Case Study

Künstler Lukas Gschwandtner im Interview

TEXT & Interview DZENANA MUJADZIC |  ERSTMALS VERÖFFENTLICHT IN CHAPTER №X »STATE OF THE ART« – SOMMER 2023/24

In seinen Arbeiten beschäftigt sich der in Wien lebende Künstler Lukas Gschwandtner mit dem menschlichen Körper in sowohl physischer als auch psychischer Relation zu seiner Umgebung. Der nahezu poetische Ausdruck seiner ausschweifenden Studien und präzisen Überlegungen manifestiert sich nicht nur im Umgang mit den gewählten Materialien, sondern auch in seiner erweiterten, kulissenartigen Inszenierung des (Ausstellungs-) Raums.

Chapter         In deiner fortlaufenden Serie »Pillow Portraits« beschäftigst du dich mit dem menschlichen Körper und seiner Interaktion mit Raum, Möbeln und Objekten. Wie kam es zu dieser Auseinandersetzung?

Lukas Gschwandtner         Die Serie »Pillow Portraits« beruht auf meiner langjährigen Sammlung von historischen Malereien von auf Chaiselongues ruhenden Damen, deren nicht selbst inszenierte Körpersprache ich verstehen wollte. Meistens wurden ihre Posen von männlichen Künstlern gewählt, die sie in einer gewissen Körpersprache porträtieren wollten, umgeben von Objekten, die die Porträtierte ausmachen sollten. Im Fokus steht aber auch die Chaiselongue selbst. In meiner Serie »Pillow Portraits« versuche ich also eine direkte und abstrahierte Übersetzung der abgebildeten Körpersprachen zu schaffen. Ein tragbares »Canvas Volumen«, das den Körper dirigiert so zu liegen, wie es die Porträtierte tut. Für mich sind das hauptsächlich persönliche Studien, die mir dabei helfen, körperliche, ästhetische und soziologische Dimension der Entscheidung des Malers zu verstehen — vor allem versuche ich aber die physische Dimension für die weiblichen Modelle nachzuvollziehen, zumal das Resultat der eingenommen Posen meist sehr unbequem und unnatürlich wirkt. Wichtig ist mir, dass »Pillow Portraits« individuell getragen und verstanden werden kann, gleichzeitig aber als universelles Werkzeug dient, um die teils problematischen Thematiken historischer Malerei zu erfassen.

Chapter         In deiner Arbeit hinterfragst du beispielsweise das Möbelstück als ein rein funktionales Objekt. Welche soziale Dimension misst du Möbeln persönlich bei?

Lukas Gschwandtner         Was mich an einem Möbelstück interessiert, ist der direkte Kontakt mit dem Körper im Gebrauch — eine Konstruktion, die den Körper trägt, leitet und gleichzeitig seine Körpersprache bestimmt. Abgesehen davon hat der historische Aspekt eines Möbelstücks eine sehr große Bedeutung für mich. Die Recherche an sich ist essentiell, um die Herkunft des Möbels zu verstehen und weiterleiten zu können. Im Kontext mit Restaurierung finde ich es spannend, die Möbelstücke re- und dekonstruieren zu können.

Chapter         Deine Ausstellung »A Room of Her Own« scheint die Essenz von Margarete Schütte-Lihotzky’s »Wohn-Schlafzimmereinrichtung für Frau C. Neubacher« zu destillieren. Welche Überlegungen sind der Umsetzung vorausgegangen und wie hast du dich einem so vielschichtigen, sozial aufgeladenen Ausgangswerk genähert?

Lukas Gschwandtner         Margarete Schütte-Lihotzky’s Lebensgeschichte und ihre Arbeit begleiten mich seit Langem und haben immer neuen Einfluss auf mich. Das von ihr für Karoline Neubacher entworfene Wohn- und Schlafzimmer (1925) befindet sich als gesamtes Raumwerk in der permanenten Sammlung des Museums für angewandte Kunst (MAK) in Wien. Über viele Jahre hinweg habe ich diesen Raum besucht und die Details mit meinen Augen eingehend vermessen (ohne verbotenes Abtasten) und fand den Dialog zwischen Polster, Polstermöbel und Holzbau, deren Be- und Abnutzung spannend, ebenso wie sich alle Komponenten als Einheit in dem Raumbild zusammenfinden. In Mexico-City durfte ich — zusammen mit der Galerie Peana — Margarete Schütte-Lihotzky’s Wohn- und Schlafzimmer übersetzen. Der übersetzte Canvas-Korpus (Canvas Fossil) konzentriert sich auf die Oberfläche der Raumobjekte, agiert fast wie ihre Haut. Der Unterbau fungiert als Skelett linearer Stahlelemente, die an eine Zeichnung erinnern. Die Steinzeichnungen verdeutlichen die Proportionen und Volumen der Möbel. Diese Konstrukte dienen als räumliche Zeichnungen, die je nach Perspektive unterschiedlich gelesen werden können. Um den Grundriss und die Proportionen des Wohn- und Schlafzimmers zu übertragen, wurden die textilen Fossilien zwischen Glaswände gepresst und dem Grundriss des Zimmers entsprechend formatiert. Das Gesamtbild der Ausstellung mit allen in Glas schwebenden Fossilien stellt für mich ein Familienportrait von Margarete Schütte-Lihotzky’s Entwürfen dar — von mir archivierte Details mit historischem Kontext.

Chapter         Die Inszenierung deiner Werke hat eine Bühnenbild-ähnliche Wirkung. Welche Bedeutung misst du der atmosphärischen und rein visuellen Komponente in deiner Arbeit bei?

Lukas Gschwandtner        Für mich stehen die Werke mit der umgebenden Räumlichkeit als etwas Gesamtes. Vielleicht kann man es als unausgesprochenes Gesamtbild verstehen, das ich unbewusst versuche zu schaffen. Mir macht es unglaublich Spaß, mich ausgehend von einem kleinen Maßstab hin zu den größten Flächen des Raumes zu bewegen. Das erlaubt mir jedes Detail an- und zu begreifen. Visuell mag ich es am liebsten, wenn ich meine Arbeiten mit meinem Handy dokumentieren kann, vor allem weil die Qualität oft so schlecht ist, dass sich das Foto fast schon als Malerei lesen lässt. Durch diese Handyfotos sind Volumen und Proportionen oft einfacher erkennbar als auf schicken Bildern. Ich finde es wichtig dem Raum eine tragende Rolle zukommen zu lassen, auch auf Fotos. Nicht zu vergessen, meine Obsession zu scannen — am liebsten würde ich das Gescannte vom Scan auch noch scannen. Ein Scan hat eine besondere zweidimensionale, gepresste Qualität, die mich viel an Archivierung denken lässt — meine andere Obsession.