Text Sarah Wetzlmayr
Moderne Garagen möchten mehr sein als nur Mittel zum Zweck, nämlich Mehrzweckräume mit künstlerischem Anspruch. Dafür werden sie mitunter auch einfach in den Wohnbereich eines Einfamilien-hauses integriert.
In Herdern, einer kleinen, im Schweizer Thurgau gelegenen Gemeinde, ragen seit knapp 20 Jahren fünf massive, an der vorderen Seite verglaste Betonkuben aus einem begrünten Hang. Es handelt sich dabei nicht etwa um Bunker mit perfekter Aussicht auf ein mögliches Endzeitszenario, sondern um eine Einstellgarage für Autoliebhaber. Fünf bis acht Autos finden darin Platz, werden hier aber nicht nur eingestellt, sondern gleichermaßen auch ausgestellt. Das vom Schweizer Architekten Peter Kunz entworfene Garagenatelier gibt dem Auto einen vollkommen neuen Rahmen, inszeniert es als Kunstobjekt, ohne dabei störend in die landschaftliche Idylle des Thurgaus eingreifen zu wollen. »Natürlich war es für uns eine der zentralen Fragen, wie sich die Idee einer solchen Garage in diese schöne Landschaft integrieren lässt. Deshalb haben wir uns für einen Weg entschieden, der sich stark an Land Art orientiert. Im Ort und der Umgebung polarisierte die Garage trotzdem, doch das ist bei guter Architektur immer so«, so der Architekt über seinen herausragenden Entwurf. Doch die ausgehöhlten Betonkörper sind längst keine Fremdkörper mehr — ganz im Gegenteil, sie machen sich gut in der beschaulichen Schweizer Landschaft und sind in erster Linie wiederum selbst dafür da, um Gutgemachtem einen passenden Raum zu geben. Im Fokus steht nämlich immer noch das Auto — allerdings nicht als pures Mittel zum Zweck, sondern als Symbiose von Kunst und Handwerk. Dass sich beim Automobil, wie auch in der Architektur, technischer Fortschritt mit einer künstlerischen Vision und höchstem handwerklichen Anspruch verbindet, ist jedoch schon oft genug gesagt, diskutiert und niedergeschrieben worden. Viel zu selten geht es jedoch um den Ort seiner Aufbewahrung, um jene Garagen, die wie jene fünf Betonkuben in Herdern, diesen Gedanken des Kunsthandwerks aufnehmen, um das Auto nicht bloß aufzubewahren, sondern es zu seinem Schatz zu machen. Die Methoden seiner Inszenierung können sich jedoch stark voneinander unterscheiden. Während die in Herdern ein- und ausgestellten Fahrzeuge besten Ausblick genießen sollen, geht es den Hausherren des von Matt Fajkus und David Birt entworfenen Autohaus vielmehr darum, ihren Fuhrpark selbst immer im Blickfeld zu haben — auch während eines guten Glases Rotweins auf der Wohnzimmercouch. Doch damit nicht genug — die Bauherren des in Tokio gelegenen KRE House entschieden sich dafür dieses Nahverhältnis auf eine völlig neue Ebene zu heben: Auf ihren Wunsch hin entwarf Architekt Takuya Tsuchida eine Liftkonstruktion, mit der die Fahrzeuge in den Wohnbereich geholt werden können.
Trotz all dieser unterschiedlichen Ideen und Bauweisen bleibt der grundsätzliche Gedanke jedoch immer derselbe: Ein einfacher Autoschuppen muss die Garage längst nicht mehr sein. Eigentlich muss sie beinahe gar nichts, außer den passenden Rahmen für einen einzigartigen Dialog zwischen Automobil und Architektur zu schaffen.
Villa 1, Powerhouse Company. Das vom holländischen Architekten Nanne de Ru entworfene Einfamilienhaus weist der Garage die wichtige Rolle des zentralen Bindeglieds zwischen den beiden Y-förmigen Teilen des Hauses zu.
