Rolls-Royce ist eine der Marken, die sich der Banalisierung des Alltags entgegenstellt, findet Autorin Diana Kinnert. Ganz in diesem Sinne hat sie mit der britischen Luxuslimousine eine nächtliche Ausfahrt ins Westhavelland unternommen – an einen der wenigen Orte Deutschlands, an denen sich der jährlich wiederkehrende Meteorstrom der Leoniden noch in außergewöhnlich klarer Weise beobachten lässt. Was als Ausflug zu einem astronomischen Ereignis beginnt, wird für Diana Kinnert zu einer Reflexion darüber, was Luxus heute bedeuten kann und wie bedroht jener Kosmos ist, der seit jeher Orientierung, Mythos und menschliche Imagination geprägt hat.
Der Nachthimmel ist ein Faszinosum. Kaum eine Sphäre ist derart sagenumwoben, derart mystisch. Die Betrachtung allein gebietet manchem eine transzendentale Erfahrung. So auch im November 1966, als die Bewohner Arizonas Zeugen eines beispiellosen Himmelsspektakels wurden. Bis zu 50 Meteore pro Sekunde schossen in die Erdatmosphäre und verglühten vor aller Augen am schwarzen Nachthimmel. Der Sturm an Sternschnuppen dauerte nur eine knappe Viertelstunde. Aber noch heute erzählt man von ihm, so dicht war der Kometenstaub gewesen, dass man glaubte, der Himmel würde funkeln.

Ähnliches war bereits 1833 und 1866 geschehen. Inzwischen weiß man, dass der jährlich wiederkehrende Meteorstrom der Leoniden nur alle paar Jahrzehnte derart intensiv ausfällt. Dennoch ist die Betrachtung der Leoniden jedes Jahr im November seit ihrer Entdeckung ein Großereignis für Astronomen, Sterngucker und Nachtträumer. So lange es eben noch geht.
Denn der Nachthimmel steht vor seinem Ausverkauf. Regierungschefs wie Weltraumunternehmer wettbewerben um die außerirdische Vormachtstellung. Das Universum ist umkämpft wie nie. Während sich um das Jahr 2000 rund 750 aktive Satelliten im Weltall befanden, ist die Zahl in den letzten Jahren auf über 10.000 Satelliten angestiegen. Bis 2030 sollen bereits 60.000 Satelliten installiert sein und um das Jahr 2050 Hunderttausende. Die Lichtverschmutzung nimmt deutlich stärker zu als bisher angenommen. War man bisher von einer jährlichen Helligkeitszunahme von etwa zwei Prozent ausgegangen, fanden Forscher heraus, dass die Himmelshelligkeit um 9,6 Prozent pro Jahr steigt. Ein Kind, das am Ort seiner Geburt 250 Sterne sieht, sieht bei anhaltendem Trend zu seinem 18. Geburtstag bloß noch 100 Sterne. Und diese Vorhersage ist optimistisch. Grund genug, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um in diesem Jahr die Leoniden ja nicht nur zu sehen, sondern auch zu zelebrieren. Wo ginge das besser als im Natur- und Sternenpark Westhavelland, in der Nähe des dunkelsten Ortes der Republik, Gülpe, dem von der International Dark Sky Association zertifizierten Ort mit geringster Lichtverschmutzung.

Am Abend des 17. November ist der Himmelsbeobachter aufgeregt, macht er sich in keinem gewöhnlichen Gefährt auf den Weg ins Havelland. Rolls-Royce bietet das strahlend gelbe »Ghostmobil« und der Himmelsbeobachter steigt ehrfürchtig auf den Fahrersitz. Das passt genau, sich in edelster Luxuskarosserie mit Exzellenzgeschichte zu bewegen, sagen die einen. Das ist aber ungewöhnlich, von Berlin aus in Richtung Gülpe über Stock und Stein zu brettern, sagen die anderen. Ein Geländewagen täte es auch. Aber es ist dieses unwirkliche Raumschiff von Rolls-Royce geworden und es ist mindestens standesgemäß. Die Fahrt fühlt sich an wie eine Raumfahrt. So still, so unmerklich ist der Gang des Ghosts, so ausgleichend das Fahrerlebnis, dass Stock und Stein nicht wahrnehmbar sind. Und die Leute schauen, als sei man vom Mond. So etwas hat man hier noch nicht gesehen. Der Ghost ist ein Monolith. Eine Autorität. Ursprünglich waren die Limousinen von Rolls-Royce nicht für den Selbstfahrer, sondern für den Chauffeur konstruiert worden.

