Häuser für Gott

Zeitgenössische sakrale Architektur

Photo Credit: Thomas Mayers

Text Bettina KRAUSE

In alten Dörfern und städtischen Strukturen kennzeichneten sie einst das Zentrum, dienten als Orientierungspunkt und waren oft archetypisch geformt. Sakrale Gebäude die heute entstehen, sind von außen meist nicht mehr auf den ersten Blick als solche zu erkennen und schaffen im Inneren das, was uns oft fehlt: einen Ort des Schweigens, der Begegnung, der Identität, der Innenschau und vielleicht sogar der Erkenntnis. Welche physischen Parameter sind dafür zuträglich und was leisten sakrale Gebäude darüber hinaus im 21. Jahrhundert?

 

RELIGIÖSE STÄTTEN ALS ORTE DER ESSENZ

Eine ringförmige Zentrierung ist das Hauptgestaltungsmerkmal der Sancaklar- Moschee, die 2013 vom vielfach ausgezeichneten Architekten Emre Arolat in Istanbul fertiggestellt wurde. »Ich wollte die Essenz der rituellen Andacht im Islam hervorheben, indem ich einen Raum gestaltete, der von den kulturellen Lasten befreit ist, die das Design von Moscheen seit Jahrhunderten beherrschen«, so der Architekt. Für sein EAA Designstudio, mit Büros in Istanbul, London und New York, ist der Ausgangspunkt jedes Entwurfs die individuelle Situation des Bestandes und des Ortes, deren Besonderheiten und Potenziale es gilt zu erkennen und herauszuarbeiten. Jeder Kontext bekommt so seine passende konzeptionelle Herangehensweise, Materialien werden aufgrund ihrer visuellen und haptischen Eigenschaften gewählt. »Das Design der Sancaklar-Moschee kann durch Bescheidenheit definiert werden«, so Arolat. »Es ist eine Moschee, die sich in den Ort einfügt und für die sich nähernden Besucher keine besondere Gebäudeform erkennen lässt. Über Stufen, die in die Topographie eingebunden sind, steigt man hinab zum Eingang. Diese Entwurfsidee setzt sich in den Innenräumen mit der Ehrlichkeit der Materialien fort. Die einzige Dekoration ist das Licht, das die Sichtbetonwände umspült«, erklärt Emre Arolat seinen Entwurf.

 

Photo Credit: Cemal Emden

NEUE FORMEN UND BRUTALISTISCHE GESTALT

Ebenfalls mit den althergebrachten Formen bricht die Punchbowl Moschee  in einem Sydneyer Vorort. Die Projektidee entstand bereits 1996, mit einem Entwurf des griechischaustralischen Architekten Angelo Candalepas und Erwerb des Grundstücks durch die muslimische Gemeinde. Es sollte jedoch weitere 17 Jahre dauern, bis die Baugenehmigung erteilt wurde. Im anschließenden Bauprozess sorgten neben dem Grundwasserspiegel anhaltende Einwände der Stadtverwaltung für Bauverzögerungen, zudem hatten die Kalligraphen, die das Gebäude dekorieren sollten, Schwierigkeiten ein Einreisevisum zu erlangen. Zwischen 2015  – 2018 konnte der Hauptteil des insgesamt 549 Quadratmeter großen Baus fertiggestellt werden, der erst 2018 als finales Projekt eingereicht wurde und offiziell noch nicht eröffnet ist. Ganzheitlich von Sichtbeton geprägt, offenbaren sich im Inneren neben der großen zentralen Kuppel noch 102 kleinere Kuppeln, die mit islamischer Kalligraphie verziert sind und 99 Namen Allahs darstellen. Zeitgenössisch wirkt der Bau in seiner Form ebenso wie in der Materialität und ist von außen, abgesehen von wenigen Symbolen, nicht als sakraler Bau erkennbar.

