Gedankenkraft

Mercedes-Benz forscht an Brain-Computer Interfaces

Credits: Mercedes

Mit der Kraft der eigenen Gedanken ein Fahrzeug steuern zu können, klingt im ersten Moment nach Zukunftsmusik. Warum man bei Brain-Computer Interfaces keinesfalls von Gedankenübertragung sprechen sollte und welches Potenzial in der Technologie steckt, erklärt Maxine Benz. Sie ist Expertin im Bereich der Human-Machine Technologies.

Chapter Sie haben Wirtschaftsingenieurwesen studiert und sind in der Konzernforschung bei Mercedes-Benz tätig. Wie sieht Ihr Arbeitsbereich genau aus?

Maxine Benz In meinem Tätigkeitsbereich suche ich vor allem nach neuen Innovationen und Technologien, die in 15 bis 20 Jahren für die Automobilindustrie relevant sein könnten und Disruptionspotenzial haben. Wenn wir etwas interessant finden, bewerten wir zunächst das Potenzial, versuchen die Technologie in weiterer Folge zu verstehen, zu evaluieren und Versuchsträger aufzubauen. Unser Arbeitsbereich ist in verschiedene Themenfelder aufgeteilt, wobei ich mich in meinem Bereich – Human-Machine Technologies – mit Innovationen beschäftige, welche die Verbindung von Mensch und Maschine betreffen.

Chapter Auf welche Berufsfelder konzentrieren Sie sich in Ihrer Arbeit?

Maxine Benz Ich finde den medizinischen Bereich besonders inspirierend. Ein bekanntes Beispiel, bei dem wir uns stark an der Medizintechnik orientiert haben, ist das Thema Brain-Computer-Interfaces, das wir im Jahr 2021 im Konzeptfahrzeug VISION AVTR zeigen und erlebbar machen konnten.

Chapter Was macht den Reiz daran aus, Brain-Computer Interfaces ins Automobil zu holen?

Maxine Benz Um diese Frage zu beantworten, ist es zunächst wichtig, sich der Definition dieser Technologie anzunähern. Als BCI bezeichnen wir Schnittstellen vom Gehirn zu beliebigen Geräten – in unserem Fall zu einem Fahrzeug. Spannend ist das für uns vor allem deshalb, weil durch die direkte Verbindung keinerlei Muskelbewegungen notwendig sind. Schließlich ist es als Luxusmarke immer unser Ziel, unseren KundInnen ein Maximum an Komfort und Innovation zu bieten. Im medizinischen Bereich werden diese Schnittstellen eingesetzt, um Menschen mit körperlichen Einschränkungen dabei zu helfen, am Leben teilzuhaben.

Chapter Wie funktioniert die Steuerung? Von tatsächlicher Gedankenübertragung sollte man ja eher nicht sprechen, richtig?

Maxine Benz Wir sprechen deshalb gerne von Attention-Sensing Interfaces – von intelligenten Systemen, die die Intentionen der Fahrzeuginsassen erkennen, in ein Steuersignal übersetzen und dann entsprechend darauf reagieren. Im ersten Schritt wird die Gehirnaktivität gemessen, wobei es hier zwei verschiedene Wege gibt. Ich kann entweder elektrisch erfassen, wie die Nervenzellen im Gehirn über elektrische Impulse miteinander kommunizieren, oder ich messe über bildgebende Verfahren den Sauerstoffgehalt im Gehirn. Denn immer wenn Gehirnareale aktiviert werden, sind sie besser mit Blut versorgt und weisen dadurch einen höheren Sauerstoffgehalt auf. Im zweiten Schritt werden die Signale mittels Musterkennung gefiltert und ich kann sie analysieren und mit Referenzmustern vergleichen, um die Intention zu entschlüsseln. Im dritten Schritt muss die Intention dann in ein Steuersignal übersetzt werden.

Chapter Wie verhindert man, dass eine Intention falsch entschlüsselt wird?

Maxine Benz Weil unser Gehirn ein unfassbar komplexer Speicher ist, kann es sehr herausfordernd sein, die richtige Neuronengruppe in Echtzeit zu identifizieren. Das Problem ist gar nicht so sehr, dass etwas falsch erfasst wird, sondern eher, dass Artefakte wie Gesten oder Laute das Hirnsignal beinträchtigen. Unser Ziel ist es deshalb, den Reifegrad dieser Technologie so zu erhöhen, dass sie robuster wird. Es ist möglich über Algorithmen diese störenden Artefakte herauszurechnen und zu eliminieren. Hierzu müssen die Störungen im Signal künftig aber noch besser erkannt und die Algorithmen dahingehen stetig verbessert werden, bevor an eine Anwendung in einem Serienfahrzeug zu denken ist.

Chapter Wie hat Ihr Weg in diesen Arbeits- und Forschungsbereich ausgesehen?

Maxine Benz Ich habe meine Masterarbeit in genau diesem Bereich geschrieben und fand es damals schon spannend, dass man sich bei der Mercedes-Benz AG mit neuen Technologien aus dem nicht-automotiv Bereich wie zum Beispiel aus dem Bereich der Medizin, beschäftigt.

Chapter Welche Bedeutung kommt der Aufgabe zu, den Menschen die Scheu vor solch neuartigen Technologien zu nehmen?

Maxine Benz Wir haben Teams, die sich bei uns sehr genau mit solchen Fragestellungen beschäftigen. Außerdem richten wir unseren Wertekompass immer nach ethischen Grundsätzen aus. Das bedeutet zum Beispiel, dass unser Fokus auf non-invasiven Systemen liegt – man sie also aufsetzen und abnehmen kann. Als wir die Technologie bei der IAA 2021 im VISION AVTR präsentiert haben, war ich sehr darüber erstaunt, dass die BesucherInnen kaum Berührungsängste hatten. Ich denke, dass es wichtig ist, den Menschen zu erklären, wie diese Technologie funktioniert – und es nicht unser Ziel ist, Gedanken auszulesen. Das wird auch niemals möglich sein.

Chapter Kann man schon sagen, wie lange es noch dauern wird, bis solche Technologien tatsächlich in Autos verbaut werden können?

Maxine Benz Das ist nicht in wenigen Sätzen zu beantworten, weil es so viele verschiede Arten dieser Schnittstellen gibt. Ein limitierender Faktor ist momentan noch das Headset, das sich die NutzerInnen aufsetzen, um die Technologie nutzen zu können. Da bei uns Nutzerfreundlichkeit an oberster Stelle steht, muss hier noch nach passenden Lösungen gesucht werden. Denkbar könnte etwa die Integration in die Kopfstütze sein. Momentan handelt es sich also noch um Zukunftsmusik, aber, wenn wir an hochautomatisiert fahrende Fahrzeuge denken, ist BCI eine sehr spannende Technologie, die denkbar ist, um Features im Auto zu steuern.