Ursprünglich galt der Rolls-Royce nicht als Hommage ans Fahren, sondern ans Gefahren werden. Ein Gefährt für Könige und Maharadschas. Kaum eine Automobilmarke rangiert höher als die Gründung von Charles Stewart Rolls und Frederick Henry Royce von 1904, die nur zwei Jahre später den Rolls-Royce Silver Ghost hervorgebracht hat – ein Fahrzeug, das rasch als das beste der Welt gerühmt wurde.

Der Himmelsbeobachter dringt in den Sternenpark Westhavelland ein wie vor kurzem noch Katy Perry, Oprah Winfrey und Lauren Sanchez-Bezos in der Blue Origin Rakete ins Weltall. Ihre Unternehmung dauerte länger als der auf fünf Minuten terminierte außerirdische Aufenthalt. Zur Gesamterfahrung zählen Aufstieg und Abstieg, Durchbruch und Niederfall, der Weg ist das Ziel. Und wer zu den Leoniden ins Westhavelland will, der will seine Reise zu den Meteoren auch als galaktische Gesamterfahrung. Und so fühlt sich die Fahrt ins schwarze Brandenburg an wie ein Leinen los. Wie ein Astronaut gleitet der Himmelsbeobachter aus dem stockenden Hauptstadtverkehr auf die verlassenen Landstraßen Brandenburgs. Der Ghost ist ein Koloss. Er ist großzügig proportioniert. Er fordert seinen Raum und seine Macht ein. Der Innenraum hingegen wirkt dezent. Er schreit nicht. Er übertönt nichts. Rolls-Royce zu fahren fühlt sich an, als beträte man einen Konzertsaal. Alles ist still. Als absorbierte der Wagen das Böse des Draußen. Als sei man wie in einem Kokon eingeschlossen. Liebevoll umhüllt, sorgsam umwoben. Eingeschlossen. Aber sicher.

Das Draußen fällt hinter einen schweren Vorhang. Eine Immunität gegen das Fremde tritt hervor. Das Gefühl triumphaler Unverwundbarkeit in der gepanzerten Luxuslimousine trifft auf das Versprechen der Stille und Achtsamkeit. Die Krisen der Welt prallen am Wagen ab. Sie prallen am Himmelsbeobachter ab. Er ist der Welt nicht weiter ausgeliefert. Nicht erreichbar. Unverfügbar.

In Zeiten wie diesen, da sogar über den materiell Abgesichertsten, den vermeintlich Privilegiertesten, verfügt wird ohne Ende, durch den Leistungsdruck, den Konsumdruck, die Digitalisierung, durch Ablenkungen, Kompensationen, immer mehr Anforderungen, geschäftlich wie privat, ist der Ort der Stille jener, der wirklicher Luxus ist. Hinter diesen Vorhang der Vereinnahmung, der Verfügung entführt Rolls-Royce schon seit seiner Gründung.

Ist die Ehre der Marke nur noch ihrer Tradition geschuldet? Über 100 Jahre dauert der Erfolg der Marke an, inzwischen unter dem Dach der BMW Group. Seit jeher umgibt die Wagen von Rolls-Royce eine Aura von Triumphalismus und Unantastbarkeit. Das mag ein Gegenentwurf in Zeiten politischer Askese und Verunsicherung sein. Nachhaltigkeit und Reduktion waren niemals erste Assoziationen. Doch die modernen Antipathien werden mit der Vorstellung des Rolls-Royce Spectre auf die Probe gestellt.
In einer Zeitschrift machte Pionier Charles Stewart Rolls bereits im Jahr 1900 eine kühne Vorhersage: »Das Elektroauto ist vollkommen geräuschlos und sauber. Es gibt keinen Geruch oder Vibrationen. Sie dürften sehr nützlich sein, wenn feste Ladestationen eingerichtet werden können.« Diese Worte, zu Papier gebracht vier Jahre vor der historischen Firmengründung, sollten sich als prophetisch erweisen. In 2021 bestätigte der britische Automobilbauer die Erprobung des ersten Modells in der Markengeschichte, das von Anfang an als Elektroauto konzipiert und konstruiert wurde. Nur ein Jahr später wird der Spectre der Welt vorgestellt. Rolls-Royce sucht die Zukunft. Das macht die Marke souverän statt sentimental.