Auszug aus der Scheune
Obwohl die ersten Vorstufen unseres heutigen Automobils in eine Landschaft einrollten, in der ebenso sprichwörtlich wie wortwörtlich noch kein Weg für sie geebnet war, beschäftigten sich Hausherren wie Architekten schon sehr früh mit dem Gedanken ihrer Unterbringung. Damals sorgte man zwar noch nicht dafür, dass sich das Kunsthandwerk des Automobils in seiner Garage widerspiegelt, dennoch folgte der Ort seiner Unterbringung schon immer zu einem gewissen Teil dem Designprinzip des Fahrzeugs. So imitierten die ersten Garagen einfache Pferdeschuppen, weil sich auch die ersten Automobile stark an der Konstruktion der Pferdekutsche orientierten. Allerdings konnte sich die Garage erst in der Moderne von ihrem rein funktionalen Charakter emanzipieren, ahmte zwar noch immer die Formensprache des Automobils nach, schleuderte ihr aber schon hin und wieder auch mal ein Fremdwort entgegen. So entstand nach und nach ein Dialog zwischen dem Auto und seiner Behausung, der mit Le Corbusiers Villa Savoye erstmals einen Höhepunkt fand. Auf der Rückseite der Villa, die 1931 fertiggestellt wurde, befindet sich nämlich nicht nur einfach eine Garage. Die strengen, rechteckigen Formen der Frontansicht wurden dafür so aufgebrochen, dass eine Rundung möglich wurde, die der Fortbewegung des Automobils in exakter Weise entspricht. So rieb der berühmteste Architekt der französischen Moderne seine große Faszination für motorisierte Fortbewegung zwar niemanden direkt ins Gesicht, fand jedoch auf der Rückseite seines bekannten Entwurfs genug Platz um sich gestalterisch mit dem Thema Mobilität auseinanderzusetzen.
Autohaus, Matt Fajkus und David Birt. Das einstöckige Einfamilienhaus ist das perfekte Beispiel dafür, wie sich die Liebe zum Automobil in den ganz normalen Wohnalltag integrieren lässt.
TBone House, COASToffice architecture.
»Im Grunde gab es schon immer einen Zusammenhang zwischen Automobil und Architektur. Blicken wir zurück, so sehen wir auf alten schwarz-weiß Architekturfotografien auch immer ein Auto im Vordergrund. Wie die Architektur selbst, war das Auto einfach ein Zeichen für Fortschritt und Zeitgeist«, erklärt Architekt Zlatko Antolovic, dessen TBone House sich in besonderer Weise mit der Verbindung von Wohnraum und Garage auseinandersetzt. Der dunkle Schuppen mit zweiflügligem Holztor, der dem etymologischen Ursprung des Wortes Garage getreu — »garer« bedeutet so viel wie »sicher verwahren« — bloßer Aufbewahrungsort war, ließ also immer mehr gestalterischen Freiraum zu. Darüber hinaus kam es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits dazu, dass der Garage die Möglichkeit einer beinahe wohnlichen Atmosphäre eingeräumt wurde. »Architekturfotografien aus dem Amerika der 50er Jahre, wie das von Julius Shulman fotografierte Haus von Ramey and Himes, zeigen die Garage sogar als hellen, wohnlichen Raum mit direktem Blick und Zugang in die Küche. Also keinen dunklen, fensterlosen Stellplatz für das Fahrzeug«, ergänzt Antolovic. Die strikte Sperrlinie zwischen Wohn- und Garagenbereich wurde also schon damals gerne mal überfahren. Heute existiert sie für viele Hausherren gar nicht mehr — wenn dann nur verschwommen, wie eines Scheibe aus trübem Milchglas, die den geliebten Ferrari noch vom Wohnzimmer trennt.
Sich nach dem Auto (ein)richten
Für das Gesamtkonzept des TBone House, das vom Stuttgarter Büro COASToffice architecture entworfen und 2006 fertiggestellt wurde, hat die Garage einen ganz besonderen Wert. Einen Mehrwert, um genau zu sein, denn der verglaste Garagenteil des skulptural anmutenden Gebäudes wurde als Mehrzweckraum entworfen und gebaut. Er befindet sich auch nicht, wie so oft üblich, im untersten Teil des Gebäudes, sondern wurde beinahe setzkastenartig in den Mittelteil eingegliedert. »Die Idee einer Art »Wohngarage« ist im Grunde die Antwort auf ein Problem, beziehungsweise auf folgende Fragen: Wie können wir der Garage eine wohnliche Mehrfach- oder Nachnutzung geben? Wie lassen sich die sonst tagsüber leerstehenden Quadratmeter der Garagenflächen sonst noch nutzen? Muss die Garage wie gewohnt immer nur ein dunkler geschlossener Funktionsraum sein?