenhaft dokumentieren« zu verstehen ist.

Autor Andreas Marks, ein international anerkannter Experte für japanische Kunst, insbesondere für die Ukiyo-e-Druckgrafik, schreibt einleitend, es habe, trotz bemühter Schätzungen, de facto niemand den ernsthaften Versuch unternommen, die erhaltenen Werke Hokusais zu zählen. Nicht nur die außerordentliche Produktivität des Künstlers, sondern unter anderem auch das große Problem der Zuschreibung stellten große Hürden dar. Er selbst habe während der Recherche zu diesem kolossalen Sammelwerk versucht, Malereien, Drucke und Zeichnungen mit zweifelhaften Signaturen oder Siegeln auszuschließen, oder auch Werke, die von seinen Schülern im Stil des Meisters ausgeführt sein könnten. »Mit diesen Regeln im Sinn und unter der Vorgabe, mehrblättrige Drucke als ein Werk zu zählen darüber hinaus jede einzelne Buchillustration zu zählen, die ich finden konnte, gelang es mir, fast 7.200 Arbeiten zu dokumentieren, die Hokusai mit Gewissheit zugeschrieben werden können. Eine Auswahl von knapp 800 dieser Arbeiten wird im vorliegenden Buch präsentiert«, fasst Marks zusammen und entlässt die Leser:innen in Hokusais Welt – zu deren Greifbarkeit, Erlebbarkeit und zu deren Verständnis er eine Anleitung in Form einer faszinierend detailreichen Monografie auf 722 Seiten bereitstellt.

Strukturiert in Lebens- und Schaffensphasen führt das Buch durch das Leben und Wirken des großen japanischen Künstlers. Hokusai (1760-1849) war ein japanischer Maler und Holzschnittkünstler der Edo-Zeit (1603-1868), der vor allem durch seine ikonische Serie »36 Ansichten des Berges Fuji« bekannt wurde. Sein bekanntestes Werk daraus, »Die große Welle von Kanagawa«, zeigt eine riesige Welle vor dem Berg Fuji – im März 2023 wurde ein Abzug seines weltberühmten Holzschnitts für 2,76 Millionen US-Dollar versteigert. Als Meister der Ukiyo-e-Druckgrafik beeinflusste er sowohl die japanische als auch die westliche Kunst tiefgehend, insbesondere in der Impressionismus-Bewegung.

In abgesteckten Abschnitten zusammengetragen führt das Kunstbuch durch Hokusais Leben und Wirken, wobei die inhaltliche Tiefe und Qualität tatsächlich mehr an einen wissenschaftlichen Werkband erinnert, wäre da nicht der Fokus auf großformatige, farbige Reproduktionen, welcher die Zugänglichkeit zu einem derlei anspruchsvollen (Lebens-)Werk erleichtert.
Unter den Kapitelnamen »Die Anfange einer Künstlerkarriere (1779-1794)«, »Die Welt der privaten Dichtungen (1795-1798)«, »Die Rückkehr zu kommerziellen Publikationen (1798-1813)«, »Ein außergewöhnlicher Buchillustrator (1814-1819)«, »Die Erschaffung eines Vermächtnisses (1820« und »Die letzten Jahre (1834-1849)« wird man hineingesogen in die unübertroffene Vielfalt von Themen und Techniken: Landschaften wie den Kirifuri Wasserfall neben großformatige Karten von den Überlandstraßen Tōkaidō und Kisokaidō oder von der Halbinsel Bōsō; doppelseitige Abbildungen aus illustrierten Büchern, darunter sinnliche, fantasievolle Erotik (shunga) und Zeichenanleitungen wie die fünfzehnbändigen Hokusai manga; und schließlich Tierdarstellungen wie etwa Holzschnittserien zum Thema Vögel und Blumen oder späte Rollbilder auf Seide von Enten im fließenden Wasser oder einem schwebenden Tiger im Schnee.

»The (almost) complete HOKUSAI« ist ein beispielloses Werk zwischen ästhetisch-visuellem Genuss und akademisch-wissenschaftlicher Tragweite, das selbst im beeindruckenden Bestand des Kölner Kunstbuchverlags seinesgleichen sucht. Es überschreitet die Grenzen eines herkömmlichen Kunstbuches, stellt zugleich eine Sammlung historischen Materials und eine Hommage an die Leidenschaft zur Kunst dar. Es ist ein Band mit dem TASCHEN ein souveränes Bekenntnis zu höchst möglicher Qualität am Kunstbuchmarkt ab- und vorlegt. [DM]