Concept Cars stehen für die automobile Zukunft einer Marke und geben – oftmals auch mit dem Stilmittel der optischen Überhöhung – Ausblick auf neue Designsprachen oder Technologien, zeigen Ambitionen und Visionen. Und manchmal, da läuten sie sogar den Aufbruch in eine komplett neue Ära, die Neuerfindung einer Automarke, ein – so wie das MINI Concept Aceman, das Ende Juli seine Weltpremiere feierte. Wir haben einen Blick auf und in das vollelektrische Crossover-Konzeptfahrzeug geworfen und uns mit Oliver Heilmer, Head of Design MINI, über die neue Designsprache »Charismatic Simplicity« unterhalten.
Spannende Zeiten für MINI. Die Marke beschleunigt in eine vollelektrische Zukunft, setzt dabei auf ein immersives digitales Erlebnis und verspricht mit einem neuen Materialkonzept einen minimalen ökologischen Fußabdruck. Zudem verdeutlicht eine zukunftsweisende Designsprache den Aufbruch in eine neue Ära. Ein Konzept bei dem einerseits die charakteristischen Designmerkmale der Marke MINI deutlicher in den Vordergrund gerückt, andererseits aber auch mit innovativer digitaler Technik kombiniert werden. Das Prinzip der so genannten »Charismatic Simplicity« soll durch »Reduktion ohne Verzicht« die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche lenken und der Essenz der Marke dadurch eine noch stärkere Bedeutung zuschreiben.
Das nun präsentierte MINI Concept Aceman – als Ausblick auf ein neues Crossover-Serienmodell, positioniert zwischen MINI Cooper und MINI Countryman – gibt nun einen ersten Eindruck davon, wie der britische Automobilhersteller sich zukünftig als innovative Premiummarke positionieren will und wie jene neue Designsprache, die auf ein gleichsam modernes wie puristisches Exterieur und Interieurdesign setzt, alle nun folgenden Modellgenerationen prägen wird.
Maßgeblich für das markante Erscheinungsbild des Concept Aceman – und somit richtungsweisend für die gesamte künftige MINI Familie – sind dabei insbesondere die präsente, aufrechte Fahrzeugfront, mit einem achteckigen, beleuchteten Kühlergrill-Element, die großzügigen Karosserieflächen, die von scharfen Kanten strukturiert werden, eine athletische Schulterpartie und ein kraftvolles Heck mit vertikal angeordneten Rückleuchten sowie die immer wieder auftauchenden Union Jack Anleihen. Die markentypischen Proportionen zeigt die Studie dabei in besonders markanter Ausprägung und unterstreicht damit das erwähnte Ansinnen, das Design wieder mehr auf die traditionellen Grundwerte von MINI zu lenken.
Und auch ein Blick in das Interieur des Concept Aceman zeigt ein durchaus reduziertes Design mit klaren Strukturen und Formen. So erstreckt sich die Armaturentafel als flach gehaltenes, mit Strickstoff überzogenes Designelement im Stile einer Soundbar über die gesamte Breite des Innenraums und bildet den Rahmen für das Zentralinstrument, das hier erstmalig als rundes OLED-Display ausgeführt ist. Als Kontrast erscheint die darunter positionierte klassische Toggle-Schalter-Leiste, die zwar hinsichtlich Gestaltung und Funktionalität neu interpretiert wurde, aber als traditionell analoges Element für die gelungene Kombination fortschrittlicher digitaler Technologie mit klassischen Designmerkmalen steht. Das insgesamt doch sehr reduzierte Erscheinungsbild wird von hochwertigen Materialien und freundlichen Farben begleitet.
Die für die Marke so wichtige emotionale Verbindung zwischen Fahrzeug und seinen NutzerInnen soll durch ein voll digitales Bedienkonzept und eine ganzheitliche User Experience aus Licht, Bewegung, Interaktion und Sound gewährleistet werden. So sorgt beispielsweise der MINI Companion als sensorbasierte Animation für ein Begrüßungsszenario aus Lichteffekten und Sound, sobald man sich dem Fahrzeug nähert oder die Türen öffnet. Ein anderes Highlight ist sicherlich der über das Zentralinstrument hinausreichende Anzeigebereich. Mithilfe von Bewegtbild-Projektionen können die Inhalte des Bediensystems auf die gesamte Armaturentafel übertragen werden, sodass sich ein beeindruckendes, bis in die Türverkleidungen hineinreichendes digitales Erlebnis ergibt. Zahlreiche Möglichkeiten zur Individualisierung und Personalisierung – ein seit jeher ja besonders wichtiges Thema bei MINI – bieten zudem die neuen so genannten »Experience Modes«, die mit allerlei digitalen Spielereien und Interaktionsmöglichkeiten für den ein oder anderen Überraschungsmoment und interaktive Abwechslung sorgen.
