TEXT ANDRES DAMM | ERSCHIENEN IN CHAPTER №VIII »ELEMENTS« – SOMMER 2023
In der Hotellerie wird heute mancherorts eine Detailliebe zelebriert, die weit über die klassischen Merkmale von Markenidentitätsbildung hinausgeht. Dabei sind es nicht die großen Ketten, die neue Maßstäbe in der Perfektionierung von erlebbarer Corporate Identity schaffen. Im Gegenteil, es sind oftmals individuell geführte Boutique-Häuser, die mit einem feinsinnig abgestimmten Gesamtangebot, das diverse Elemente des Gasterlebnisses umfasst, ganz eigene, wohl kuratierte Kosmen kreieren. Auch, aber nicht nur, in der obersten Luxuskategorie.
ABTAUCHEN AM ATLANTIK
An Portugals Atlantikküste, etwas nördlich von Ericeira, auf den Hügeln über dem Meer gelegen, nur durch eine kleine, gewundene Straße erreichbar, befindet sich das Hotel Immerso. Schon bei der Anfahrt wird klar, der Name Immerso — »Eintauchen« — bezieht sich sowohl auf das Gasterlebnis aber auch direkt auf die Architektur. Dezent fügen sich Haupt- und Nebengebäude nicht nur in die Natur ein, sondern scheinen durch ihre Anordnung mit ihr zu verschmelzen. Erklärtes Hauptziel des Hotels ist es dabei, dass dann auch der Gast Teil dieses Erlebnisses wird. Eintauchen in die Natur, eins werden mit deren Ruhe, aber auch deren Wildnis, wenn abends, wie so oft in dieser Gegend, heftige Winde aufziehen. Kein schweres Unterfangen in den Zimmern, die alle mit großen Glasfronten zur Natur hin geöffnet sind und sich im Inneren mit dezenten Erdtönen und Naturmaterialien zurückhalten, um die Aussicht als Hauptakteur agieren zu lassen. Die hier vor einem liegende Landschaft ist pittoresk schön, doch keinesfalls lieblich, was das Naturerlebnis fast noch realer und nahbarer werden lässt.
Eine Einheit mit Natur und Umland zu schaffen ist im jedoch bei weitem nicht nur ein architektonisches Unterfangen, sondern wird auf diversen Ebenen zelebriert. Die Shampoos, Cremes und Seifen in den Zimmern stammen von einer kleinen, portugiesischen Biokosmetikmarke, 8950, die ausschließlich mit heimischen Rohstoffen, insbesondere lokalen ätherischen Ölen arbeitet. Praktischerweise ist auch das schlicht-edle Packaging der Pflegeserie perfekt auf die Ästhetik des Hotels abgestimmt. Im Spa werden Produkte der Marke Vinoble verwendet, die auf Traubenresten, die bei der Herstellung von Wein als Abfallprodukt übrig bleiben, basieren. Selbstverständlich, dass auch diese Kosmetiklinie als 100 Prozent biologisch zertifiziert ist. Naturnähe ohne Nachhaltigkeit und ohne einem Bekenntnis zur Regionalität ist im Immerso nicht denkbar, was sich auch in der kleinen Boutique des Hotels widerspiegelt. Hier wurden diverse Produkte unterschiedlicher portugiesischer Manufakturen ausgewählt. Das Ergebnis ist ein perfekt kuratierter Mini- Concept Store, der neben Kleidung und lokalen Delikatessen auch kleinere Living-Accessoires anbietet. Vertreten sind unter anderem Holzskulpturen des aus Ericeira stammenden Künstlers Paulo Reis.
Naheliegend, dass bei soviel Detailliebe auch gastronomisch nichts dem Zufall überlassen bleibt. Allmorgendlich geht der Chefkoch des Restaurants Emme zum Fischmarkt, um vor Ort den lokalen Fang des Tages für seine Gäste auszuwählen. Auch bei allen anderen Zutaten wird streng auf die regionale Herkunft geachtet, ein Großteil des zubereiteten Gemüses kommt aus dem hauseigenen Garten. Die Weinkarte ist zwar weniger rigoros, so dass sich auch die ein oder andere französische Rebe erspähen lässt, Fokus liegt allerdings auch hier ganz klar auf Portugal. Ein besonderes Highlight, um all die lukullische Regionalität nicht nur auf dem Teller zu zelebrieren, sondern beim Dinieren der Landschaft, die einem all diese Zutaten gegeben hat, besonders nah zu sein, wird ab diesem Jahr Emme on Fire bieten. Hier sitzt man dann in der Natur, an einer langen Tafel neben einem Lagerfeuer. Feuer ist bei dieser gastronomischen Außendependance dann auch das Hauptelement der Zubereitung.
