Die Evolution des guten Geschmacks

Designerin Sophie Buhai zwischen Schmuck- und Kunstobjekten

Mock-up des Chapter Magazine covers mit Sophie Buhai fotografiert von Bastian Achard
Mock-up: Lisa Eder

Text Dzenana Mujadzic | Fotografie Bastian Achard

Experimentelle Objekte wie aus Silber gefertigte, mit Halbedelsteinen versehene Feuerzeughüllen, skulpturale Pillendöschen sowie elegante Zigarettenhalter, Halsketten mit obeliskförmigen Pendants, die als Behältnisse für essentielle Öle dienen, oder eine Lupe, die an einer veganen Lederkordel um den Hals getragen wird und laut Beschreibung dafür gedacht sei, die Speisekarte zu lesen oder ein Blatt zu untersuchen. Designerin Sophie Buhais unkonventionelle Entwürfe, eine Verschmelzung von Elementen des Minimalismus und des Surrealismus, bewegen sich irgendwo zwischen Gebrauchs-, Schmuck- und Kunstobjekt.

Bevor Sophie Buhai 2015 ihr gleichnamiges Label gründete – heute bekannt für seine zeitgenössische Interpretationen der modernistischen Sterlingsilber-Schmucktradition – studierte sie eigentlich Modedesign an der renommierten Parsons School of Design in New York und führte zehn Jahre lang die von ihr co-gegründete Modelinie »Vena Cava«. Nachdem dieses Kapitel geschlossen war, fand sich Buhai in ihrer Heimatstadt Los Angeles wieder, um sich eine persönliche Auszeit und die notwendige Freiheit zu nehmen, die sie schließlich zum Schmuck- und Objektdesign führte: »Creatively, I felt that I wanted something different. There was a shift and I started to do a lot of different things. I was doing interiors at the time I went to a residency in Italy and I brought a lot of materials with me, and I started making jewelry.«

Vitrine im Studio von Sophie Buhai in Los Angeles fotografiert von Bastian Achard

Wie so oft schließt sich der metaphorische Kreis mit genügend Abstand und erst viel später im Leben, wenn die Zeit reif ist. Denn in Berührung mit Schmuckkunst kam Buhai tatsächlich schon sehr viel früher über ihre Mutter und Großmutter, die beide eine ausgeprägte Vorliebe für auffälligen Silberschmuck hegten. »I was really inspired by my grandmother and my mother, these women that wore really bold silver jewelry. That jewelry was mid-century Scandinavian or Mexican silver jewelry or Native American jewelry«, erinnert sie sich. Einige dieser besonderen Stücke trug sie selbst seit jeher, doch nun fiel ihr auf, wie zeitlos modern diese nach wie vor waren. Als sie angefangen habe, Schmuck herzustellen, waren vor allem zierliche Halsketten und Anhänger aus Messing und Gold beliebt gewesen, sie selbst habe allerdings nie Interesse am konventionellen Verständnis von Schmuck als bloßes funktionales Accessoire gehabt. Ihre Entwürfe würden sich primär an den unkonventionelleren Typ Frau oder Mann richten, deren Interesse vor allem der Idee des Designs gilt und weniger dem monetären Wert, erklärt sie ihren künstlerisch geprägten Blick auf Schmuck abseits von Diamanten, Rubinen und Smaragden. Die zuweilen verstaubte Wahrnehmung von Schmuck dehnt Buhai aber nicht nur durch den klaren Verweis auf den Designaspekt, sondern auch durch die selbstverständliche Einbettung funktioneller Objekte in das Sortiment. Indem sie ihre Designs als kleine Skulpturen — »mini-sculptures« — begreift, lässt die Begrifflichkeit diese in eine neue Dimension kippen — von Zierde, einem lediglich dekorativen Objekt, hin zum Kunstobjekt.

 

Layouts: Lisa Eder; Mock-ups: Dzenana Mujadzic; Product Images © David William Baum

 

TOOTHPICK AND CASE Sterlingsilber; PYRAMID PILL BOX Sterlingsilber, gelber Beryllstein

 

Der Logik dieser Erkenntnis folgend und im Hinblick darauf, wie eng die Marke mit ihr als Person verbunden ist, könnte man schlussfolgern, sie selbst würde auch mehr in die Kategorie – wenn man sie denn in eine stecken müsste – Kunstschaffende als Designerin passen. Doch angesprochen auf diese poröse Grenze zwischen Design und Kunst verweist sie zwar auf die Schwierigkeit, den Übergang von einem ins andere abzugrenzen, definiert sich selbst aber ganz klar als Designerin. Künstlerin sei ein zu schweres Wort. Fest steht, ihr inhärentes Verständnis von Schmuck als Kunstform sowie die Wechselwirkung zwischen ästhetischer und emotionaler Komponente stellt sie instinktiv in den größeren Kontext ihrer Markenidentität und schafft so ein Narrativ, das eine persönliche Geschichte erzählt. Sie versuche, mit allem, was sie tut, authentisch zu sein, so Buhai.

