Die britische Künstlerin und Designerin Charlotte Taylor erschafft Räume, in denen sich Realität und Fiktion nicht mehr klar voneinander trennen lassen. Begonnen hat ihre Karriere mit Traumwelten aus Lego.
Stein auf Stein – der Großteil aller Karrierewege entsteht auf diese Weise. Metaphorisch gesprochen, versteht sich. Auf die Karriere der britischen Künstlerin und Designerin trifft das allerdings nicht nur im übertragenen Sinn zu. Wird sie in Interviews gefragt, wann ihr Interesse für Kunst und Design zum ersten Mal deutlich hervortrat, erzählt sie nämlich gerne von ihrer Lego-Begeisterung als junges Mädchen. Aber auch ihre unmittelbare Umgebung befeuerte ihre kreative Ader. »Mein Vater ist Beleuchtungsdesigner und meine Mutter eine große Liebhaberin von Innenräumen und Kunst. Mein Stil liegt irgendwo zwischen den technischen Architekturzeichnungen meines Vaters und den ausdrucksstarken gemalten Kreationen meiner Mutter«, berichtet sie in einem Interview mit dem Online Magazin Visual Pleasure.
Mit ihren Arbeiten, die manchmal ganze Gebäude oder Räume, häufiger aber Details wie Stiegenaufgänge, Fenster, Türen oder Gänge zeigen, bewegt sich die in London beheimatete Künstlerin konsequent zwischen Realität und Fiktion. Die Verbindung von Traum und Wirklichkeit macht den großen Reiz ihrer Werke aus. Obwohl ihre Bilder im ersten Moment etwas anderes vermuten lassen, hat Taylor nicht Architektur, sondern Design und Kunst studiert. Sie bewarb sich zwar für ein Architekturstudium, merkte jedoch schnell, dass sie der Bau von Zweckbauten nicht wirklich reizte. »Ich interessierte mich mehr für Architektur unter ästhetischen Gesichtspunkten«, sagt sie. »Die Formen und nicht die Nutzung.«
Beeinflusst wurde Charlotte Taylor unter anderem von der Architektur des Brutalismus und jener der Postmoderne, aber auch von modernen Strömungen aus Kalifornien und Brasilien. Architekten wie Richard England, Carlo Scarpa und John Lautner hinterließen ebenfalls ihre Spuren.
Zwischen Realität und Imagination
Die beiden von ihr absolvierten Studienrichtungen Design und Kunst ergänzten sich für die nun interdisziplinär arbeitende Künstlerin auf optimale Weise, wie sie im Gespräch mit Visual Pleasure erklärt. »Design gab mir eine Grundlage und Struktur für meine Praxis und eine Aufmerksamkeit für Details. Die bildende Kunst hat mir die Möglichkeit gegeben, zu experimentieren und mit Ideen zu spielen. Außerdem hat sie mich dazu gebracht, an viel persönlicheren Projekten zu arbeiten.« Ihre Praxis beschreibt sie nun als eine Form von nicht-funktionalem Design, bei der Referenzen aus der Architektur und der Inneneinrichtung zum Einsatz kommen, gleichzeitig aber auch auf den Kopf gestellt werden. Charlotte Taylor steigt zwar über Struktur und Technik in ihre Arbeiten ein, nimmt ihnen durch die Einführung von Elementen, die mit Perspektive, Farbe und Raum spielen, aber etwas von ihrer Ernsthaftigkeit. Das Verspielte, das ihren Arbeiten anhaftet, entsteht vor allem durch die konsequente Verschmelzung von Realität und Fiktion.
Ob tatsächlich existierende Gebäude oder ihre Imagination zu den wichtigsten Quellen ihres kreativen Schaffens gehören, verändert sich von Arbeit zu Arbeit. In der Regel ist es eine Mischung aus ihrer eigenen Fotografie, inspirierenden Bildern und schnellen Kompositionen, die sie in ihr Skizzenbuch malt. »Ich neige dazu, zunächst mit einem realen physischen Raum zu arbeiten und ihn dann in einen imaginären Ort zu verwandeln«, bringt sie ihre Herangehensweise, auf den Punkt. Charlotte Taylors Portfolio umfasst sowohl freie Projekte als auch Auftragsarbeiten. Außerdem ist sie eine der kreativen Leiterinnen des interdisziplinären Büros dellostudio und die treibende Kraft hinter Maison de Sable, einem Kreativstudio, das sich auf 3D-Kunst spezialisiert hat. Letzteres entstand aus Charlotte Taylors persönlicher Faszination für die Entwicklung von 3D-Kunstwerken und ihrem Wunsch, sich intensiver mit diesem Medium zu beschäftigen.
Auch wenn das in ihren Arbeiten Gezeigte nicht immer in der Realität, sondern vielleicht auf einem anderen Planeten oder an einem für Menschen nicht erreichbaren Ort verankert ist, erhält es trotzdem Referenzen, die es so erscheinen lassen. »Ich spiele gerne mit kleinen Details und Vertrautheiten, die dem Raum einen gewissen Realitätssinn verleihen. Dadurch entstehen Orte, an die wir uns mit mehr Leichtigkeit versetzen können«, sagt Taylor in einem Interview mit dem Magazin Ignant. Ob sie das als eine Form von Eskapismus beschreiben würde? »In gewisser Weise schon«, antwortet die Londonerin, der es wichtig ist, ohne Zwänge gestalten und ihrer Fantasie freien Lauf lassen zu können. »Ich habe nie bestimmte Reaktionen im Sinn, die ich mit meiner Arbeit auslösen möchte.« Dem Trend, futuristische Visionen als dystopisch, naturlos und wenig einladend darzustellen, kann Charlotte Taylor nichts abgewinnen. Etwas anderes hätte man sich von einer Designerin, deren Karriere mit bunten Legosteinen begann, aber auch nicht erwartet. [SW]