Isamu Noguchi

Ein Künstler und Designer zwischen Japan und Amerika

Portrait of artist and designer Isamu Noguchi standing next to one of his sculptures, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

Text Bettina KRAUSE

Die Ästhetik seiner Arbeit ist ein bemerkenswertes Beispiel zeitlosen künstlerischen Ausdrucks, seine amerikanisch-japanische Herkunft zentraler Bestandteil seines Gesamtkunstwerks. Ein Modernist zwischen zwei Welten, deren kulturellem Erbe und der Suche nach seiner eigenen persönlichen und künstlerischen Identität. Isamu Noguchis universeller Anspruch ging über seine Kunst hinaus — das freigesetzte Potenzial und die Wirkung seines Schaffens sind zweifelsohne bis in unsere Gegenwart spürbar.

KREATIV UND VIELFÄLTIG — EIN UNIVERSALKÜNSTLER

Isamu Noguchi (1904 – 1988), einer der einflussreichsten Künstler und Designer des 20. Jahrhunderts, prägte den Satz »There is no such thing as time«. In seiner künstlerischen Arbeit setzte er sich immer wieder mit der Frage nach der zeitlosen Form auseinander. Er schuf neben Skulpturen, Gärten, Möbel, Keramiken, sogar Architektur und Bühnenbilder und verwendete eine breite Palette von Materialien wie Edelstahl, Marmor, Gusseisen, Holz, Bronze, Basalt, Granit und Wasser. Seine Werke waren auf der documenta in Kassel, auf der Kunstbiennale in Venedig und in den großen Museen der Welt zu sehen. Als Weltbürger reiste Noguchi sein Leben lang und ließ sich von der Reinheit des italienischen Marmors und der zeitgenössischen Kunst ebenso inspirieren wie von der Tuschemalerei Chinas sowie der puristischen Keramik und den traditionellen Gärten Japans. In seinem avantgardistischen Schaff en, ob als Künstler, Designer, Bühnenbildner, Landschaftsarchitekt oder Bildhauer, vereinte er die Eindrücke aus Ost und West und verarbeitete damit die Themen seines Lebens.

 

Sunflower (Himawari), 1952, Shigaraki stone-ware by artist and designer Isamu Noguchi, Sogetsu Foundation
© The Noguchi Museum / ARS

 

Sunflower (Himawari), 1952, Shigaraki stone-ware, Sogetsu Foundation, 66 x 35 x 19 cm

 

ZWISCHEN NEW YORK UND JAPAN

Aber wie hat man sich Isamu Noguchi als Menschen vorzustellen? Über sich selbst soll er oft gesagt haben, dass er sich einsam fühle und den Eindruck habe, nirgendwo hinzugehören. Die Ursache dafür liegt tief in seiner Kindheit verborgen. Noguchis Eltern, die beide ihr Geld zunächst mit dem Schreiben verdienten, waren nie verheiratet. Noguchis Mutter Léonie Gilmour — Amerikanerin mit irischer Abstammung — arbeitete als junge Schriftstellerin und Redakteurin in New York City, als sie den japanischen Dichter Yonejirō Noguchi kennenlernte. Wenige Monate bevor Noguchi am 17. November 1904 in Los Angeles geboren wurde, ging sein Vater jedoch allein nach Japan zurück — ein erster Bruch, ein erstes Verlassenwerden.

 

Sculpture ensamble The Kite, 1959, The Mirror, 1958, Man Walking, 1959 by artist and designer Isamu Noguchi, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

The Kite, 1959, Anodized aluminum, 158.1 x 44.8 x 14 cm; The Mirror, 1958, Anodized aluminum, 161.1 x 72.2 x 9.5 cm; Man Walking, 1959, Anodized aluminum, 220.7 x 95.9 x 87 cm

 

