Maßgeschneidert

Zeitgenössisches Retail Design

Photo Credit: Anne Holtrop

Im Zeitalter des E-Commerce haben viele Brands verstanden, wie wichtig der stationäre Handel dennoch als unmittelbare, persönliche Verbindung zu KonsumentInnen bleibt. In der Ausführung kommt dem Retail Design dabei eine wichtige Rolle zu, kreiert dieses doch im Idealfall eine harmonische Balance zwischen zweckgebundener Raumgestaltung, klassischer Produktpräsentation und dem Anspruch die Markenidentität zu definieren und schärfen. Vier besonders gelungene Projekte möchten wir an dieser Stelle vorstellen.

 

The Row, London – Annabelle Selldorf

The Row ist diskreter Luxus in Reinform. Ein Leitmotiv, dessen Umsetzung die Designerinnen Ashley Olsen und Mary-Kate Olsen auch bei der Gestaltung ihrer Stores besonders aufmerksam verfolgen. In Zusammenarbeit mit der Architektin Annabelle Selldorf entstand der Londoner Flagshipstore, welcher sich im Herzen des Stadtteils Mayfair und in nächster Nähe der Savile Row befindet. Eine Straße, die vor allem für die dort zahlreich ansässigen Herren-Maßschneider bekannt ist und auch ausschlaggebend für den Namen des 2006 gegründeten Modelabels war. Die Detailverliebtheit zeigt sich bereits im Eingangsbereich: James Turrells »Elliptical Glass« macht dort den Auftakt und ist das erste von zahlreichen zeitgenössischen Kunstwerken, die einen im Inneren des Stores erwarten. Denn neben der Kleidung des Labels werden dort auch sorgsam ausgewählte Möbel und Wohnaccessoires, aus Häusern wie der Galerie Jacques Lacoste, Oscar Graf oder der Galerie 54 zum Verkauf angeboten. Wenn sich im Store die minimalistischen Kleidungsstücke der Marke also mit Stühlen von Le Corbusier, einer Arbeit von John Chamberlain oder einer Couch von Gio Ponti zu einem stimmigen Ganzen verbinden, ist dies viel weniger dem Zufall zuzuschreiben als dem hohen Designanspruch, der The Row auf so vielen Ebenen entscheidend definiert.

 

Photo Credit: The Row
Photo Credit: The Row
Photo Credit: The Row
Photo Credit: The Row

Maison Margiela, London – Anne Holtrop 

Nur wenige Gehminuten weiter entfernt befindet sich auch die Bruton Street. Jene Straße, in deren Haus mit der Nummer 22, der Londoner Conceptstore von Maison Margiela zu finden ist. In Zusammenarbeit mit dem niederländischen Architekturbüro Anne Holtrop designte der Creative Director des Modehauses, John Galliano, das Innere des Stores von Grund auf neu. Freistehende Gipswände und -säulen, welche mit textilen Gussformen modelliert wurden, bestimmen seit der Wiedereröffnung in 2020 die architektonische Identität des Flagshipstores und fungieren gleichzeitig als skulpturale Elemente. Im Kontrast zu dem, im charakteristischen Weiß von Maison Margiela gehaltenen Interieur des Hauptraumes stehen die Umkleidekabinen: Decken und Wände wurden hier mit einem hochglänzenden, dunkelgrünen Lack überzogen und vermitteln ein Gefühl von geheimnisvoller Eleganz. Die Möbelstücke und Spiegel im Store werden von unvollständigen Formen und deformierten Silhouetten bestimmt und lehnen so an die für Maison Margiela kennzeichnenden avantgardistischen Designs an.

 

Photo Credit: Anne Holtrop, Maison Margiela
Photo Credit: Anne Holtrop, Maison Margiela
Photo Credit: Anne Holtrop, Maison Margiela

Acne Studios, Stockholm – Arquitectura-G

Für den 2020 fertiggestellten Store von Acne Studios in Schwedens Hauptstadt hauchte das spanische Architekturbüro Arquitectura-G den Räumen einer ehemaligen Bank neues Leben ein. (Interessante Randnotiz zu den Räumlichkeiten: Eine Geiselnahme in genau jener Bankfiliale war der Ursprung des Begriff des »Stockholm-Syndroms«.) Zahlreiche Umbauarbeiten verliehen dem Gebäude sein neoklassizistisches Aussehen von heute. Arquitectura-G setzte in der Konzeptualisierung des Stores auf Minimalismus – das ehemalige Interieur wurde komplett entfernt und nur die wesentlichen Bestandteile der ehemaligen Filiale blieben im Zuge der Renovierungsarbeiten erhalten. Während die Böden, einige Säulen, sowie Möbelstücke aus echtem Marmor bestehen, sind viele Elemente im Inneren aus Kunstmarmor hergestellt – eine Dualität, die bewusst als Gestaltungsmittel eingesetzt wurde. Der Store ist in drei Abschnitte geteilt, welche durch massive dorische Säulen miteinander verbunden werden. Möbelstücke aus Naturmaterialien von Max Lamb fungieren als Präsentationsflächen und stehen in ihrer Beschaffenheit dem harten Licht, entworfen von Benoit Lalloz, gegenüber. 

 

Photo Credit: Jose Hevia
Photo Credit: Jose Hevia
Photo Credit: Jose Hevia

Jil Sander, Tokio – John Pawson

In Tokio stellt der Flagshipstore von Jil Sander die Kernelemente der Marke klar in den Vordergrund: Rein, intim, gefühlvoll. Bereits vor dem Betreten bietet die Fassade auf Straßenebene, bestehend aus einem langen Fenster, einen unmittelbaren Überblick über das Innere des Stores, seine Strukturen und die darin bestehende Stimmung. Letztere spielte bei der Planung und Umsetzung des Projektes, mit welcher der britische Architekt und Designer John Pawson beauftragt wurde, eine besonders bedeutende Rolle. Die Räumlichkeiten sollten ein Gefühl von Ruhe und Beständigkeit vermitteln. Ziel war es, einen Raum zu schaffen, in dem sich BesucherInnen gleich wohl fühlen. Dies spiegelt sich auch in der ausgewählten Material- und Farbpalette wider. Helle Wände und Böden aus Kalkstein stehen im Dialog mit natürlichen, hölzernen Kirschholz-Akzenten. Ein Banyanbaum, der durch das Treppenhaus ragt, verbindet die Räumlichkeiten, die sich über zwei Etagen erstrecken, auch auf visueller Ebene. Die farbliche Zurückhaltung des Interiors verschafft den präsentierten Kollektionen besonders viel Geltungsraum und lässt sie somit mühelos, aber bewusst zum Hauptakteur im Store werden. Ein Stück der Einrichtung, das vergleichsweise jedoch etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist ein von Dieter Rams entworfenes Braun-Audiosystem aus den Sechzigerjahren, welches von Pawson nahe der Treppe angebracht wurde und als Referenz auf die deutsche Designtradition gesehen werden kann, aus der sowohl die Marke Jil Sander als auch Rams hervorgegangen sind. [AH]

 

Photo Credit: NACASA & PARTNERS
Photo Credit: NACASA & PARTNERS
Photo Credit: NACASA & PARTNERS
Photo Credit: NACASA & PARTNERS