Text & Interview Lena MADER | erschienen in CHAPTER №VII »NORMAL THINGS« – WINTER 2022/23
»Great people. Great design. Great fun.« machte sich Chuck Pelly zum Motto, als er 1972 seine Garage in Malibu zum Designstudio umfunktionierte. Es dauerte nicht lange, bis namhafte Unternehmen wie Nokia oder Siemens auf das kleine Team mit großer Vision aufmerksam wurden und dessen Know-how in Anspruch nahmen. Heute fungiert Designworks als kreativer Thinktank der BMW Group, widmet sich aber auch weiterhin Projekten externer Kunden, unter anderem in den Bereichen Stadtplanung, Innovation und Mobilität. Mit Niederlassungen in Newbury Park, München und Shanghai zählt das Unternehmen zu den international wichtigsten Design- und Innovationsschmieden – vor allem dann, wenn es um interdisziplinäre Gestaltung geht. 2022 jährte sich die Gründung von Designworks zum 50. Mal – ein guter Anlass, um gemeinsam mit Holger Hampf, seit 2017 Präsident des Unternehmens, auf die wichtigsten Meilensteine der Innovationswerkstatt zurückzublicken.
ERSTE SCHRITTE
Bereits im Alter von 15 Jahren gewann Designworks-Gründer Chuck Pelly den 1930 von General Motors ins Leben gerufenen Modellauto-Wettbewerb »The Fisher Body Craftsman’s Guild« und bewies schon damals ein Händchen für zukunftsweisendes Design. Nach seiner Schulzeit studierte er am Art Center College of Design in Kalifornien und später an der Kunsthochschule Konstfack in Stockholm. Danach war Pelly unter anderem für den Spielzeughersteller Mattel, wie auch im Studio von Henry Dreyfuss tätig, einem der berühmtesten Produktdesigner der Dreißiger- und Vierzigerjahre. 1972 entschloss er sich, gemeinsam mit zwei Branchenkollegen, ein eigenes Design- und Beratungsstudio unter dem Namen DesignworksUSA zu gründen. Zu ihren allerersten Kunden gehörten der amerikanische Stapler-Hersteller Hyster und die Otis Elevator Company. Die steigende Auftragslage ließ das Unternehmen kontinuierlich wachsen und führte 1988 zur Eröffnung des Standorts in Newbury Park, der heute noch als Hauptsitz der Designschmiede dient. Zu Beginn der Neunzigerjahre kamen Unternehmen wie Nokia, Siemens und Compaq zur Kundenliste des Designstudios hinzu. Aus der Zusammenarbeit mit dem finnischen Mobiltelefonhersteller entstanden Handys, deren Form ihren innovativen funktionalen Eigenschaften um nichts nachstand. So wurde etwa das Nokia 2110 mit dem iF Design Award ausgezeichnet und aufgrund seiner Gestaltung und seiner praktischen Größe rasch in den Status eines Designklassikers erhoben. Darüber hinaus befasste sich Designworks schon früh mit innovativen, ergonomischen Sitzmöglichkeiten und entwickelte im Zuge dessen verschiedene Sesselmodelle für die Unternehmen Condi und Grammer. Auch der erste Auftrag von BMW im Jahr 1986 drehte sich um ein Sitzkonzept: Für das Modell 850i entwickelte Designworks einen Autositz, dessen integrierter Schultergurt und nach vorn geneigte Kopfstütze neue Perspektiven hinsichtlich Gestaltung und Funktionalität eröffneten.