Als Noguchi zwei Jahre alt war, zog seine Mutter ebenfalls mit ihm nach Japan, seinen Vater sah er aber nur selten. »Alles, woran ich mich in meiner frühen Kindheit erinnern kann, ist ein Kind zu sein, das mit seiner Mutter lebt«, soll Noguchi gesagt haben. Da seine Mutter als Englischlehrerin arbeitete, verbrachte der junge Noguchi viel Zeit alleine, was ihn lehrte eigenständig und unabhängig zu sein. Ein nächster Bruch sollte folgen, als seine Mutter Noguchi im Sommer 1918 — im Alter von nur 13 Jahren — allein in die Vereinigten Staaten zurückschickte, um dort die High School in Rolling Prairie und später in La Porte, Indiana, zu besuchen. Fünf Jahre lang sah er seine Mutter daraufhin nicht. In einer Beschreibung über seinen Charakter heißt es dazu treffend, dass dieser Umstand »seiner zunehmend komplexen Identität noch eine weitere Schicht hinzufügte«. Noguchi nahm es seiner Mutter sehr übel, dass sie ihn gegen seinen Willen nach Amerika geschickt hatte, und kommentierte einen Besuch seiner Mutter: »Meine extreme Anhänglichkeit kehrte nie wieder zurück, und nun, je mütterlicher sie wurde, desto mehr ärgerte ich mich über sie.«

 

Sculpture of Léonie Gilmour, Mother, c.1932 by artist and designer Isamu Noguchi
© The Noguchi Museum / ARS

 

Léonie Gilmour, Mother, c.1932, Terra-cotta, 20.6 x 18.1 x 19.1 cm, Private Collection

 

BEGEGNUNG MIT DER ZEITLOSIGKEIT

Nichtsdestotrotz folgte der junge Noguchi, der nach Abschluss der High School begonnen hatte in New York City Medizin zu studieren, dem mütterlichen Ratschlag und nahm an Abendkursen für Bildhauerei an der Leonardo da Vinci Art School teil. Ob sie das große Talent ihres Sohnes bereits damals erkannt hatte? Nach nur drei Monaten an der Abendschule zeigte Noguchi seine erste Ausstellung und bestritt fortan seinen Lebensunterhalt mit dem Schaff en von Porträtbüsten. Eine seiner ersten eindrucksvollen akademischen Arbeiten Undine, eine weibliche Skulptur aus Gips, entstand 1926. Weil ihn die akademische Arbeit jedoch nach kurzer Zeit nicht mehr zufrieden machte, suchte Noguchi nach Inspiration und begeisterte sich für die moderne und zeitgenössische Kunst. Besonders die Arbeiten von Bildhauer Constantin Brâncuși, die er 1926 in einer New Yorker Ausstellung gesehen hatte, beeindruckten Noguchi so sehr, dass sie seine künstlerische Ausrichtung grundlegend verändern sollten. Wie gebannt sei er von Brâncușis Vision und Arbeit gewesen. Brâncuși verfolgte die Idee mit seinen minimalistischen Skulpturen, die er immer und immer wieder perfektionierte, der Essenz der Dinge auf die Spur zu kommen. Mit seinen gleichermaßen modernen und archaischen Formen strebte Brâncuși an, etwas Überzeitliches zu schaffen.

 

Man (Otoko), 1952, Bizen stoneware by artist and designer Isamu Noguchi, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

Man (Otoko), 1952, Bizen stoneware, 55.6 x 16.5 x 15.2 cm, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York

 

DIE ESSENZ DER NATUR

Noguchi, fasziniert von dieser Idee, ergriff 1927 die Chance, mit einem Guggenheim-Stipendium nach Paris zu gehen. Hier arbeitete er fünf Monate lang in Brâncușis Atelier als sein Assistent und ließ sich von der Einfachheit seiner Formgebung inspirieren. »Was Brâncuși mit einem Vogel oder die Japaner mit einem Garten machen, ist die Essenz der Natur zu nehmen und zu destillieren. So wie es ein Dichter tut. Und das ist es, was mich interessiert. In einer poetischen Übersetzung die wichtigsten Formen auf den Punkt zu bringen«, so Noguchi. Begeistert von den Formen und der Philosophie Brâncușis wandte sich Noguchi dem Modernismus und der Abstraktion zu und verlieh seinen eigenen Werken seither eine lyrische und emotionale Ausdruckskraft, eine Aura des Geheimnisvollen. In Werken wie Man (1952) oder der Ausstellung seiner Marmorskulpturen in der Stable Gallery 1959 in New York, die als Hommage an Brâncuși galt, wird der Einfluss seines Mentors besonders deutlich. Immer wieder spielte in Noguchis Leben auch seine Herkunft eine Rolle, da er, halb Amerikaner und halb Japaner, vielfach angefeindet wurde. So prägten sowohl Einflüsse aus Ost und West, als auch Fragen nach Identität und Heimat seine Arbeiten.