Der Himmelsbeobachter lenkt auf ungepflasterte Forstwege ein. Das darf man dem Vermieter Rolls-Royce nicht verraten. Der Ghost schiebt sich über die Gräser, an den Fichten vorbei, hinaus auf die Lichtung der Himmelsbeobachtung. Dort angekommen scheint er wie ein Monument aus Fantasie und Literatur und Antike. Ein bisschen sieht er aus wie Stonehenge.
Auf der Lichtung sieht der Himmelsbeobachter nach oben. Er visiert das Sternbild des Löwen an. Hier soll es also geschehen. Und siehe da – die Meteore fliegen. Man kann nicht beschreiben, welch ein Spektakel das eigentlich ist. Sie ziehen brennende Schweife hinter sich her. Manche lassen einen ehrfürchtig aufschrecken. Andere kitzeln eine verspielte, liebevolle Sanftheit heraus. Aus dem Ghost werden Picknickdecken und Schaumweine geholt. So wartet man im Sternenpark auf den Morgen.

Die Rückfahrt ist nicht minder traumhaft. Rolls-Royce wird eine Liebe zum Nachthimmel nachgesagt. Die LED-Leuchtpunkte im Dachhimmel der Limousinen sind ein Markenzeichen der Briten. Über den Köpfen der Himmelsbeobachter flimmern nun weiter Sternschnuppen und in der Konsole vor dem Beifahrer erstrahlen rund um den Ghost-Schriftzug weitere 850 LED-Sterne. Für das Spectre Modell (siehe auch Bild ganz oben: das Bespoke-Unikat Spectre Lunaflair) sind in einer unglaublichen Präzisionsarbeit von über 10.000 Stunden rund 5.000 LED-Leuchtpunkte zu diesem besonderen Sternenhimmel im Innenraum entwickelt worden. Lichtchoreografien erlauben die Nachstellung realer Konstellationen am Nachthimmel und eben von Meteorschauern. Das Projekt ist vom South Downs Planetarium nahe des Firmensitzes im englischen Goodwood verifiziert.
Rolls-Royce ist eine der Marken, die sich der Banalisierung des Alltags entgegenstellt. In Zeiten, da der Nachthimmel verächtlich gemacht wird, lädt die englische Automobilmarke zum Innehalten ein. Ein Ruhepol in der Welt der tausend Stürme. Rolls-Royce entführt wie in das Auge eines Hurrikans, in ein nahezu windstilles Zentrum.

In der Geschichte der Menschheit war einmal, dass das eigene Schicksal den Zeichen des Himmels unterstellt war. In der Navigation ließ man sich von Himmelskörpern leiten. Indigene Völker richteten ihre Städte nach Sonne, Mond und Sternen aus. Einige Siedlungen waren exakt auf die Nord-Süd- und Ost-West-Himmelsrichtung ausgerichtet. Andere sollten sich an Sonnenaufgangs- oder Sonnenuntergangspunkte zur Zeit der Sonnenwende orientieren. Ist die Nachahmung des Nachthimmels im Luxusobjekt eines Automobilherstellers nicht also blasphemisch? Das kann man so sehen. Oder es als Hommage an den Kosmos als menschliche Erfahrungssphäre verstehen, dessen Vernichtung ein unwiderruflicher zivilisatorischer Einschnitt wäre. Die Fahrt im Rolls-Royce – sie hat mich fast politisch gemacht.
Text: Diana Kinnert