BMW i Interaction EASE
EINE EINZIGARTIGE SYNTHESE
Dieser Auftrag markierte den Beginn einer engen Zusammenarbeit, die noch immer andauert und aus der bereits unzählige Projekte entstanden sind. Als sich BMW 1991 die Mehrheitsbeteiligung an Designworks sicherte, war das erste große Projekt in dieser Konstellation der BMW E1, ein elektrisch angetriebenes Konzeptfahrzeug, das in dem selben Jahr auf der IAA in Frankfurt vorgestellt wurde. Darauf folgte die Designstudie BMW E2, ein früher Vorstoß in Sachen urbaner Mobilität und das Resultat spezieller Erfordernisse, die vor allem der US-amerikanische Automobilmarkt mit sich brachte. In dem kompaktem Konzeptfahrzeug sollte sich die Vision eines optimal an das Stadtleben angepassten Fahrzeugs ausdrücken. Vier Jahre später wurde Designworks vollständig von BMW übernommen – als eigenständiges Tochterunternehmen der BMW Group ist das Team seither stets mit kreativen Impulsen und zukunftsweisenden Ideen zur Stelle. So war das Studio unter anderem maßgeblich an der Entwicklung der BMW X Baureihe beteiligt und prägte auch die Designentwicklung der Marke BMW i auf entscheidende Weise mit.
BMW E1
Designworks Präsident Holger Hampf erklärt, inwiefern diese Synthese von Designstudio und Hersteller branchenweit einzigartig ist: »Kein anderer Automobilhersteller verfügt über ein ähnlich angelegtes Designstudio. Unser globales Studionetzwerk generiert wichtige Impulse aus den Schlüsselmärkten USA, Europa und China. Die BMW Group profitiert von diesem externen Wissen aus anderen Branchen und kann ihre mobilitätsübergreifenden Perspektiven so erweitern.« Die Beziehung zwischen dem deutschen Automobilhersteller und dem Innovationsstudio ist dabei als enge, kreative Partnerschaft zu verstehen, in der Designworks sowohl Konzepte entwirft und kreative Ideen einbringt als auch beratend zur Seite steht, wenn es um gestalterische Fragestellungen geht. Im für die BMW Group wichtigen Arbeitsbereich Advanced Design ist es die Aufgabe der Innovationswerkstatt, sich mit zentralen Fragen zur Mobilität der Zukunft zu befassen, mögliche Antworten für den Münchner Hersteller zu finden und diese auch zu visualisieren.
Das Konzept der »Nth Spaces« ist ein Gemeinschaftsprojekt von Designworks und dem Design- und Architekturbüro Gensler.
An der Schnittstelle von Design, Innovation und Mobilität entstehen Konzeptfahrzeuge, die sich durch das Aufheben gängiger Konventionen und das Miteinbeziehen verschiedener, auf den ersten Blick vielleicht weit entfernter Kontexte auszeichnen. Ein Fahrzeug, das den interdisziplinären Ansatz von Designworks auf sehr einprägsame Weise verkörpert, ist das GINA Light Visionsmodell aus dem Jahr 2008. »GINA« steht als Akronym für »Geometrie und Funktionen in N-facher Ausprägung«, wobei das »N« ausdrücken soll, dass sich bei der Gestaltung eines Fahrzeugs ständig neue Wege und Lösungsansätze auftun – bestimmte Funktionen und Kombinationen also alles andere als in Stein gemeißelt sind. Von BMW zu einem gestalterischen Prinzip erhoben, soll es dazu dienen, bestehende Grundsätze infrage zu stellen, scheinbar Unverrückbares genau unter die Lupe zu nehmen und neue Räume für kreative Lösungen zu schaffen. Mit dem GINA Light Visionsmodell möchte Designworks jedoch nicht nur die einzelnen Bauteile eines Fahrzeugs, sondern auch bestehende Konventionen im Bereich der Materialität hinterfragen. Das Grundgerüst des Roadsters bildet eine Aluminiumstruktur mit Karbonelementen, über welche sich ein hybrides Gewebe, bestehend aus einem Traggeflecht und einer isolierenden Außenhaut, spannt. Das speziell für das Konzeptfahrzeug entwickelte Gewebe ermöglicht eine unvergleichliche Formstabilität bei gleichzeitiger Flexibilität, die unter anderem beim Öffnen der Türen sichtbar wird. Diese können sowohl nach außen als auch nach oben aufschwingen, wobei sich die Außenhaut in Falten legt und beim Schließen wieder an das Gerüst anschmiegt.
