Anspruchsvoll

Produktdesigner Tino Seubert

© Manuel Guadagnini, 2010

Muss ein Möbel einen tieferen Sinn haben, oder darf es einfach nur schön sein? Chapter sprach mit Produktdesigner Tino Seubert über gutes Design, konzeptuelles Arbeiten und Nachhaltigkeit im Design.

»Forming History«, diesen nicht gerade bescheiden klingenden Titel wählte Tino Seubert für seine Abschlussarbeit an der Freien Universität Bozen im Jahr 2010.

Originalfoto von 1973, Fotograf unbekannt, Bildmanipulation Tino Seubert 2010

 

Die damals entstandene Serie umfasst eine Bank, einen Stuhl und einen Tisch, deren Form sich an einer abstrahierten Linienführung, die der Designer auf Fotografien historischer Ereignisse ausmacht, orientieren – Bilder von prägenden Ereignissen der Zeitgeschichte, unter anderem eines von der Vietnam Konferenz 1973, in Paris. Daraus entstand in diesem Fall ein kreisrunder Tisch, dessen Laminierung bewusst Stellen dort ausspart, wo auf der als Vorbild dienenden Fotografie Arme, Hände und Dokumente aufliegen und somit die Tischfläche verdecken.

 

 

© Manuel Guadagnini, 2010
© Manuel Guadagnini, 2010

Das Ergebnis ist durchaus auch unter ästhetischen Gesichtspunkten spannend und war so erfolgreich, dass Seubert nicht wie geplant nur Einzelstücke fertigte, sondern direkt eine limitierte Stückzahl in Zusammenarbeit mit der Pariser Galerie Bensimon produzieren ließ, um der Nachfrage von verschiedenen Sammlern und Sammlerinnen nachkommen zu können.

Doch nicht alle Arbeiten des Produktdesigners basieren auf einem derart abstrakt-verkopften Hintergrund: »Dieser im Studium erlernte, extrem konzeptionelle Ansatz im Design ist natürlich schon etwas, von dem sich wohl später jeder Designer frei macht«, beurteilt Seubert seine Arbeit rückblickend. »Man verlässt die Universität und hat das Gefühl, man kann sowieso überhaupt nichts produzieren, da es schließlich schon alles gibt. Allerdings sind einige der damaligen Fragestellungen auch heute noch für mich relevant, wenn ich ein neues Produkt entwerfe. Etwas wirklich Neues zu schaffen geht heute nur noch schwer über Formen oder Materialien, insofern ist eine Geschichte oder eine Inspiration in jedem Fall hilfreich.« Gleichzeitig sei es definitiv auch wichtig sich von gewissen im Studium erlernten Gedanken zu emanzipieren.

Bei einer seiner neuesten Arbeiten, der Möbelserie »Anodised Wicker«, sind dementsprechend auch deutlich weniger abstrakt-konzeptuelle Gedankengänge in den Schaffensprozess eingeflossen. Was jedoch nicht heißt, dass nicht auch bei diesen Stücken eine intellektuelle Auseinandersetzung und Recherche stattgefunden hätte.

 

© Jenna Smith, 2018

Für die Hocker und Bänke aus eloxiertem Aluminium und Rohrgeflecht dienten dem Designer der US-amerikanische Künstler Donald Judd und der dänische Möbeldesigner Børge Mogensen als Inspiration. Dabei möchte man zuerst meinen, dass die kubistischen Aluminiumkonstruktionen Judds und das von Mogensen oftmals verwendete und schnell rustikal anmutende Rohrgeflecht unvereinbare Antagonisten sind. Bei »Anodised Wicker« gehen beide Materialien allerdings eine reizvolle Liaison ein.

»Ich finde es unglaublich spannend, mit Aluminium zu arbeiten, allerdings finde ich es wichtig, durch neue Kontexte für einen gewissen Überraschungseffekt zu sorgen«, fasst Seubert die Wirkung seiner »Anodised Wicker« Serie zusammen. »Ein weiterer wichtiger Aspekt bei »Anodised Wicker« war für mich nicht nur bezüglich des Aluminiums, sondern mit Blick auf das gesamte Konstrukt, wie man aus recycelten Materialien Möbel herstellen kann, die besonders langlebig sind.«

Dadurch, dass ein gewisser Verschleiß grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, sind alle Teile der Serie so konstruiert, dass sie relativ unproblematisch und ohne hohen Kostenaufwand repariert werden können. Dabei ist Nachhaltigkeit generell ein Thema, das den Designer beschäftigt. »Ich weigere mich, Produkte herzustellen, die nicht langlebig und nicht reparierbar sind.« Eine echte Kampfansage an eine Gesellschaft, in der die Reparatur von Dingen kaum mehr als Alternative zur direkten Entsorgung angesehen wird.

 

Donald Judd, 100 untitled works in mill aluminum, 1982-1986. Permanent collection, the Chinati Foundation, Marfa, Texas. Photo by Douglas Tuck, courtesy of the Chinati Foundation. Donald Judd Art © 2021 Judd Foundation / Artists Rights Society (ARS), New York

 

»Als Produktdesigner setzt man sich so oft mit der Frage auseinander, ob die Preise der von einem gefertigten Stücke noch demokratisch sind. Diese Kritik hat definitiv ihre Daseinsberechtigung, wenn man einen Stuhl oder ein Smartphone für 1.000 Euro und mehr verkauft. Aber ist es demokratischer Müll zu verkaufen, der nach zwei Jahren erneuert werden muss und dessen Co2-Fußabdruck viermal so hoch ist wie der eines hochwertigen Objekts?«

Konsequenterweise fertigt Seubert alle seine Stücke in seiner Wahlheimat London. Einen Großteil der Arbeitsschritte übernimmt er dabei sogar selbst, alternativ greift er auf die Hilfe von lokalen Handwerkern zurück.
Ob denn dann die Zusammenarbeit mit großen Herstellern und Herstellerinnen von Massenprodukten grundsätzlich für ihn ein Tabu sei, wollen wir noch wissen? »Nein, ich bin Optimist. Ich hoffe einfach, dass man bei der richtigen Kooperation auch mit einem Großunternehmen ethisch korrekte, fair produzierte und langlebige Möbel oder Accessoires entwickeln kann.«  [AD]

 

© Straton Heron, 2019