Text Sarah WETZLMAYR | ERSCHIENEN IN CHAPTER №IX »WORK IN PROGRESS« – WINTER 2023/24
Der Fußabdruck Greta Magnusson Grossmans in der Geschichte des amerikanischen Mid Century Designs sollte eigentlich klar umrissen und von beeindruckender Tiefe sein. Umso erstaunlicher ist es, dass die gebürtige Schwedin, die 1940 mit ihrem Ehemann in die USA emigrierte und dort bereits kurz nach ihrer Ankunft für Furore sorgte, nie so wirklich als eine jener Designer:innen anerkannt wurde, die mit klarer Handschrift an der Design- und Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts mitgeschrieben haben. Statt deutlicher Fußabdrücke: winzige Fußnoten. Begibt man sich allerdings auf eine nicht immer einfache Spurensuche, entdeckt man das einzigartige Werk einer weitsichtigen Pionierin.
1906 wurde Greta M. Grossman — damals noch Greta Magnusson — in eine im Süden Schwedens beheimatete Tischlerfamilie hineingeboren. Das Haus, in dem sie aufwuchs, hatte ihr Großvater selbst gebaut. Vor dem Studium an der renommierten Design- und Kunstakademie Konstfack in Stockholm, versuchte sie an diese Tradition anzuknüpfen und begann eine Ausbildung zur Tischlerin. Auch Jahrzehnte später kam sie immer darauf zu sprechen, wie sehr sie sich im Handwerk ihrer Eltern- und Großelterngeneration verwurzelt fühlte. »I have wood in my soul«, sagte sie einmal in einem Interview mit dem amerikanischen Magazin House & Garden.
Im Alter von nur 27 Jahren wurde Grossman als erste Frau überhaupt von der schwedischen Gesellschaft für Industriedesign mit dem Preis für »Gutes Möbeldesign« ausgezeichnet, außerdem entschloss sie sich dazu, an den Besuch der Konstfack ein Architekturstudium anzuschließen. Zwischenzeitlich bewarb sie sich — ihr Portfolio im Gepäck — im Designteam eines bekannten schwedischen Warenhauses und wurde prompt abgewiesen. Sie hätten keine Räumlichkeiten für Frauen, lautete die Begründung. Grossmans Studienabschluss, ein Reisestipendium, das sie im Jahr 1931 unter anderem nach Wien führte, und ihr Start als professionelle Designerin fielen auf für sie ideale Weise mit dem international wachsenden Interesse an schwedischem Design zusammen. »The world will look up to Sweden as the supreme exponent of Modernism which has succeeded in finding its own soul and embellishing itself with a purely mechanistic grace«, erklärte der Journalist und Architekturkritiker Morton Shand anlässlich der mit rund vier Millionen Besucher:innen überaus erfolgreichen Stockholm Exhibition von 1930.
SCHWEDISCHES DESIGN IN KALIFORNIEN
Im Jahr 1940 emigrierte die Designerin und Architektin mit ihrem Ehemann, dem Jazzmusiker Billy Grossman, in die USA. Da Billy Grossman jüdischer Herkunft war und Schweden zwar nach außen hin Neutralität proklamierte, aber enge wirtschaftliche Beziehungen mit dem Dritten Reich pflegte, fühlte sich das Paar in ihrer Heimat nicht mehr sicher. Sie reisten mit dem Flugzeug und dem Zug durch die Sowjetunion, fuhren mit dem Schiff nach Japan und dann mit dem Ozeandampfer nach San Francisco, wo sie am 27. Juli 1940 ankamen.
Innenansicht von Greta M. Grossmans Haus am Claircrest Drive in Beverly Hills, 1956-57
Ihr erstes eigenes Ladenstudio, das sie bereits kurz nach ihrer Ankunft eröffnete und in dem sie eigene Entwürfe wie auch Produkte anderer skandinavischer Designer:innen zeigte, siedelte sie am weltbekannten Rodeo Drive in Los Angeles an. Nachdem sie sich einen Kund:innenstamm aufgebaut hatte und sich auch in der kalifornischen Designszene angekommen fühlte, entschloss sie sich dazu, ihr Studio von der Nobeladresse an eine kostengünstigere Lage in der North Highland Avenue in Hollywood zu verlegen. Ihre Aussage, dass sie für ihren Neuanfang in den USA nicht sehr viel mehr als »a car and some shorts« bräuchte, wurde nicht nur zum Titel einer umfassenden Retrospektive in Stockholm (2010), sondern lässt auch Rückschlüsse auf ihre Designphilosophie zu. »Filling every inch of the room with furniture may seem to avoid wasted space — until you find much cannot be used anyway«, erklärte sie mit der für ihre Ausdrucksweise typischen Klarheit in einem 1949 erschienenen Interview mit der LA Times. 1945 brachte sie ihren Wunsch nach Einfachheit bereits auf den Punkt: »Simplicity must be the keynote today in any development of the pattern of living. We cannot live in the Victorian style of yesteryear and expect to survive the pressures that go with modern life. We need to free ourselves from all décor that may hamper our outlook, if not our actions.«
Ihren Überlegungen zum Design der Gegenwart wohnte stets ein starker Funktionalitätsanspruch inne, den sie jedoch hin und wieder mit einem Augenzwinkern versah. So wies sie in einem Interview mit dem Magazin American Artist auf den Einfluss des Umstands hin, dass die meisten Hausbesitzer:innen ihrer Zeit ohne Angestellte auskommen müssen. »So, the modern architect and designer must provide average modern housekeepers with an environment that can be kept clean without a retinue of butlers and maids… She requires simple, polished surfaces on her tables… chests, etc. No intricate carvings please, says the modern housekeeper who does her own work.« Den Frauen, die damals noch sehr viel mehr als heute im Korsett traditioneller Rollenverteilung feststeckten, blieb damit theoretisch mehr Zeit, sich mit Dingen zu befassen, die weniger der Arbeit im Haushalt und mehr der Selbstverwirklichung dienten. Demnach könnte man heute sagen, dass in dieser Aussage bereits ein sanft aufflackernder feministischer Gedankengang steckte.