BMW GINA Light Visionsmodell
Das »GINA«-Konzept bietet jedoch nicht nur auf gestalterischer Ebene, sondern auch in Bezug auf Produktion und Fahrgefühl, eine solide Grundlage für neue Wege und Lösungen. So sind beispielsweise die einzelnen Elemente im Fahrzeuginterieur in ihrer Wandlunsgfähigkeit perfekt auf die Bedürfnisse der Fahrerin oder des Fahrers abgestimmt. Neben den gestalterischen Freiräumen auch Produktion und Fahrgefühl mitzudenken und miteinzubeziehen, entspricht zu hundert Prozent dem ganzheitlichen Denkansatz, den Designworks seit jeher verfolgt. »Wir denken in Ökosystemen und entwickeln Lösungen an der Schnittstelle von Design, Mobilität und Technologie. Dafür schulen wir unser Kreativteam, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen. Das heißt, sie sollen keine isolierten Produkt-und Serviceideen entwickeln, sondern das ›Big Picture‹ im Auge behalten und ständig erweitern, also beispielsweise nicht das Auto nur als individuelles Fortbewegungsmittel sehen, sondern auch seine potentiellen Einsatzmöglichkeiten in der Stadt der Zukunft als System erkennen, die durch Elektromobilität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung möglich werden«, bringt es Holger Hampf auf den Punkt.
DER MENSCH ALS AUSGANGSPUNKT
Neben der Zusammenarbeit mit BMW gab das Studio sein eigenständiges Unternehmertum nie auf und widmete sich in den vergangenen 50 Jahren stets auch externen Kunden aus den Bereichen Transport, Umwelt und Digitalisierung. Wenn Designworks anderen Unternehmen beratend zur Seite steht, unterstützt die Kreativschmiede diese unter anderem bei der Einbindung von Designaspekten in Innovationsprozesse. Holger Hampf führt aus: »Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen, so beobachten wir natürlich einen mächtigen Schub in Richtung Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Elektrifizierung. Diese Entwicklungen gestalten wir bereits aktiv mit. Und mit Kooperationspartnern aus unterschiedlichen Disziplinen, wie beispielsweise der Architektur, denken wir bereits heute individuelle Mobilität im urbanen Raum völlig neu.«
BMW i Interaction EASE
Das 2022 vorgestellte Projekt »Architecture x Mobility« ist ein Beispiel für diese aktive Gestaltung. Es widmet sich, gemeinsam mit dem Design- und Architekturbüro Gensler, der zukünftigen Infrastruktur von Städten und den damit einhergehenden Herausforderungen und Potenzialen. Die im Zuge des Projekts gesammelten Ideen und Ansätze umfassen Umstrukturierungen im Bereich der Mobilität, aber auch Mehrfachnutzungen wie auch die Hybridisierung von Einrichtungen. Das Konzept der »Nth Spaces« beispielsweise versucht, Orte wie Tankstellen, die durch den Gebrauch von Elektrofahrzeugen zunehmend obsolet werden, als dezentralisierende und community-stützende Punkte neu zu denken. So begreift das Projekt diese Orte als multifunktional, indem sie zum einen als Aufladestation und zum anderen als Kulturstätte, Co-Working-Space oder Ruheoase genutzt werden können. In Form von Prototypen soll dieses einzigartige Konzept schon bald in verschiedenen Städten getestet werden. Eine ebenso bahnbrechende Idee wurde 2018 in Dubai präsentiert: der erste Prototyp einer Hyperloopkapsel im Größenverhältnis 1:1, entwickelt von Virgin Hyperloop One und Designworks. Das 2013 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellte Projekt soll es ermöglichen, Passagiere und Passagierinnen mit bis zu 1.200 km/h von A nach B zu befördern. Damit wäre man beinahe dreimal schneller am Ziel als mit dem derzeit schnellsten Zug der Welt.