»When I think of luxury to myself, it’s things that are coming from a person, coming from a soul.«

Wie sich ehrliche Authentizität bewusst herbeiführen lässt, ist eine zentrale Frage im Zusammenhang mit emotionaler Markenführung und wohl einer der wichtigsten Aspekte in der zeitgenössischen Interpretation von Luxus, die sich mehr denn je nach Werten richtet, die sich in einer psychologischen Dimension verorten lassen. Die Vermittlung der Idee, sowohl von Individualität als auch von Verbundenheit, die zu einer Art subjektiv empfundener Exklusivität führt, steht im Vordergrund. Dies erkennt Buhai auch und bringt es ohne theoretische Umschweife auf den Punkt: »When I think of luxury to myself, it’s things that are coming from a person, coming from a soul. It’s so rare that things feel hand-touched coming from a designer or an artist, personally.« Und konkretisiert ihre Auffassung von Luxus, bei dem das beseelte Objekt im Vordergrund steht und der Markenname eher den Stellenwert eines Gütesiegels einnimmt, weiter: »I think when you have that connection with an object, it’s quite powerful. So to me, that connection is what makes something luxury. I don’t think it’s the dollar amount or the brand name. It’s the experience that you’re really feeling with that piece.«

 

Sophie Buhai in ihrem Studio in Los Angeles fotografiert von Bastian Achard

 

MAGNIFYING GLASS NECKLACE Sterlingsilber, Kordel aus veganem Leder

 

Dieser fragile Raum zwischen Seele und Produkt wird gestaltet und aufrechterhalten durch die Kunst des Geschichtenerzählens, in der die bildbasierte Kommunikation das geschriebene Wort dominiert. Doch bei Buhai sucht man das laute visuelle Buhlen um Aufmerksamkeit vergeblich, was die Präsenz der Marke in den sozialen Medien dennoch nicht schmälert. Ein Bild erzählt zwar noch lange keine Geschichte, viele Bilder geben aber ein mögliches Narrativ vor und wie in jeder guten Erzählung, finden Rezipient:innen einen freien Raum, um sich in diese emotional einzuschreiben, sie persönlich aufzuladen. »We don’t use words really that much. I think we put the work out there, and we’re very image-based. And beyond that, you take what you want from it«, so die Designerin.

»I’ve always kind of loved this gray area in between different design disciplines. And so I’ve kept that throughout the brand.«

Die oftmals nur auf das Objekt reduzierte Inszenierung, gepaart mit der zurückhaltenden Ästhetik ihrer Bildsprache sowie das Einstreuen von stilprägenden Zwischenelementen fungieren wie ein maßgeschneiderter Sehnsuchtsort, zu dem das allgemeine Narrativ hin- und von dem es wegführt. Buhais visuell elegante Sprache trägt, wie ihre Designs, den zeitlosen Charme, die Aura des lange verblassten, aber unverwechselbaren Old World Glamours und weckt Assoziationen mit den glanzvollen Zeiten Hollywoods. Auf die Frage, was ihre Heimatstadt Los Angeles besonders mache, denn die Vorurteile gegenüber der vergleichsweise noch sehr jungen und als oberflächlich geltenden Metropole hielten sich hartnäckig, antwortet sie mit einer Handbewegung, die diese, ihrer Meinung nach verzerrte Wahrnehmung wegwischt, bevor ihr zu viel Beachtung zuteil wird. Das Reizvolle an einem Leben in Los Angeles liege für sie vor allem an der bürdelosen Freiheit, die Tradition zwangsläufig einschränkt.

Vase in Sophie Buhais Studio in Los Angeles fotografiert von Bastian Achard

Im Hinblick auf Buhais Designprozess ein zunächst paradox klingender Vorteil. Denn seinen Ausgang findet dieser nämlich über visuelle Referenzen historischer Themen — deren weit gespannter inhaltlicher Bogen zieht sich von der japanischen Edo-Periode über Romeo Gigli der Neunzigerjahre — wobei Giglis Vision einer »modernen Nostalgie« auf den ersten Blick etwas weniger weit entfernt von Buhais Designs scheint. Sich ihrer zahlreichen, traditionsbeladenen Zeiten und Welten umspannenden Inspirationsquellen bewusst, löst sie den vermeintlichen Widerspruch mit den Worten: »But with all of that, I’m always trying to make something that feels new. It can have references to create a conversation of design history, but I think it should always feel like there’s one thing or the mixture of elements that makes it a new creation.«