 

Photo Credit: CANDALEPAS ASSOCIATES

KONTEMPLATIONSORT IM DIGITALEN ZEITALTER

In einem ganz anderen urbanen Setting soll die Moschee entstehen, für die Amanda Levete mit ihrem Londoner Büro AL_A 2016 beauftragt wurde: Im neuen World Trade Center  in Abu Dhabi. Bisher existiert die Moschee jedoch nur auf dem Papier. Auf 700.000 Quadratmetern sollen dort neben Büros auch Wohnungen, ein Einkaufszentrum, Gastronomie und ein Hotel entstehen. Für die Moschee stehen 2.000 Quadratmeter mit umliegendem Park zur Verfügung — als Ort der Ruhe und Kontemplation inmitten des trubeligen World Trade Centers. Auch AL_A denken die Moschee weniger als simples Gebäude, denn als Chance, die Menschen aus dem Tumult des Alltags in eine entspannende Umgebung zu führen. Der subtile Übergang zwischen innen und außen, zwischen Architektur und Garten, zwischen Andacht und täglichem Leben soll dabei die emotionale Natur des Projekts reflektieren.

 

Photo Credit: AL_A; Brett Boardman

SPIEL MIT LICHT, RUHE UND WEITE

»Die Moschee ist gedacht als ein Teil der Stadt, der die Reise vom Zeitlichen zum Spirituellen widerspiegelt. Inmitten eines Parks gelegen, werden Moschee und Garten zu einer Einheit, wobei die Bäume und Säulen eine informelle vertikale Landschaft bilden und das Freitagsgebet nach draußen verlagern«, erklärt Ho-Yin Ng, Direktor von AL_A und ergänzt: »Im Inneren dringen Lichtschächte durch das Dach der Gebetshalle. Dieses Tageslicht, fließend oder dramatisch, belebt den Raum und aktiviert die Sinne«. Eine idyllische, rasterförmig angeordnete Parklandschaft aus Bäumen und Säulen empfängt die Besucher und leitet die Menschen auf einer Achse zum Eingang der Moschee. Die Gebetshalle strahlt Ruhe aus. Schlanke Säulen und Strukturen sowie geometrische Muster sind der islamischen Architekturtradition entlehnt und prägen den Raum. Das Dach soll als Landschaft gestaltet werden, die von den umliegenden Hochhäusern aus betrachtet werden kann. Das Minarett wird die Präsenz der Moschee weithin sichtbar machen. Filigran perforiert und selbsttragend, ist es vom Dach abgesetzt und hat die gleichen Proportionen wie die Säulen, die den Rest der Moschee formen.

LICHTREGIE IM HISTORISCHEN GEBÄUDE

Christliche Gotteshäuser gehören zu den Archetypen der Architektur. Ein ebensolcher klassischer Bau ist die historische Kirche St. Moritz in Augsburg, die der britische Architekt John Pawson umgestaltete. Seit ihrer Gründung vor fast tausend Jahren hatten Brände, Kriege und ästhetische Entwicklungen tiefe Spuren in der Bausubstanz hinterlassen. Ein Verlust der Klarheit und Kohärenz in der architektonischen Erscheinung war die Folge. Das war der Ausgangspunkt für Pawsons Entwurf. »Als ich die Moritzkirche zum ersten Mal betrat, erkannte ich sofort, dass die zugrunde liegende Struktur und die Proportionen sehr schön sind. Eine Reihe von Ereignissen im Laufe der Jahrhunderte hatte jedoch zum Verlust des gestalterischen Rhythmus und zur Zunahme visueller Elemente geführt. Mein Entwurf beruhte auf der Idee, den Raum durch einen akribischen Prozess des Abtragens neu zu gestalten. Ich war auf der Suche nach einer Qualität der Klarheit, in der man vor allem Licht und Atmosphäre erlebt«, erklärt Pawson.