 

Sculpture for Martha Graham’s Hérodiade, 1944 by artist and designer Isamu Noguchi, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

For Martha Graham’s Hérodiade, 1944, Plywood, paint, 246.7 x 90.8 x 69.2 cm, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York, gift of the J. M. Kaplan Fund, 2002

 

IN STEIN GEMEISSELT

Nach längeren Reisen durch Asien, Mexiko und Europa kehrte Noguchi schließlich Anfang der Dreißigerjahre nach New York City zurück. In seinem Studio in Greenwich Village widmete er sich neben seinen Porträtskulpturen vielfältigen Designaufgaben, entwarf Landschaften, Spielplätze und großformatige Steinskulpturen, erforschte neue Materialien und Methoden. In seinen Werken spiegeln sich die Gefühle einer Epoche wider, die geprägt war von den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Zu jener Zeit entstanden seine eindrucksvollen, von archaischen griechischen Figuren inspirierten Skulpturen, die 1946 in der Ausstellung Fourteen Americans im Museum of Modern Art, New York, zu sehen waren. Noguchi sagte über diese Skulpturen, sie trotzen der Gravitation, ebenso wie sie der Zeit und sogar dem Leben trotzen, das man jederzeit verlieren könne. Die Zeit und das Überwinden von Zeit durch die Essenz der Form bleibt ein immer wiederkehrendes Motiv in seiner Arbeit.

Fourteen Americans, Museum of Modern Art, September 10 – Dezember 8, 1946 exhibition Isamu Noguchi
© Museum of Modern Art, New York / The Noguchi Museum / ARS

 

Fourteen Americans, Museum of Modern Art, September 10 – Dezember 8, 1946

 

KÜNSTLER UND DESIGNER

Auch wenn Isamu Noguchi heute meist als »Designer« wahrgenommen wird, so war sein Selbstverständnis doch ein grundlegend anderes: »Ich beschloss, einfach Künstler zu sein«, sagte er über sich. In seinem Schaffen kollaborierte Noguchi daher auch stets mit anderen Kunstschaffenden unterschiedlichster Disziplinen. So schuf er beispielsweise seit 1935 Bühnenbilder für Martha Graham, arbeitete mit ihr sein Leben lang zusammen und ließ sich auch hier zu Neuem inspirieren.

 

Center Elevation for Martha Graham’s Seraphic Dialogue, 1955 by artist and designer Isamu Noguchi, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

Center Elevation for Martha Graham’s Seraphic Dialogue, 1955, Brass rods, steel cable, 671.8 x 518.1 cm

 

Gate of Hippolytus for Martha Graham’s Phaedra, 1962 by artist and designer Isamu Noguchi, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

Gate of Hippolytus for Martha Graham’s Phaedra, 1962, Paint, canvas, wood, metal, 307.3 x 68.6 x 38.1 cm

 

In seiner Bühnenarbeit realisierte Noguchi, dass er Skulpturen für den Raum schaffen wollte und widmete sich fortan dem Entwurf von Möbeln, wie seinem bekannten Coffee Table von 1944. In den Fünf zigern entstehen die ersten Akari Lampen, die Noguchi aus Maulbeerpapier und Bambus fertigte. Auch wenn viele seiner Objekte in hoher Zahl produziert wurden, waren sie für ihn dennoch weiterhin Kunstwerke. Denn Noguchi unterschied nicht zwischen seinem künstlerischen Schaffen und kommerziellem Design — wenn sich eine Gelegenheit bot, Entwürfe in die Massenproduktion zu bringen, ergriff er diese auch. So entwarf er 1937 eine Gegensprechanlage für die Zenith Radio Corporation und sowohl sein Coffee Table als auch die Akari Lichtskulpturen werden noch heute produziert.