 

Mock-up des Chapter Magazine features über Sophie Buhai mit Produktbildern fotografiert von David William Baum
Layouts: Lisa Eder; Mock-ups: Dzenana Mujadzic; Product Images © David William Baum

 

DAWN LIGHTER CASE Sterlingsilber, eingefasste Mondsteine; RISING MOON FLASK Sterlingsilber, eingefasste Mondsteine, Onyx-Kappe

 

Buhais Entwürfe stehen exemplarisch für das organische Zusammenspiel von Einfachheit, Ausgewogenheit und Harmonie, sobald alle Elemente ineinandergreifen, werden die Skizzen zu Prototypen. Anfangs ausschließlich von einem Wachschnitzer angefertigt, arbeitet sie nun — nachdem sie sich zuerst mit der Idee anfreunden musste — auch mit einem CAD Designer an 3D-Modellen und argumentiert: »I was really anti-CAD in the beginning, and everything was hand-carved wax. But I’ve actually come to embrace CAD. With a good CAD designer, I think it is a tool that can be used in a very human way.« Sobald das Modell perfektioniert ist, wird die Form in Metall gegossen, darauf folgt die Feinabstimmung. Die Herstellung der Entwürfe übernehmen hochspezialisierte Kunsthandwerker:innen, ansässig im Los Angeles Jewelry District, ein seit den 1920er Jahren lebendiges Zentrum für Schmuck in all seinen Erscheinungsformen im Herzen von Downtown.

Studio von Sophie Buhai in Los Angeles fotografiert von Bastian Achard

Die intensive Auseinandersetzung mit Handwerk und Material führt die Designerin auch regelmäßig auf die weltweit größte Edelstein- und Mineralienmesse Tucson Gem Fair — auch Tucson Gem and Mineral Show — im US-Bundesstaat Arizona. Ihr Interesse am optischen und technischen Potenzial des Werkstoffs Stein entzieht sich allerdings der traditionellen Verarbeitung, in der Stein vor Fassung kommt. Für sie stünde das Design weiterhin an erster Stelle, der bei Erwerb noch rohe Stein müsse sich diesem fügen. »We’re creating our own forms and are really trying to push what we can do with our stone carvers, how large we can go, and the different shapes we can work in,« gibt Buhai Einblick in diese selbstauferlegte Herausforderung, angesiedelt irgendwo zwischen technischer Versiertheit und künstlerischem Eifer. Diese lokale Verfügbarkeit von Wissen und Ressourcen ermöglicht der Designerin auch einiges an kreativem Spielraum, also Stücke zu entwerfen, bei denen es, laut Buhai, eher um das Konzept und die Idee und weniger darum ginge, eine große Anzahl davon zu verkaufen. Dazu gehören beispielsweise skulpturale Objekte aus Sterlingsilber, wie ein eleganter Zahnstocher mit dazugehörigem handgehämmerten Gehäuse, für — wie es heißt — die Abendtasche oder den Esstisch, weiters ein modernistisch anmutender Löffel für Kinder oder ein Flachmann mit in Fassung gesetzten Mondsteinen und einem handgeschnitzten Onyx-Deckel, deren Extravaganz mit der Beschreibung als Sammler:innenstück oder potenzielles Familienerbstück relativiert wird — entsprechend ihrer Überzeugung, Objekte würden auch immer eine Geschichte erzählen, Erinnerungen festhalten und Emotionen transportieren.

Studio von Sophie Buhai in Los Angeles fotografiert von Bastian Achard

Ihr aufgeschlossener Umgang mit dem Potenzial verschiedener Handwerks- und Design-Disziplinen manifestiert sich auch in ihrem Studio, einem Ort, an dem alles zusammenkommt. Die Inneneinrichtung übernahm sie gemeinsam mit ihrer Freundin und Langzeitkollaborateurin Gabriela Rosales, der Gründerin von Formative Modern, einer in Los Angeles ansässigen Galerie mit Schwerpunkt auf Design des frühen 20. Jahrhunderts. Seit den Anfängen vor ungefähr zehn Jahren waren auch stets kuratierte Objekte und Möbel Teil von Sophie Buhais Markenwelt, wobei diese nie eine konzeptuelle, sondern eine intuitive Ergänzung darstellten. »I’ve always kind of loved this gray area in between different design disciplines. And so I’ve kept that throughout the brand,« erklärt sie und füllt diese Freiräume kompromisslos mit der ihr authentischen Synthese von Design, Kunst und Kultur, welche einer steten und unnachahmlichen menschlichen und künstlerischen Evolution unterworfen ist.

Coverstory CHAPTER №XI »TASTEMAKERS« – WINTER 2024/25