 

Photo Credit: Gilbert-McCarragher

ZUHAUSE IN GOTTES HAUS

Um die Apsis als Lichtraum und hellsten Ort der Kirche sichtbar zu machen, optimierte Pawson die Lichtführung, gestaltete die Seitenschiffe bewusst dunkler und schaffte ebenso akribisch wie sensibel Klarheit im gesamten Kirchenraum. »Ich möchte, dass die Besucher und Besucherinnen die berauschende Wirkung von Raum und Licht erleben. Aber vor allem möchte ich, dass sie sich instinktiv zu Hause fühlen«, sagt Pawson. Den Nutzen sakraler Bauten sieht der Architekt auch im 21. Jahrhundert darin, als Ort des Rückzugs zu fungieren. »Ich denke, dass die Anforderungen an die sakrale Architektur Bestand haben. Der Zweck eines physischen Gebäudes ist es, seinen Bewohnern und Bewohnerinnen zu ermöglichen, sich in einem Zustand der körperlichen und geistigen Ruhe auf Gott zu konzentrieren. Für mich bedeutet das, die Möglichkeiten zu erkunden, in einem einfachen, sparsamen Raum Gottesdienst zu feiern. Eine zeitgenössische städtische Pfarrkirche wie St. Moritz erfüllt zudem auch eine Reihe von pastoralen und künstlerischen Funktionen, die die Architektur neben ihrem spirituellen Kernzweck ansprechen sollte«.

 

Photo Credit: Gilbert McCarragher

HELLIGKEIT ALS GESTALTUNGSMITTEL

Der Umgang mit dem Licht spielt auch in der Church of Light von Tadao Andō die tragende Rolle. 1989 stellte der Architekt diesen Anbau an eine bestehende Kirche fertig. Es ist ein kleines Bauwerk mit nur 113 Quadratmetern Fläche, gelegen in einem Wohnviertel, 25 Kilometer von Osaka, Japan, entfernt. Der große Betonkubus — 5,9 Meter breit, 17,7 Meter lang und 5,9 Meter hoch — formt den Kirchenraum. Betreten wird er nicht durch eine Tür, sondern indem die Besucher und Besucherinnen zwischen versetzt platzierten Wänden hindurch laufen. Schon hier stellt sich die Frage nach dem Innen und Außen. Hinter dem Altar öffnet sich der Beton in Form eines großen Kreuzes, durch das tagsüber Licht in den dunklen Kirchenraum fällt. Ein weiterer spannungsvoller Schnittpunkt zwischen Licht und Festkörper, der vom starken Kontrast lebt und zur Kontemplation einlädt. Ansonsten herrscht weitestgehend Leere in der Church of Light, womit Andō für die Besucher und Besucherinnen die Möglichkeit schaffen möchte, sich der Spiritualität zu öffnen. Gestalterisch reduziert er alles – ähnlich wie Pawson — auf wenige Elemente und Materialien, die in ihrer Reduktion die größte Wirkung erzeugen.

 

Photo Credit: Mitsuo Matsuoka

GESTALTERISCHER BRUCH ZUM ALLTAG

Für Mario Botta ist das Bauen an sich eine heilige Tat. Eine Handlung, die einen Zustand der Natur in einen der Kultur verwandelt. Während seiner Laufbahn als Architekt setzte sich Botta immer wieder praktisch und theoretisch mit dem Bau sakraler Gebäude auseinander und fasst damit zusammen, was auch die anderen vorgestellten Projekte intendieren. Er stellt fest: »Die Themen des ›Sakralen‹ — Stille, Meditation und Gebet — zeigen, obwohl sie im starken Widerspruch zum Alltagsleben stehen, die ursprünglichen Aspekte, die der architektonischen Arbeit ihre Daseinsberechtigung geben. Ich denke an das Licht und den Schatten, die Schwere und Leichtigkeit, an die Mauer und Transparenz, an den Weg und die Schwelle, an das Endliche und das Unendliche, an die Kraft des gebauten Werkes und daran, dass es ein aktiver Teil eines Lebensraums ist, mit dem die Bewohner täglich in Kontakt sind.« Kontraste zu schaffen, die so wirkungsvoll sind, dass sie Besucher und Besucherinnen zum Sinnieren bringen, wurden auch in vorhergehenden Projekten beschrieben.

