Francisco de Goyas sezierender Blick auf die Welt und seine Zeit ist einzigartig. Warum seine Radierungen und Lithografien als Meisterwerke der modernen Druckgrafik gelten, zeigt der neue Bildband »Goya. The Complete Prints«, der sein gesamtes druckgraphisches Werk in höchster Qualität an einem Ort versammelt.
In seiner kurzen Biografie über Francisco de Goya fasste Javier Goya die Eckpfeiler des künstlerische Schaffen seines Vaters folgendermaßen zusammen: »Als bewundernder Betrachter von Velázquez und Rembrant [sic], studierte er nichts anderes als die Natur, die er zu seiner Meisterin erklärte.«
Wie sich diese Einflüsse auf das druckgrafische Werk des spanischen Künstlers auswirkten, zeigt der neue im TASCHEN-Verlag erschienene Bildband »Goya. The Complete Prints«. Auf 600 Seiten entführt der Band seine Leser:innen in die Welt des 1828 verstorbenen Malers und Grafikers. Die Sammlung umfasst insgesamt 287 Radierungen und Lithografien, also Goyas gesamtes druckgrafisches Werk. Auch Ausgaben, die unter seiner direkten Aufsicht entstanden, sowie Zustandsdrucke aus nicht veröffentlichten Serien befinden sich darunter. Dadurch wird sowohl die Experimentierfreude des Künstlers deutlich, als auch seine Kontrolle über den Druckprozess. Neben detaillierten Kommentaren zu jeder Druckgrafik beinhaltet der Band auch tiefgehende Essays von Anna Reuter und José Manuel Matilla, die seit vielen Jahren zu Goya forschen.
»Goya. The Complete Prints« verdeutlicht auf eindrucksvolle Weise, warum Francisco de Goya zu den innovativsten Malern und Grafikern des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zählt. Seine Radierungen und Lithografien gelten als Meisterwerke der modernen Druckgrafik und ebneten den Weg für viele Künstler und Künstlerinnen, die ihm Jahre und Jahrzehnte später nachfolgten. Goyas künstlerisches Erbe ist auch in der Kunst der Gegenwart noch gut nachweisbar.
Die Karriere des Spaniers, der 1746 in Aragón zur Welt kam, nahm rasch Fahrt auf: Unmittelbar nach seiner Ausbildung wurde Goya zum ersten Hofmaler Karls IV. ernannt. In seinen berühmten Serien wie unter anderem den satirischen »Caprichos« oder den albtraumhaften »Disparates«, befasste er sich mit den großen Umbrüchen seiner Zeit. Mit den hellen wie auch den dunklen Momenten, die damit einhergingen. Immer wieder stellte er das Individuum dem Aberglauben oder der herrschenden Macht gegenüber. Sein Werk ist keines, das die Welt nur darstellt, sondern eines, das sie mit sezierendem Blick beschreibt – das Risse, Spannungen und Ängste offenlegen möchte.
Goya war zudem ein Intellektueller, der von der Kunst und der Kultur seiner Zeit geprägt und mit den ideologischen Debatten der Epoche bestens vertraut war. Anfangs fühlte er sich den Ideen der Aufklärung verpflichtet, später entwickelte er darüber hinausgehende und persönlichere Positionen. Er ließ sich jedoch nicht nur von der bildenden Kunst, sondern auch von der Literatur inspirieren. Aufgrund seiner Taubheit, die ihn seit den 1790er-Jahren beeinflusste, wurde das geschriebene Wort immer wichtiger für ihn, um sich über Ideen und neue Entwicklungen zu informieren.
Selbst gegen Ende seiner Karriere war Goya noch von seinem stark ausgeprägten Lernwillen beeinflusst. Dieser kommt unter anderem in der in Bordeaux angefertigten Zeichnung »Ich lerne weiter« zum Ausdruck, wie José Manuel Matilla in seinem Essay bereits zu Beginn des Bildbands festhält. Francisco de Goya war »ein unabhängiger Künstler, der sich bei seiner Arbeit von Vernunft und Kritik an der Ignoranz leiten ließ, ständig experimentierte und gleichzeitig nach dem geeignetsten Weg suchte, seinen Ideen Ausdruck zu verleihen.« [SW]
Goya. The Complete Prints
Hardcover im Schuber, 24.3 x 30.4 cm, 3.78 kg, 600 Seiten
taschen.com