GEMEINSCHAFTSSINN ALS GESCHÄFTSMODELL
Im Herzen Umbriens, auf etwa halber Strecke zwischen Florenz und Rom liegt das kleine Boutique-Hotel Vocabolo Moscatelli, mit dem sich Catharina Lütjens und Frederik Kubierschky einen Lebenstraum erfüllt haben. Zuvor sammelten die beiden Hotellerie-Expertise in diversen Züricher Luxushotels, doch irgendwann kam der Wunsch auf, die »Spielregeln selber aufzustellen«. Das im Dornröschen-Schlaf liegende umbrische Kloster aus dem zwölften Jahrhundert bot dafür das perfekte Spielfeld. »Es gibt diese Spannung zwischen Form und Inhalt, die Form war bei unserem Projekt durch das schöne Kloster bereits definitiv gegeben, uns war es wichtig diesen Pluspunkt zu nutzen und dann auch ganz viel Inhalt reinzupacken«, so Kubierschky. »Insbesondere weil wir hier in einer kleinen, ländlichen Ortsgemeinschaft sind, war es uns wichtig nicht als ausländische Investoren aufzutreten, die mal eben einen Fremdkörper in die Pampa setzen.« Es sei ihnen vielmehr von Anfang an darum gegangen das Existierende, das vielleicht ein bisschen in Vergessenheit geraten war, auferstehen zu lassen. Dieser Ansatz wurde zum Leitfaden bei der gesamten Renovierung und ist nun auch omnipräsent im Tagesbetrieb.
»In der Bauphase, die voll in die Corona Pandemie fiel, hat es uns in vielerlei Hinsicht extrem geholfen, dass wir nahezu ausschließlich mit Handwerkern und Manufakturen aus der Toskana und Umbrien, also aus dem direkten Umfeld gearbeitet haben, da geschlossene Grenzen und die Materialzulieferungskrise in großem Maße an uns vorbei gingen«, erläutern die Hoteliers. Der Zeitplan war dabei durchaus straff, das Kloster wurde im November 2019 gekauft, anschließend hatte man eineinhalb Jahre für die Planung und den gleichen Zeitraum für den historischen Umbau.
Lütjens und Kubierschky betonen, ein wichtiger Aspekt bei der Gesamtgestaltung sei von Anfang an auch die Idee gewesen, ein Treffpunkt für die lokale Bevölkerung zu werden. »Der Gemeinschaftsgedanke und vor allem der Wunsch Teil der hiesigen Gemeinschaft zu werden war für uns essentiell«, so die beiden. Dabei war allerdings klar, dass dies nicht durch pure Anbiederung oder Anpassung geschehen darf. »Gerade beim gastronomischen Konzept war uns wichtig, auch ein bisschen andere Wege als die vor Ort bisher gekannten zu gehen. Wir sind in Umbrien in der Fleischkammer Italiens. Dagegen ist an und für sich auch nichts einzuwenden. Doch da es bereits sehr gute, oftmals sehr simple Restaurants gibt, die sich auf Fleisch konzentrieren, war unsere Idee, einen Ort zu erschaffen, der eine Ergänzung zum Bestehenden darstellt. Dabei spielt für uns auch der Gedanke an Nachhaltigkeit eine Rolle.« Das Ergebnis ist eine Speisekarte, die nicht rein vegetarisch ist, aber doch deutlich mehr fleischlose Alternativen anbietet als in Umbrien üblich.