Wir haben Oliver Heilmer, Head of Design MINI, bei der Präsentation des Concept Aceman getroffen und mit ihm unter anderem über die neue Designsprache sowie das nachhaltige Materialkonzept gesprochen.
Chapter Lieber Oliver, die neue Designsprache soll durch größtmögliche Reduktion die »Essenz der Marke MINI« noch deutlicher in den Vordergrund rücken. Woraus setzt sich diese Essenz zusammen und was macht für dich persönlich das Wesen und den Spirit der Marke im Jahr 2022 aus?
Oliver Heilmer Also ich muss da eigentlich bei dem beginnen, was wir als Spirit von Alec Issigonis verstanden haben, der festgestellt hat, so wie die Fahrzeuge damals gebaut wurden, das erscheint ihm nicht effizient genug. Er hat alles über Bord geworfen und hat sich auf seine Idee, auf seine Vision konzentriert. Wie ja übrigens auch John Cooper, die ja beide gesagt haben, sie wollen keine Verschwendung – und das noch weit vor dem nun so präsenten Begriff der Nachhaltigkeit. Der Grund war damals »einfach nur« eine Ölkrise. Und das hat dazu geführt, dass sie sehr klar und deutlich und fokussiert mit den Elementen umgegangen sind, die vorhanden waren. Sie wollten nicht das reduzierteste Auto bauen. Und wir im Design fanden dieses Gefühl der Vereinfachung so interessant, dass wir gesagt haben, das hätten wir gerne wieder. Jetzt wissen wir aber auch, dass die Welt heute viel komplexer ist, und damals war MINI auch keine Premiummarke, zudem haben wir nun natürlich auch eine Heritage, eine Historie von Fahrzeugen. Aber wir haben uns gesagt, wir nehmen alles raus was keine Rolle spielt und bringen danach den emotionalen Twist rein, jedes Element wird hinterfragt, was genau ist die Funktion dahinter. Und wenn man sich jetzt das Concept Aceman ansieht, alles was beispielsweise in der Front ist, hat eine gewisse Funktion, da ist kein Zierelement im klassischen Sinne mehr. Und das haben wir sowohl im Exterieur als auch Interieur durchgezogen.
Chapter Ich habe in diesem Zusammenhang aber auch eine schöne Bemerkung von dir im Kopf, als du Gast in unserem Podcast Chapter Talks warst. Du meintest da, es sind oft jene kleinen Elemente die eigentlich nur nett sind und keine wirkliche Funktion haben, die jene so wichtige emotionale Komponente bei MINI ausmachen. Wie passt das mit der neuen Designphilosophie der Reduktion und von dir erwähnten Vereinfachung zusammen?
Oliver Heilmer Also das sind zwei Ebenen. Die eine ist, wenn du rein die Anzahl der Komponenten zählst – hier ist die Reduktion super konsequent. Wenn du das mal vergleichst mit einem Fahrzeug, das heute auf der Straße ist, da hat man dort ein Zierelement gehabt, hier ein Rähmchen, da noch etwas – alles weg. Wo wir aber sehr wohl verspielt sein können und eine gewisse Emotionalität erzeugen können, ist in der Materialität, denn trotzdem brauchen wir ja immer diesen MINI Twist. Und den erreichen wir jetzt zum Beispiel durch die Nitting Technologie, die wir in den Türen und im Dashboard einsetzen. Die ist insofern interessant, weil sie die beiden Welten miteinander verbindet, die eigentlich im Widerspruch stehen. Einerseits wollen wir nachhaltiger sein und auf der anderen Seite wollen wir flexibel sein. Und das schaffen wir. Also einerseits zu 100 % recycled und andererseits eine Flexibilität behalten, wie für Special Editions, das haben wir durch das Nitting erreicht. Hier können wir beispielsweise durch unterschiedliche Ebenen von Garnen, individuelle Patterns erzeugen, wodurch das Erscheinungsbild, das Design, ganz anders wird. Das ist die Verspieltheit, die schon wichtig ist. Und dann haben wir natürlich auch die digitale Ebene, wo du, wenn du es willst, als Kunde komplett crazy gehen kannst. Zudem gibt es auch Elemente wie zum Beispiel dieses kleine Band im Lenkrad auf der 6 Uhr, das ja keine echte Speiche mehr ist, das ist aber etwas Besonderes, vielleicht auch etwas, was du später mal an einem Schlüssel dran hast oder einem Uhrenarmband. Ein Element, das eine gewisse Connection herstellen kann. Und das ist auch, finde ich, in Zukunft für MINI total wichtig. Eben diese Elemente, von denen du gesprochen hast, die nicht unbedingt sein müssten, aber die die emotionale Komponente mit einbringen, die braucht man immer.