MIT STREIFEN UND ZYLINDER KONTINUITÄT BAUEN

Mario Botta erhielt 1996 den Auftrag, am Ende des kleinen Schweizer Dorfes Mogno, in der oberen Valle Maggia Region, die 17 Meter hohe Kirche San Giovanni Battista zu bauen. Bei einem Lawinenunglück 1986 war die Vorgängerkirche aus dem 17. Jahrhundert, die Giovanni Battista geweiht war, zusammen mit einem Teil des Dorfes zerstört worden. Auf ihren Ruinen errichtete Mario Botta die erste von sehr vielen Kirchen, die er fortan noch bauen würde. Ebenso einfach wie raffiniert konstruierte er die Geometrie der markanten, robusten Kirche. Auffällig sind die Streifen aus grauem Stein und weißem Marmor an der Fassade, sowie die zylindrische Form des Gotteshauses mit dem abgeschrägten Dach. Streng und klar wirken die massiven Steinmauern von außen, während sich das Spiel aus Hell und Dunkel, Licht und Schatten im Inneren ausdrucksstark fortsetzt.

 

Photo Credit: Pino-Musi

ARCHITEKTUR FÜR DIE GEGENWART

Für Mario Botta geht heute die Rolle sakraler Gebäude über ihre eigentliche Funktion als Gotteshaus hinaus. Sie können sogar, so meint er, »zu wichtigen Vorbildern für die Organisation von Lebensräumen« werden. Botta betrachtet Gotteshäuser als Teil unserer globalisierten Welt, in der Werte und Lebensweisen vereinheitlicht werden. Zudem nimmt er eine Nivellierung der Lebensräume in der Stadt und auf dem Land wahr. »Unter diesen Bedingungen verschwindet auch nach und nach die zentrale Stellung der religiösen Stätten im Bindegewebe der Siedlungen, sodass sie bestenfalls als Erinnerung interpretiert werden oder als Dienstleister, die den gleichen Stellenwert haben wie andere Elemente der Stadt«. Bei heute neu errichteten Gotteshäusern findet Botta nur unzureichende Antworten vor. Er hält fest: »Jenseits von Lösungen für die Erfüllung liturgischer Bedürfnisse hat der Architekt auch die Verantwortung für eine planerische Synthese, die sicherstellt, dass ein Gotteshaus auch ein Ort der Identität und der Symbolik ist, der die Erinnerung an eine Vergangenheit vermitteln kann. Und diese Erinnerung muss mit der Sensibilität und der Kultur unserer Zeit interpretiert werden«.

 

Photo Credit: Enrico Cano; Pino Musi

ÜBER DIE ZEIT HINAUS

Die Zeit ist einer der entscheidenden Aspekte für Botta, wenn es um sakrale Gebäude geht. Für ihn ist Bauen eine Tätigkeit, »mit der sich der Mensch mit dem ewigen Fluss der Zeit auseinandersetzt«. Für ihn ist das wahre Ziel des schöpferischen Aktes die Schaffung einer neuen räumlichen Beziehung zwischen dem Artefakt und seiner Umgebung. Mit dem Schaffen eines endlichen architektonischen Raums würde dabei dem »Benutzer die Möglichkeit gegeben, einen Zustand der Unendlichkeit zu erleben«, so Botta. Die richtige Raumaufteilung sei in diesem Zusammenhang zwar unverzichtbar, jedoch nicht ausreichend, findet der Architekt: »Das Gotteshaus muss jenseits seiner Funktionen eine Präsenz haben, die uns als formaler Ausdruck unserer Kultur prägt.« Architektur, so sieht es Botta, ist kein isoliertes Produkt, sondern aktiver Teil unserer Umgebung und unseres Lebens. »Das gebaute Werk gehört also zur Landschaft, die in ihrer Gesamtheit, mit ihrer Geschichte und ihrer Erinnerung, ihrerseits zum Werk gehört.« Dieses Wechselspiel zwischen dem Gebäude und seiner Umgebung, die aufeinander reagieren, machen die hier vorgestellten Beispiele deutlich. An eine sich stetig wandelnde Welt passen sich also auch die sakralen Gebäude an, die wiederum ihre Umgebung prägen und formen. So lösen sich äußerlich einstige stereotype Formen auf und werden zu fließenden, zeitgenössischen Formen, während im Inneren der Fokus auf dem Wesentlichen liegt: Der Materie und dem Geist, der Form und der Leere, dem Licht und der Dunkelheit, sowie dem Raum und der Zeit.

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