Das klare Bekenntnis zur Regionalität ist dabei gastronomisch aber auch im Gesamtkonzept zwar definitiv ein Kernelement, wird jedoch nicht dogmatisch verfolgt. »Umbrien ist eine Gegend der Künstler:innen und Handwerker:innen. Das heißt, bei der Gestaltung und Einrichtung konnten wir wirklich aus dem Vollen schöpfen, ohne in die Ferne zu schweifen«, erzählt Catharina Lütjens und man kann die Begeisterung in ihrer Stimme deutlich erkennen. »Für die Kunstwerke in den Zimmern haben wir mit einem Kurator zusammengearbeitet, der ursprünglich aus Umbrien stammt, und der für uns ein Konzept entwickelt hat, bei dem zwar neben lokalen Kunstschaffenden auch ein oder zwei internationale Maler:innen vertreten sind. Besonders stolz und glücklich sind wir allerdings, dass wir auch Kunstschaffende entdeckt haben, die aus der direkten Nachbarschaft stammen und deren Werke nun in unserem Hotel integriert sind.« Die Gäste scheinen die Stimmigkeit der Lokalität zu spüren, denn »für keine anderen Kunstwerke bekommen wir so viele Komplimente und so viel Zuspruch«. Die Zusammenarbeit mit der lokalen Gemeinde bietet dabei für das Vocabolo noch einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Vorteil, erklärt Kubierschky: »Unser Hauptziel war immer, einen Ort zu schaffen, an dem man interessante Menschen treffen kann. Dass wir bereits in der Entstehungsphase spannende Handwerker:innen sowie Kunstschaffende aus der Gegend involviert haben, hat dazu geführt, dass diese dann nach der Eröffnung das Hotel zu einem ihrer Epizentren gemacht haben, Freund:innen mitbrachten und uns weiterempfahlen. Dieser Ansatz war also auch extrem hilfreich für die Akzeptanz bei der lokalen Gemeinschaft.«
MÜNCHNER EKLEKTIZISMUS
Dass das kuratierte Gasterlebnis allerdings nicht nur etwas ist, das kleine Boutique Hotels anbieten wollen und können, beweist das renommierte Luxushotel Bayerischer Hof in München. Das Haus ist mit fast 350 Zimmern und seiner traditionsreichen Geschichte ein wahres Grandhotel in jeglicher Hinsicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Institution nicht auf Individualität in der Gestaltung setzt. Im Gegenteil, die Größe des Hotels, sowohl in Bezug auf die öffentlichen Bereiche aber auch in puncto Zimmeranzahl, wird genutzt, um aus dem Vollen zu schöpfen. Wären Boutique Hotels in der Kunstwelt die kleinen, höchstspezialisierten Nischen-Galerien, dann ist der Bayerische Hof als Pendant dazu das große, epochenübergreifende Museum, das es sich erlauben kann, die verschiedenen Stilrichtungen zu thematisieren, ohne dabei Abstriche in Detailliebe, Qualität und Auswahl machen zu müssen. Zwar kann man mit dieser Strategie diverse Zielgruppen ansprechen, im Gespräch merkt Philipp Herdeg, PR-Direktor des Hauses, aber auch an, dass Erneuerung und Stilerweiterung allerdings immer auch riskante Unterfangen sind, die durchaus auch Stammgäste irritieren oder gar verschrecken können. Der Bayerische Hof hat neben floral-opulenten Laura Ashley Zimmern auch edeltraditionell anmutende Suiten und Zimmer im Stil Graf Pilatis, und dazu, wahrlich kontrastierend, diverse Räume, die von Axel Vervoordt gestaltet wurden. Mag es dem Laura Ashley liebenden Gast noch egal sein, ob nebenan hinter verschlossener Tür jemand Vervoordts Wabi-Sabi Ästhetik genießt, war dies bei der Umgestaltung des Garden Restaurants durch den Belgier schon ein echtes Politikum. Man habe durch die radikal wirkende Umgestaltung natürlich auch eine gewisse Klientel nicht halten können, so Herdeg.
»Dabei ist es im Gesamtkontext allerdings wichtig, nicht nur die schlichte Ästhetik von Vervoordt zu betrachten, sondern auch seinen Ansatz im Schaffen. So modern und puristisch Axel Vervoordts Designs auch anmuten, seine Liebe zur Geschichte der Materialien, das Bedürfnis aus historischen Elementen Neues zu schaffen, das ist etwas, das im absoluten Einklang mit den Werten des Bayerischen Hofs steht.« Insgesamt wurden die neuen, puristischen Elemente auch äußerst gut angenommen. »Wir haben tatsächlich auch Stammgäste, die genau diese Heterogenität unserer Zimmer genießen und bei ihren unterschiedlichen Aufenthalten zwischen den verschiedenen Stilrichtungen wechseln.« Wichtig ist Herdeg dabei auch zu betonen, dass die verschiedenen Zimmertypen im Hotel Bayerischer Hof nicht basierend auf ihrem Stil unterschiedlich kategorisiert werden. Dies geschieht ausschließlich anhand der Größe. 50 Quadratmeter Laura Ashley sind also nicht höher- oder minderwertig gegenüber einem anderen Stil und somit auch preislich gleichauf mit 50 Quadratmetern Vervoordt. Dementsprechend gibt es auch verbindende Elemente, die in allen Zimmern identisch sind, wie beispielsweise Handtücher, Kleiderbügel und Kosmetikprodukte. Um zu den verschiedensten Stilrichtungen zu passen, wurden hier neutralere Elemente gewählt, die sich problemlos einfügen.
Vielleicht ist der Bayerische Hof nicht der perfekte Ort für radikale Vertreter:innen eines einzigen Stils, doch beim Kurzaufenthalt in München im Wabi-Sabi Ambiente zu dinieren, um danach im bayrisch-barocken Spiegelsaal noch einen Digestif zu trinken und schließlich dann im gemütlichen Laura Ashley Himmelbett zu nächtigen, all das, ohne vor die Haustür zu gehen, ist sicherlich kein schlechtes Verkaufsargument gegenüber einer sehr großen, anspruchsvollen und dennoch heterogenen Zielgruppe.