«, erklärt Zlatko Antolovic als leitender Architekt dieses auffälligen Bauprojekts. Letztere Frage ist im Falle des TBone House mit einer klaren Verneinung zu beantworten. Das hier integrierte »Wohnzimmer für den Oldtimer« ist nämlich als gleichwertiges Pendant anzusehen, das mit einem puren Abstellgleis genauso viel zu tun hat, wie ein Porsche 356 mit einem in die Jahre gekommenen Skoda Fabia. »Besonders spannend fanden wir es die Materialität des Wohnzimmers in die Garage zu übertragen und somit die Gleichwertigkeit des Raumes auch gestalterisch zu unterstreichen. So ist hier der gleiche Natursteinboden verlegt, der Raum ebenfalls mit Fußbodenheizung, Einbauschränken und Vorhängen ausgestattet. Umgekehrt finden sich die Ledersitzbezüge des Oldtimers in den bepolsterten Wohzimmerschrankfronten wieder. Es entsteht somit gewissermaßen ein Materialtransfer, nicht nur von Raum zu Raum, sondern auch von Objekt, also dem Auto, zu Raum«, so Antolovic. Der Garagenbereich wird damit fix in den Wohnraum integriert und das Auto so deutlich näher ans alltägliche Leben der BewohnerInnen herangerückt. Auch die Hausherren des von Matt Fajkus und David Birt entworfenen Autohaus entschieden sich dafür, ihren Fuhrpark zu einem Bestandteil ihres Lebens- und Wohnraums zu machen. Als Antwort auf ihre gemeinsame Leidenschaft entstand hier, unweit der texanischen Hauptstadt, eine kleine Festung für die Liebe zum Automobil. Wie Fajkus und Birt klarstellen, wurde das Autohaus für ein Paar entworfen, dessen Leben sich schon seit langer Zeit um Autos dreht: »Früher selbst Rennfahrer und Rennfahrerin, sammeln die beiden nun Oldtimer und bringen Jugendlichen etwas über die Restaurierung alter Autos bei. Ihr Wunsch war es ein Haus zu bauen, das ihre gemeinsame Liebe für das Automobil ausdrückt und jener Leidenschaft einen passenden Raum gibt, die sie einst zusammenführte.« Der in der oberen Etage des Hauses liegende Wohnbereich des Hauses kragt zur vorderen Seite hin aus, weshalb sich im hinteren Bereich die Möglichkeit einer Garage mit doppelter Höhe ergibt. Die Garage wird damit vom Wohnbereich aus sichtbar und durch ein großes Fenster im Wohnzimmer zumindest visuell begehbar. Außerdem wurde der Garagenteil des Hauses so entworfen, dass sich darin künftig auch ein Wohnbereich für das alternde Paar befinden könnte. Sehr viel transparenter kann mit der eigenen Leidenschaft gar nicht umgegangen werden, es sein denn, man lässt das Auto gleich ins eigene Wohnzimmer einziehen. Völlig ohne Hemmschwelle, aber dafür mit dem passenden Lift. Mit seinem Entwurf des KRE House in Tokio wollte Architekt Takuya Tsuchida den künftigen Hausbesitzern genau diesen Wunsch erfüllen. So wurde das Haus nicht nur mit einer im Kellerbereich liegenden Garagenfläche für neun Autos ausgestattet, sondern verfügt auch über einen Lift, mit dem jedes der neun Autos ins Wohnzimmer des Hauses gehoben werden kann. Die Entscheidung zu einer solch ungewöhnlichen Wohngemeinschaft kann sicherlich emotional bedingt sein, allerdings haben solch experimentelle Lösungen in Japan häufig auch einfach praktische Gründe. Konstante Parkplatzarmut in und um Tokio kurbelt den Ideenreichtum der Architekten an. Auch der Schweizer Architekt Philippe Stuebi spricht über Vereinnahmung, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. Die von ihm entworfene Villa O am Vierwaldstättersee sieht mit ihren runden Löchern an der vorderen Außenfassade und dem großen Garagenraum mit auffälligem, ebenfalls rund ausgeschnittenem Oberlicht nämlich so aus, als wäre sie einem wahren Auto-Aficionado auf den Leib geschnitten worden. Die Realität ist jedoch eine andere: »Es gab einen Wettbewerb, den wir mit unserem Entwurf glücklicherweise für uns entscheiden konnten. Erst im Nachhinein haben wir erfahren, dass der zukünftige Hausherr beruflich mit dem Themenbereich Auto zu tun hat«, so Philippe Stuebi. Den Architekten der Villa am Vierwaldstättersee war in erster Linie nämlich daran gelegen eine repräsentative Fassade zu entwerfen — »eine Art Schaufassade«, wie Stuebi betont. Dafür ging er sehr weit in der Geschichte der Architektur zurück, bis in die Blütezeit der Venezianischen Paläste, welche die Kanäle des alten Venedigs zierten und mit den großen Öffnungen in ihren steinernen Fassaden als Vorbild für die Villa O herhielten. Eine runde Sache, die ursprünglich gar nichts mit vierrädrigem Fahrspaß zu tun hatte.