Coffee Table, 1944 by artist and designer Isamu Noguchi, produced for Herman Miller, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

Coffee Table, 1944: Ursprünglich für den amerikanischen Möbelhersteller Herman Miller hergestellt, wird dieser noch heute produziert.

 

Isamu Noguchi exhibition of Akari Lamps, Chuo Koron Gallery, August 2 - 7, 1954, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

Akari Lamps, Chuo Koron Gallery, August 2 – 7, 1954

 

SEIN VERSTÄNDNIS VON ZEIT

Wenngleich Isamu Noguchi der Massenproduktion nicht abgeneigt war, geriet er hier vielfach an seine Grenzen. In einem Interview fasst Noguchi jene Problematik zusammen und gibt dabei auch Einblick in sein Verständnis von Zeit: »Wenn man in einer industrialisierten Welt leben und arbeiten möchte, muss man industrielle Materialien und Werkzeuge verwenden. Damit war ich jedoch nicht ganz zufrieden, denn ich spürte, dass die Einschränkungen solcher Werkzeuge einen dazu zwingen Teil der Industrie anstatt frei zu sein. Und ich hatte das Gefühl, dass die eher altmodische Art, Dinge zum Beispiel mit Stein und mit den eigenen Händen zu machen, einen Weg zur Freiheit lässt. Und so ging ich zurück zum Stein. Ich habe auch eine Zeit lang mit Holz gearbeitet, aber ich wechselte hin und her. Manchmal fühle ich mich wie ein Teil der heutigen Welt, manchmal habe ich jedoch das Gefühl, dass ich vielleicht in die Geschichte oder in die Vorgeschichte gehöre. Oder, dass es so etwas wie Zeit gar nicht gibt. Aber wenn man in der Zeit gefangen ist, in der unmittelbaren Gegenwart, dann ist die Auswahl sehr begrenzt. Man kann nur bestimmte Dinge wirklich richtig machen, die zu dieser Zeit gehören. Wenn man aber aus dieser Zeitgebundenheit ausbrechen will, dann ist die ganze Welt, die man sieht — nicht nur die industrialisierte Welt — der Ort, an den man gehört.«

 

Energy Void, 1972–73 by artist and designer Isamu Noguchi, The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, New York
© The Noguchi Museum / ARS

 

Energy Void, 1972–73, Swedish granite, 361.6 x 31.1 x 112.4 cm

 

WAS BLEIBT

Noguchis Vermächtnis ist groß, das ist auch dem 1985 eröffneten Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum (heute bekannt als The Noguchi Museum) in Queens, New York, zu verdanken, das er selbst initiierte. Noguchi hatte das Museum in einem Industriegebäude aus den Zwanzigerjahren selbst gestaltet — es befand sich vis-à-vis seines Ateliers. Nebst Fotografien, Zeichnungen und Modellen sind hier auch seine Skulpturen in einem ruhigen Garten zu bewundern. Noguchi verfügte, dass auch sein Atelier in Mure, Japan, erhalten bleiben sollte, um andere KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zu inspirieren — ein Wunsch, der mit der Eröffnung des Isamu Noguchi Garden Museum Japan im Jahr 1999 erfüllt wurde. Aus seiner Sicht sollten seine Arbeit und das Museum als Kreuzungspunkt wahrgenommen werden, an dem Ost und West sich treffen. Isamu Noguchi verstarb am 30. Dezember 1988 in New York. Mit seinem vielfältigen künstlerischen Schaffen gelang es ihm, die westlichen und östlichen Kulturen zu vereinen — und Objekte zu gestalten, die ihre Zeit lange überdauern werden. Ähnliches dürfte er auch im Sinn gehabt haben, als er sagte: »Ein Museum ist ein Archiv, ein Depot gegen die Zeit. Es hat einen Hauch von Ewigkeit.

ERSTMALS VERÖFFENTLICHT IN CHAPTER №V »TIME AND SPACE« – Winter 2021

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