Der Ausgeklammerte

»Chapter Bookshelf«: Leopold Bauer. Häretiker der modernen Architektur

Photo Credits: Der Architekt VI, 1900.

Mit seiner mehr als 500 Seiten umfassenden Monographie schließt Autor Jindřich Vybíral jene Lücke der modernen Architekturgeschichte, die durch die Ausklammerung und Abwertung der Bauten des Otto Wagner-Schülers Leopold Bauer entstanden ist. Bauer entwarf unter anderem die Österreichische Nationalbank.

»Die größte Kunst ist es, zur rechten Zeit allen dekorativen Mitteln zu entsagen«, erklärte der 1872 geborene Architekt Leopold Bauer im Kommentar zu seinem Entwurf für das »Haus eines Kunstfreundes«, mit dem er sich 1902 in einem internationalen Wettbewerb durchsetzte. Bauer gehörte zu den ersten Schülern Otto Wagners nach dessen Antritt an der Wiener Akademie im Jahr 1894. Als Architekt bekannte sich der in Jägerndorf in Österreich-Schlesien aufgewachsene Wagner-Schüler zunächst zu den Werten der Moderne. In einer Zeit, als sich der Großteil seiner Zeitgenossen der dekorativen Eleganz des Art Nouveau zuwandte, tendierte er klar zu einfachen geometrischen Formen. 1903 reihte ihn der Kunstkritiker Ludwig Hevesi in einem Werk über die österreichische bildende Kunst der Neuzeit neben Otto Wagner, Joseph M. Olbrich und Max Fabiani unter »die eigensinnigen Köpfe der Richtung«. Hevesi zufolge, machte er »sich bei verschiedenen Preisbewerbungen durch kühne, das folgerichtige Denken auf die Spitze treibende Entwürfe bemerkbar«, wie auch durch »etliche ultramoderne Häuser«, die er in Mähren gebaut hatte.

 

Photo Credits: © OeNB

Die Österreichische Nationalbank unmittelbar vor ihrer Fertigstellung 1925.

 

Kritik an Otto Wagner

Später jedoch wertete Bauer seine avantgardistischen Ausgangspunkte um und entdeckte die Position eines neuen Historismus für sich. Als das Wesen seiner Häresie beschreibt Jindřich Vybíral in seiner mehr als 500 Seiten umfassenden Monographie »die Ablehnung des Rationalismus und das Bemühen, zur Ernsthaftigkeit der künstlerischen Vorstellungskraft zurückzukehren, welche die moderne Architektur vor der Tyrannei von Funktion und Konstruktion schützen sollte«. Seinen Lehrer Otto Wagner unterzog Bauer dabei immer wieder scharfen kritischen Äußerungen. Im Streit trennte er sich auch von seinen einstigen Freunden Josef Hoffmann und Adolf Loos. Aus dieser Neupositionierung heraus entstand zudem sein Hauptwerk, der zum monumentalen Neoklassizismus tendierende Bau der Österreichischen Nationalbank.

Trotz dieser wichtigen Meilensteine, die im ersten Moment so klingen, als hätte sich Leopold Bauer damit eindeutig in die moderne Architekturgeschichte eingeschrieben, kommt er darin kaum vor oder wird nur selten wertschätzend erwähnt. Jindřich Vybíral schreibt in Leopold Bauer. Häretiker der modernen Architektur, dass es für die Verbannung Bauers aus der Geschichte zweierlei Gründe gibt. »Seine Anerkennung verhinderte erstens die Tatsache, dass er seine persönlichsten und innovativsten Werke außerhalb Wiens und Österreichs schuf, in relativ abgelegenen Gegenden der böhmischen Länder«, erwähnt der Autor als wohl offensichtlichste Ursache. Das zweite Hindernis, das Vybíral beschreibt, ist die vereinfachte Kodifizierung der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts, »die mit historischen Argumenten die Legitimität der funktionalistischen Avantgarde verteidigte und Leistungen verdammte, die nicht in das gewählte Schema passten.« 

Für Jindřich Vybíral ist Leopold Bauer eine »kontroverse, gleichzeitig jedoch eine außerordentlich ausgeprägte Persönlichkeit der mitteleuropäischen Architektur des 20. Jahrhunderts«. Warum er das so sieht, zeigt die mit vielen Bildern ausgestattete Monographie Leopold Bauer. Häretiker der modernen Architektur. Erschienen im Verlag Birkhäuser. [SW]

 

Wettbewerbsentwurf für das Rathaus in Jägerndorf/Krnov, Grundriss, 1900. Der Architekt VI, 1900.

Entwurf für die Villa von Wilhelm Figdor in Baden, Gartenfassade, 1901. Architektonische Monatshefte VIII, 1902