In unserer Serie »Mobilität in der Kunst« zeigen wir spannende künstlerische Positionen, die sich mit dem Automobil als Statussymbol, Sinnbild für Freiheit oder Spiegelbild des aktuellen Zeitgeistes auseinandersetzen. Der renommierte Bildhauer Erwin Wurm (1954) greift das Thema des Automobils seit über zwei Jahrzehnten in seiner Arbeit auf. Mit Humor als künstlerischem Werkzeug ermöglicht er es BetrachterInnen kritische Fragen zu unserer Zeit und Gesellschaft zu stellen.
Ungewöhnliche Proportionen, Volumen und Dimensionen bestimmen Erwin Wurms Skulpturen. Während seine Arbeiten vertraute Objekte des Alltags verzerren und deformieren, gewähren sie uns gleichzeitig einen geschärften Blick auf unsere Gewohnheiten und Wertvorstellungen. So auch mit einer seiner wohl bekanntesten Serien, den »Fat Cars«.
Die Arbeit zu dieser Reihe begann mit Wurms Studie eines grundlegenden Prinzips der Bildhauerei – dem Entfernen und Hinzufügen von Masse zu einem Körper. Anfangs dem menschlichen Körper. »Zu- und Abnehmen ist Arbeit am Volumen. Also ist Zu- und Abnehmen auch Bildhauerei«, so Wurm. Mit seinem Werk »13 Pullover«, in dem Wurm Anfang der Neunzigerjahre durch das schichtweise Anziehen von Pullovern Menschen an Volumen zunehmen – »fett werden« – ließ, legte er einen wichtigen Grundstein für die »Fat Cars«. Denn die Beobachtung und Arbeit am menschlichen Körper führte Wurm folglich auch zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der »dritten Haut« des Menschen, dem Automobil.
Bei den »Fat Cars«, welche zum Großteil zwischen 2001 und 2004 entstanden, versieht Wurm bekannte Automodelle mit Styroporformen und Kunststoffüberzügen und verändert damit ihre vertrauten Silhouetten. So sehen sich BetrachterInnen plötzlich mit einem adipösen Porsche oder einem aus der Form geratenen VW Bus konfrontiert. Mithilfe von Modifizierungen der Masse und Dimensionen verändert Wurm die gesellschaftlich zugeschriebenen Werte und Bedeutungen alltäglicher Objekte. Die einst funktionstüchtigen Autos werden nicht nur »fett«, sondern wandeln sich von einem metallenen, harten Gebrauchsgegenstand zu einem optisch weichen, surrealen Körper. Als Statussymbol der Masse nehmen die von Wurm bearbeiteten Autos menschliche Eigenschaften an, werden dick. Erwin Wurm kombiniert so mechanische Elemente mit biologischen Systemen und lässt sie wachsen. Durch die durch das hinzugefügte Volumen verloren gegangene Agilität, verliert das Auto auch seine Funktionalität und wird für seine ursprüngliche Bestimmung nahezu unverwendbar. Die karrikatureske Verzerrung der Proportionen entzieht diesem zusätzlich seine repräsentative Komponente.
Auch wenn Erwin Wurms Werke oft humorvoll betrachtet werden, haben sie doch eine sozialkritische Konnotation. »Ich verwende oft Humor, um die Leute zu verführen […], um sie dazu zu bringen, näher heranzugehen, aber es ist nie sehr schön, wenn sie näher hinschauen«, bemerkt der Künstler diesbezüglich.
Im vergangenen Sommer hat Erwin Wurm die »Fat Cars« wieder in seiner Arbeit aufgegriffen und mit seinem ersten NFT »Breathe In, Breathe Out« (2021) in Zusammenarbeit mit der König Galerie zum Leben erweckt.
Das vermutlich extreme Gegenteil zu seinen »Fat Cars« hat der Künstler in seiner 2021/2022 produzierten Serie »Flat Sculptures« präsentiert, welche im vergangenen April in der Galerie Thaddaeus Ropac in Paris gezeigt wurden. Auch hier befasst er sich mit dem Thema der Modifikation von Volumen. In seinen ersten öffentlich präsentierten Arbeiten auf Leinwand werden die gemalten Buchstaben, aus denen sich die »Flat Sculptures« zusammensetzen, so gedehnt und gequetscht, dass sie nahezu unleserlich werden. Mit den Titeln der »Flat Sculptures«, die den auf der Leinwand eingravierten Worten »Schwer«, »Pullover«, »Flat« oder »Fett« entsprechen, nimmt Wurm Bezug auf frühere Werke. So auch auf die »Fat Cars«, die sich in den Arbeiten des Künstlers immer wieder, in veränderter Form, zu erkennen geben. [MS]