Couchtisch Ironing Board, hergestellt von Glenn of California, 1954
Der Erfolg ihrer Arbeit ließ auch deshalb nicht lange auf sich warten, weil die Ästhetik der europäischen Moderne zu dieser Zeit in den USA auf der Beliebtheitsskala ganz oben rangierte. Schon 1939, ein Jahr vor ihrer Ankunft, wurde dem schwedischen Pavillon bei der New Yorker Weltausstellung viel Aufmerksamkeit zuteil. Der Architekturkritiker Lewis Mumford bezeichnete ihn im New Yorker als »miracle of elegant simplicity«. Mit ihren Entwürfen und ihrem Studio gelang es Grossman, so erklärt es der ehemalige Direktor der Isamu Noguchi Foundation und des Drawing Center Brett Littman, Scandinavian Good Design mit dem amerikanischen Ideal eines casual lifestyles zu verschmelzen. »The Scandinavian Good Design movement really comes out of social thinking, about good design for people — we should make beautiful objects that are affordable, that people can put in their homes«, sagt Littman und setzt fort: »The American modernist movement also has some of those same ideas, but maybe a little bit less of the kind of social democracy concept behind it.«
Scandinavian Good Design: Grossmans Entwürfe, produziert von Glenn of California, 1952
Es dauerte nicht lange, bis Kunstschaffende wie Frank Sinatra, Greta Garbo, Ingrid Bergman, Gracie Allen und Joan Fontaine, bei Greta M. Grossman ein und aus gingen. Außerdem gelang es ihr, Deals mit bekannten Möbelfirmen wie Barker Brothers, Modern Line, Glenn of California und Sherman Bertram anzubahnen. Darüber hinaus wurden ihre Arbeiten in Gruppenausstellungen mit anderen gefragten Designer:innen gezeigt. Bekannt war Grossman auch für ihre ausschweifenden Parties wie auch für ihr Geschick in Sachen Networking.
COBRA UND GRASHÜPFER
Während ihrer Anfangszeit in den USA konzentrierte sich Greta M. Grossman zunächst auf Möbel- und Lichtdesign. Ihre Entwürfe entsprachen stets jener modern-skandinavischen Formensprache, nach der sich amerikanische Designenthusiast:innen zu dieser Zeit verzehrten, waren gleichzeitig jedoch immer mit einem Funken Eigensinnigkeit ausgestattet. Der deutlich erkennbare Einfluss Mies van der Rohes und anderer Bauhaus-Künstler:innen änderte nichts an der grundsätzlichen Eigenständigkeit ihrer Objekte, zu deren berühmtesten die beiden Leuchten Gräshoppa (1948) und Cobra (1949) gehören. Zur Einfachheit ihrer Entwürfe gesellte sich zudem eine Vorliebe für technische Ausgefeiltheit, die sich möglicherweise auf Grossmans Anfänge als Tischlerin zurückführen lässt. So weisen einige ihrer Leuchten flexible Hälse und schwenkbare Kugelzapfen an den Leuchtenschirmen auf.
Gräshoppa Leuchte, produziert von Ralph O.Smith, 1947–48
Anders als ihre auf unterschiedliche Weise verstellbaren Leuchten, blieb Grossman ihrer eigenen Haltung stets treu. Der damals herrschenden Annahme, dass man Frauen keine mechanisch komplexen Aufgaben übertragen könne, begegnete sie zum Beispiel auf folgende Weise: »The old idea that women are not as good as men at mechanical work is stuff and nonsense«, so Grossman in einer Ausgabe des American Artist magazine im Jahr 1951. »The only advantage a man has in furniture designing is his greater physical strength.« Das Design der bis heute produzierten Gräshoppa lässt außerdem durchblicken, dass Greta M. Grossman ihrem Beruf durchaus auch mit Humor begegnete.