Porsche Design Tower, Sieger Suarez Architects. Das revolutionäre und bislang einzigartige Aufzugsystem katapultiert die BewohnerInnen des Luxus-Hochhauses binnen weniger Sekunden in ihre Apartments.
Fahren Sie noch oder wohnen Sie schon?
Obwohl schon sehr nahe dran, fand die Integration des Automobils in den Wohnraum mit Projekten wie Tsuchidas KRE House noch nicht ihren absoluten Höhepunkt. Im wahrsten Sinne auf die Spitze trieb es die Porsche Design Group, als sie, in Kooperation mit Dezer Development, im vergangenen Jahr den Porsche Design Tower in Miami eröffnete. Herzstück des 60-stöckigen Hochhauses, das vom amerikanischen Architekturbüro Sieger Suarez Architects entworfen wurde, ist das revolutionäre Aufzugsystem, das die BewohnerInnen, in ihrem Fahrzeug sitzend, in ihre Luxuswohnungen bringt. Durch die Möglichkeit den Autostellplatz direkt in den Wohnbereich zu integrieren, konnte ein bislang einzigartiges Wohnkonzept geschaffen werden. Nicht nur der Stellenwert des Autos wurde damit auf eine ganz neue Ebene katapultiert, auch technologisch gibt es bislang nichts Vergleichbares. Der gesamte Vorgang, bei dem das Auto zunächst von einem Schlitten in den Lift gezogen wird und dann bis in die obersten Etagen des Wolkenkratzers zischt, dauert insgesamt nur rund drei Minuten. Im Apartment angekommen erwartet den Bewohner Komfort auf höchster Luxusstufe. Anders hätte man es sich von Porsche auch nicht erwartet. So wurden beinahe alle Wohneinheiten mit einem Pool und einer Outdoor-Küche auf dem Balkon ausgestattet. Während sich die BewohnerInnen im modernen Spa-Bereich der Luxusimmobilie um ihr eigenes Wohlergehen kümmern können, sorgt sich ein »Fahrzeug-Concierge« um deren Autos und übernimmt Services wie die regelmäßige Wartung, Reifenwechsel und Autowäsche. »Die Fertigstellung des Porsche Design Tower in Miami miterleben zu dürfen ist ein ganz besonderer Moment für die Marke Porsche Design. Das funktionale Design, welches die DNA der Marke ausmacht, wird die Bewohner in allen Bereichen des täglichen Lebens begleiten und eine einzigartige Wohnqualität bieten. Eine perfekte Mischung aus Funktion und Technologie«, so Jan Becker, CEO der Porsche Design Group. Die Liebe zum Automobil kann also sehr unterschiedliche Formen annehmen — viele davon haben mit der Vorstellung des klassischen Autoschuppens nichts mehr zu tun. Wie Architekt Zlatko Antolovic betont, wird es auch in der Zukunft bestimmt noch oft um die Zusammenführung von Automobil und Wohnraum gehen, doch diese Verschränkung wird sich wohl immer mehr in die Innenräume der Autos verlagern: »Die fortschreitende Entwicklung der selbstfahrenden Autos wird starke Auswirkungen auf das Interior Design der Fahrzeuge haben. Die damit verbundene Tatsache, dass wir uns künftig während der Fahrt anderen Tätigkeiten, wie arbeiten, lesen, schlafen, essen und fernsehen, widmen können, wird neue funktionale und gestalterische Anforderungen an das Interior Design stellen. Der Innenraum könnte damit zum multifunktionalen mobilen Wohnraum werden.« Dass es sich hierbei weder um pure Zukunftsmusik handelt, noch einfach nur große Töne gespuckt werden, bewies Autohersteller Renault mit der Vorstellung des SYMBIOZ Concept Cars im Rahmen der Frankfurter Automesse 2017. Gemeinsam mit Designerin Aleksandra Gaca wurde hier an einer Vision gebastelt und geschraubt, welche die Zukunft der Mobilität unter ein Autodach bringen soll. Kernstück ihres Konzepts ist die Ausdehnung, vielleicht auch Auslagerung, des Wohnbereichs ins eigene Auto, dessen Innenraum damit zu einem wohnlichen Mehrzweckraum wird. Während Zlatko Antolovic mit dem Entwurf seines TBone House also noch versuchte, das Auto, durch eine Neuinterpretation der Garage als Mehrzweckraum, in den Wohnbereich zu integrieren, könnte das Auto in naher Zukunft bald selbst zum multifunktionalen Wohnbereich werden.
KRE House, Takuya Tsuchida.