Feine neue Küche

Die führenden Köpfe der pflanzlichen Haute Cuisine

Bilder: Eleven Madison Park © Evan Sung

TEXT Andres Damm | ERSCHIENEN IN CHAPTER №VIII »ELEMENTS« – SOMMER 2023

Die ständige Suche nach den perfekten und exklusivsten Ingredienzen gilt in der Spitzengastronomie als essenzieller Bestandteil herausragender Kochkunst. Dabei dominiert aktuell meist die Überzeugung, dass Warenwert und Seltenheit definieren, wie edel ein Rohstoff sei. Doch neben Kaviar, Filet vom Wagyu-Rind und Hummer heben heute einige führende Köpfe der Haute Cuisine — wie die hochdekorierten Chefs Daniel Humm und Alexis Gauthier — mit großer Raffinesse das oftmals noch verkannte Potenzial rein pflanzlichen Genusses auf ein neues Niveau und definieren mit progressiver Kreativität die höchste Kunst des Kochens neu.

Als das New Yorker Restaurant Eleven Madison Park bei seiner Post-Covid-Wiedereröffnung im Juni 2021 erklärte, von nun an ausschließlich vegane Gerichte anzubieten, kam dies einem Paukenschlag gleich. Daniel Humm, Schweizer Koch und Inhaber des Kult-Etablissements wurde von einem Teil der Presse aus dem Olymp des Kochens in die untersten Sphären der Gastronomie geschrieben. Nicht zuletzt die Tatsache, dass man es wagte für ein neun- bis zehngängiges Menü ohne Fleisch oder Fisch 335 Dollar — heute sind es sogar 385 Dollar — zu verlangen, schien nicht wenigen Kritiker:innen mehr aufzustoßen als billiger Schaumwein.

»Als wir während der Pandemie geschlossen waren, ging mir permanent Miles Davis’ Modell der endlosen Neuerfindung durch den Kopf. Mir wurde schnell klar, dass wir mit etwas Sinnvollem aus der Pandemie-Beendigung zurückkommen mussten, einfach weitermachen wie bisher, das war keine Option «, so beschreibt Daniel Humm im Gespräch mit Chapter den Prozess hin zum veganen Eleven Madison Park. Gerade weil die Welt und ihr Ernährungssystem sich heute in so einem fragilen Zustand befinden, war für den Starkoch klar, dass es seine Verantwortung sei, den Einfluss und die Kreativität des Restaurants zu nutzen, um mit einer ausschließlich pflanzenbasierten Küche Luxus neu zu definieren.

 

 

Eleven Madison Park, Zitrus-Anis-Variation, Winter 2023

 

»So vieles von dem, was wir essen, ist Teil unserer Identität und ich wünsche mir, dass die Menschen sich dafür öffnen, neue Traditionen für eine bessere Zukunft zu schaffen«, beschreibt Humm seinen Ansatz und erklärt auch, was dies ganz explizit für ihn und seinen gastronomischen Wandel bedeutete: »Unser Restaurant war bekannt für seine in Lavendel gebratene Ente und sein Spanferkel und zunächst fühlte sich das vegane Kochen einschränkend und beängstigend an. Aber in den letzten zwei Jahren haben wir das Gegenteil festgestellt — wie befreiend es sein kann, für eine schönere, nachhaltigere, gesündere und köstlichere Zukunft zu kochen«, resümiert Humm ehrlich und durchaus mit Stolz auf das Geleistete.

 

 

 

Impressionen des Eleven Madison Park Menüs, kreiert von Daniel Humm und seinem Team.

 

Der Schweizer Gastronom, der bis dato jede bedeutende Kochauszeichnung der Welt erhalten hatte, unter anderem drei Michelin Sterne zehn Jahre in Folge, riskierte einiges mit seinem radikalen Schritt. Doch das neue Konzept stieß trotz der vielen anfänglichen Kritiken nicht nur auf Ablehnung. Der Guide Michelin befand schließlich im Oktober letzten Jahres, dass das Eleven Madison Park auch weiterhin mit seiner rein pflanzlichen Küche die höchste Wertung, also drei Sterne verdient. Ein Novum, denn bisher ist es weltweit das einzige vegane Restaurant in dieser erlauchten Liga.

 

 

Für das Interieur des Eleven Madison Park zeichnet Brad Cloepfil von Allied Works Architecture verantwortlich.

 

Auch wenn Humm der aktuell konsequenteste Dreisternekoch bezüglich pflanzenbasierten Kochens ist, es gibt durchaus auch andere Granden der Gastronomie, für die »Obst und Gemüse« weitaus mehr sind als nur Nebenakteure zu Fisch und Fleisch. In Paris kocht Alain Passard, der seit 1996 durchgehend mit drei Sternen ausgezeichnet wurde, zwar nicht rein vegan, doch die Speisekarte seines Restaurants L’Arpège liest sich wie eine Huldigung der diversen Erzeugnisse aus den hauseigenen Gärten. Durchaus poetisch spricht Passard von »Grands Crus du Potager«, also den großen Gewächsen aus den Gemüsegärten, die für ihn die prägendste Komponente in seinem Schaffen darstellen. Seine Art zu Kochen wandle sich mit den Jahreszeiten und den Zutaten, die diese hervorbringen. Dabei bietet Passard neben den edlen Menüs in seinem Restaurant auch Warenkörbe für die Bestellung nach Hause an, offeriert werden Jahreszeitenabhängig saisonales Obst und Gemüse.