1952 entwarf Grossman für Glenn of California eine berühmte Möbelserie, die sie 62 Series nannte, weil sie davon überzeugt war, dass die aus Tischen und Kommoden bestehende Serie ihrer Zeit locker zehn Jahre voraus ist. Die 62 Series gehört zu den bekanntesten Entwürfen der Designerin und Architektin. »What I like about her work is the kind of simplicity of it, the sophistication of the engineering, and aesthetically, sometimes they can kind of just disappear into the landscape of your apartment«, hält Littman fest. »They don’t necessarily call a lot of attention to themselves, but they’re all very functional and useful.«
Grossmans Architekturentwürfe wurden meist auf strukturell komplizierten Hanggrundstücken verwirklicht;
Claircrest Drive, Beverly Hills, 1956–57
Ende der 1940er Jahre begann sich Greta M. Grossman vermehrt der Architektur zu widmen. Es entstanden rund 14 kleine Häuser in und rund um LA. Viele dieser Häuser, die meist auf strukturell komplizierten Hanggrundstücken gebaut wurden und von denen heute nur noch wenige erhalten sind, können als Vorboten der heutigen Tiny-House-Bewegung gesehen werden, da sie sich durch Einbauten, Mehrzweckräume und zahlreiche multifunktionale Innen- und Außengestaltungen auszeichneten. Als Architektin war sie der Auffassung, dass ein Zuhause ein Ort der Zuflucht und des Glücks sein sollte und kein Ort, von dem man flieht. So brachte sie es jedenfalls in einem Gespräch mit der LA Times auf den Punkt.
RANDFIGUR TROTZ REVIVAL
1966 zog Greta M. Grossman mit ihrem Mann nach Encinitas in der Nähe von San Diego und sich damit aus der Designszene zurück. Während sie sich der Landschaftsmalerei widmete, geriet ihr Werk zusehends in Vergessenheit. Schon vor ihrem Umzug zeigte sie sich immer wieder desillusioniert, wenn es um die Welt der Architektur und des Möbel- und Produktdesigns ging. So sagte sie: »We have lost our searching for design that fits the time we are living in. And our design does not start from within, it starts from without. Current design is not thought through and it is not original.« Billy Grossman starb im Jahr 1978, Greta M. Grossman 20 Jahre später.
Heute werden Grossmans Entwürfe vom dänischen Möbelhersteller GUBI neu aufgelegt:
Gräshoppa Tischleuchte, 2013
Gräshoppa Stehleuchten, 2011
62 Kommode aus der 62 Series, 2012
2012 erlebte ihr Werk eine kleine Renaissance, als sich der dänische Hersteller GUBI dazu entschied, einige ihrer ikonischsten Entwürfe neu aufzulegen. Darunter auch die erwähnte 62 Series und die beiden Leuchten Cobra und Gräshoppa. Im selben Jahr wurde eine ihrer Aluminium- und Messinglampen bei einer Auktion für 37.500 Pfund versteigert. Diese kleine Welle an Aufmerksamkeit spülte Greta Magnusson Grossman jedoch längst nicht in den Designkanon zurück. Obwohl sie zu einer Zeit, als die Design- und Architekturszene nur von einer Handvoll Frauen bevölkert wurde, als einzige weibliche Designerin und Architektin sogar ein eigenes Architektur- und Designbüro betrieb, wurde sie nach ihrem Rückzug aus der Welt des Designs nicht zur Ikone erklärt, sondern an den Rand gedrängt. In einem in der Zeitschrift Art Papers publizierten Essay aus dem Jahr 2013 stellt Autorin Arianna Schioldager jene Frage, die sich naturgemäß aufdrängt: »Why has design pioneer Greta Magnusson Grossman so long remained a footnote in the annals of mid-century modern history, even in the midst of her own revival?«
Harriet Harriss & Naomi House: »Greta Magnusson Grossman. Modern Design from Sweden to California«.
Lund Humphries, 2021
In ihrem Essay »Greta Magnusson Grossman: Living in a modern way« schlagen Harriet Harriss und Naomi House unter anderem folgenden Erklärungsansatz vor: »In its very principles, modernism established a clear distinction between home and work, the private and the public — and so there is palpable dis-comfort in the non-binary position presented by professional women who occupy both spheres.« Darüber hinaus spielten im Kampf um Sichtbarkeit, Repräsentation und Anerkennung natürlich auch andere — in der Regel strukturell verankerte — Faktoren eine entscheidende Rolle. Die gerne auf mehreren Hochzeiten (und Parties) tanzende Greta M. Grossman, die schon an der Konstfack mit unterschiedlichen Kunstrichtungen und Werkstoffen experimentierte und dann auch noch Architektur studierte, schien damals nicht recht ins Bild und schon gar nicht in einen festen Rahmen zu fassen. Eines steht auf jeden Fall fest: Es lohnt sich, ihre großen Fußspuren freizulegen und sich nicht mit ein paar kleinen Fußnoten zufriedenzugeben.