Virgin Hyperloop One Kapsel
Designworks legte im Entwurfsprozess großen Wert darauf, die Innovationskraft des Projekts durch das Design sicht- und erfahrbar zu machen, ohne dabei Komfort und Sicherheitsgefühl der Reisenden zu vernachlässigen. Den erschwerenden Bedingungen, die ein fensterloses Transportmittel mit sich bringt, begegnete das Studio mit innovativem Design für alle Sinne. So lässt sich etwa die Farbe des Lichts individuell verändern, wie auch die Position und Temperierung der Ledersitze. Inspiration fand das Designteam außerdem in traditionellen arabischen Mustern, die zu futuristisch leuchtenden Details abstrahiert wurden. Gestalterische Elemente sind laut Holger Hampf entscheidend, wenn es darum geht, Neuartiges darzustellen: »Design macht Innovation greifbar. Es gießt innovative Technologie in eine erlebbare Form und führt Einzelerlebnisse zu einem großen Gesamteindruck zusammen. Damit ist Design ein starkes Werkzeug, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.« Innovation an sich beschreibt der Designworks-Präsident als »das perfekte Zusammenspiel von technologischem und ästhetischem Fortschritt, wobei der Mensch am Ausgangspunkt jeder Überlegung steht.«
FUTURELIGHT™ Camper Concept — in Kooperation mit The North Face
Wie verschiedene Ansätze,Expertisen und Ideen ineinandergreifen, um scheinbar altbewährte Konzepte immer wieder neu zu denken, zeigtauch der FUTURE-LIGHT Camper, der 2019, inspiriert vom GINA Light Visionsmodell, vorgestellt wurde. In Zusammenarbeit mit The North Face erarbeitete Designworks einen Entwurf für einen Camper, der Wind und Wetter trotzt. Mit Hilfe von Nanotechnologie kreierte die Outdoormarke ein Material, das sowohl wasserfest ist als auch eine ideale Luftzirkulation ermöglicht. Angelehnt an das »GINA«-Konzept wird die Textilie über eine von Designworks entwickelte geometrische Konstruktion aus Kohlefaser gespannt und dadurch zu einem wetterfesten Gehäuse, das im Inneren mit einer Sitzbank und zwei Schlafplätzen ausgestattet ist. Der Öffentlichkeit wurde der Camper im Rahmen einer Virtual Reality Installation vorgestellt, die ihn in verschneiter Landschaft erfahrbar machte und somit physische und digitale Welten miteinander vereinte. Eine Verknüpfung, in der Holger Hampf eine Vielzahl neuer Möglichkeiten erkennt: »Designangebote werden immer häufiger digital. Ich persönlich schätze es sehr, anfassbare und analoge Qualitäten dabei nicht außer Acht zu lassen. Gerade die Verschmelzung von analogen und digitalen Aspekten hat für mich viel Potential. Letztendlich sind wir alle Menschen, die physische Bedürfnisse haben und die Welt mit allen Sinnen erleben möchten.«
OHNE SCHEUKLAPPEN DURCH DIE WELT
Das Motto »Great people. Great design. Great fun.« hat auch 50 Jahre nach der Gründung von Designworks nicht an Bedeutung verloren. Was die nächsten 50 Jahre mit sich bringen? Holger Hampf blickt der Zukunft optimistisch entgegen: »Design hat immer einen positiven Blick auf die Zukunft und versucht stets eher die Chancen als die Risiken zu sehen. So kann es oft auch eine Brücke schlagen zwischen verschiedenen Disziplinen und Zukunftsängste in positive Energie umwandeln. Herausforderungen begegnen wir im Design stets lösungsorientiert. Das Design sollte als Vermittler zwischen den Disziplinen nachhaltige und bessere Lösungen für die Gesellschaft als Ganzes mitgestalten. Dafür müssen wir bei Design-works weiterhin ohne Scheuklappen, neugierig und offen bleiben.«