 

© Gauthier Soho

 

Er sei seit seiner Kindheit auf der Suche nach dem perfekten Gemüse, so Alexis Gauthier.

 

Auch in Großbritannien gibt es mit Alexis Gauthier einen radikalen Verfechter der veganen Haute Cuisine. In seinem Restaurant Gauthier Soho wird seit 2021 rein pflanzlich gekocht. Der gebürtig aus Avignon stammende Koch bekennt, dass die Umstellung kein leichtes Unterfangen war. »Obwohl wir in den letzten zehn Jahren das vegan freundlichste Gourmetrestaurant in London waren, war dieser finale Schritt für viele unserer Kunden und Kundinnen immer noch ein großer Schock. Einige hatten uns 25 Jahre lang besucht, sie kamen zu uns für Heiratsanträge und Jubiläen, sie verbanden mit uns Generationen von Familienfeiern. Für die ältere Klientel ist es schwieriger, sich vegan zu ernähren. Viele von ihnen können sich eine Mahlzeit ohne tierisches Fleisch einfach nicht vorstellen. Leider haben wir ein paar von diesen Kunden und Kundinnen verloren.« Doch insgesamt war dieser Schritt für Gauthier, der selbst strikter Veganer ist, nicht nur aus seiner Überzeugung heraus wichtig, sondern beeinflusste auch den Restaurantbetrieb positiv. »Seitdem wir rein vegan sind, konnten wir ein neues jüngeres Publikum gewinnen. Unsere Kunden und Kundinnen besuchen uns jetzt nicht nur wegen des Restauranterlebnisses, sondern auch wegen unseres moralischen Standpunkts«, resümiert Gauthier im Interview mit Chapter.

 

© Gauthier Soho

 

»Comme Un Fromage«  (dt:  wie Käse): Gauthiers Begeisterung gilt dem Experimentieren mit pflanzlichen Ingredienzen.

 

Allerdings — so gut die Kundenresonanz auch ist, so sehr gäbe es ebenso Konfliktpotential mit Kolleg:innen in der Heimat, erläutert er offen. »Einige Köche und Köchinnen haben meine Entscheidung als Beleidigung der französischen gastronomischen Tradition angesehen. Aber für mich ist Frankreich eine Nation der Innovation und steht hinter einigen der bahnbrechendsten Ideen und Technologien der Geschichte. Nur beim Essen, da steckt Frankreich manchmal noch in der Vergangenheit. Glücklicherweise ändert sich das, in letzter Zeit habe ich einige unglaubliche, neue, pflanzliche Gastronomieprodukte aus meiner alten Heimat gesehen und probiert.« Wenn Gauthier vom veganen Kochen spricht, spürt man seine beinahe schon missionarische Leidenschaft. Sein Lebensstil und seine Arbeit sind ein Bekenntnis zum Tierwohl, aber auch zum Umweltschutz. Als Koch habe er im Laufe der Jahre Tausende verschiedener Tiere zubereitet, doch das sei nichts, dem er nachtrauert. Aus heutiger Sicht fehlt seiner Meinung nach dem Kochen mit Fleisch die Kreativität und insbesondere auch die Saisonalität.

 

© Emire Stitt

 

Ein Blick in den Gemüsegarten »Bois Giroult«  von Alain Passard. Hier lässt er über 450 Gemüsesorten anbauen, die die Grundlage seiner Küche bilden. 

 

»Fleisch hat aufgrund tierischer Fette nur eine Geschmacksstufe — deftig, während Pflanzen ein umfassendes, herrliches Spektrum haben. Das wahre Können in jeder Küche sind die Saucen, das saisonale Obst und Gemüse, die Kräuter, Gewürze und die Zusammenstellung dieser delikaten Dinge«, so Gauthier. So wenig ihn heute tierische Zutaten und deren Zubereitung reizen, so groß ist Gauthiers Begeisterung für das Experimentieren mit pflanzlichen Ingredienzen. »Ich bin seit meiner Kindheit auf der Suche nach perfektem Gemüse. Es fasziniert mich immer wieder, wie die Natur eine solche Vielfalt an Aromen und Farben hervorbringen kann, sie ist endlos. Ich freue mich noch heute, wenn die Produkte der neuen Saison ankommen.« Diese Vielfalt ist in ihrer Schönheit auch auf den Tellern im Gauthier Soho zu bestaunen. Farbenfroh, in diversen Formen und Aggregatzuständen. Dabei gibt es auch überraschende Kreationen wie den veganen Kaviar, den Gauthier humorvoll in der Retrodose serviert, oder die pflanzliche Foie Gras.

»Die wichtigste Zutat der Zukunft ist Kreativität, Zeit und Arbeitskraft«, schrieb jüngst der Gault & Millau. Ohne Zweifel, genau diese genannten Zutaten sind nicht nur wichtig, sondern auch wertvoll. Eine Tatsache, die auch immer mehr Gourmets bewusst wird — mit dem Nebeneffekt, dass zukunftsweisende Kreativität den Genuss auf höchstem Niveau vollendet.