Chapter Ich kann mir vorstellen, dass dies auch im Designteam immer ein durchaus intensiver Diskussionsprozess ist, welche Designelemente kann man zukünftig auch aussparen und welche sind wirklich essenziell für die Marke?
Oliver Heilmer Also wir machen im Designteam für uns immer den Stresstest, bei dem wir einfach jedes Element für sich mal rauslassen und dann nochmal drauf schauen. Und oft ist es dann eben so, dass man sagt: Nein, vermisse ich nicht. Und manchmal denkst du: Oh, was ist jetzt los? Dem fehlt ja was. Schlussendlich vertrauen wir da der Schwarmintelligenz in unserem Designteam. Weil unsere Designer und Designerinnen auch ganz unterschiedlich sind, einerseits in der Altersstruktur aber auch unterschiedlich geschult. Ich würde sagen die Kombination aus Bauchfeeling und der Professionalität, die wir natürlich in unserem Beruf haben, damit fühlen wir uns wohl. Und dann ist es natürlich wichtig, den Mut zu haben, dann vielleicht auch relativ später mal zu sagen: Nein, vielleicht so nicht.
Chapter Ich möchte nochmals kurz zurückkommen auf die neue MINI Designsprache »Charismatic Simplicity«. Wofür steht hier das Wort »charismatisch«?
Oliver Heilmer »Simplicity«, wenn du das alleine nimmst, das ist keine Verbindung zur Marke – null. Was wir aber festgestellt haben, ist, dass MINI als charismatische Marke wahrgenommen wird. Gleichzeitig sprechen wir ja immer mehr von Charakteren. Wir wollen ja im Prinzip keine Zwillinge, die unterschiedlich skaliert sind, innerhalb der MINI Familie, sondern jeder soll seinen eigenen Charakter, seine eigene Edgyness auch mitbringen. Und was mir am Begriff »charismatisch« gefällt, ist, dass er ist nicht im ästhetischen Sinne wertend ist. Viele Menschen haben extrem viel Charisma durch ganz viele Elemente und dabei ist es am wenigsten das Aussehen interessanterweise, es ist vielmehr die Art und Weise, wie man spricht, wie jemand sich verhält. Und das, glauben wir, ist ebenso viel wichtiger für MINI. Jetzt ist es natürlich nicht so einfach zu übersetzen, aber es ist zumindest unser Ziel, dass wir doch eine Möglichkeit haben, diese Persönlichkeit erzeugen zu können. Und auch da ist es so, dass es nicht nur die Ästhetik ist. Es ist tatsächlich die Art und Weise, wie ich mit dem Auto interagiere. Wie heißt es mich willkommen, wie hört es sich an? Und das, glaube ich, ist eigentlich das, was es ausmacht. Und »charismatic« bedeutet zum Beispiel auch – jetzt kommen wir mal zurück auf Elemente – hat jemand ein Muttermal? Klar könnte man sagen: ein Muttermal ist total überflüssig. Aber trotzdem kann es sehr charismatisch sein, ein ganz prägender Teil einer Person. Daher haben wir das auch so übersetzt, dass »simplicity« für uns nicht ohne dieses Wort »charismatic« existieren kann.
Chapter Ein ganz essenzieller Teil der MINI DNA wird ja fortan auch das nachhaltige Materialkonzept sein. So wurde auch beim soeben vorgestellten Concept Aceman komplett auf Chromelemente oder Leder verzichtet. Nun ist es aber doch so, dass Materialien wie eben Leder vielfach noch immer als Ausdruck von echtem Luxus, oder eben »Premium« wahrgenommen werden, und MINI definiert sich ja auch als eine Premiummarke. Wie geht ihr damit um? Oder anders gefragt, denkst du, dass hier bereits ein Wandel in der Definition und Wahrnehmung der Konsumenten und Konsumentinnen feststellbar ist?
Oliver Heilmer Ja, wir stellen schon den Wandel fest. Grundsätzlich muss man natürlich eine Sache sagen: In vielen anderen Industrien sind die Kunden und Kundinnen schon weiter als in der Automobilindustrie. Wie bei Möbeln zum Beispiel. Wenn man sich da ansieht, was aktuell so auf einer Möbelmesse gezeigt wird – für viele Hersteller ist Leder überhaupt kein Thema mehr. Und auch wir haben uns ganz klar für Alternativen entschieden, weil wir festgestellt haben, dass tatsächlich der CO2-Impact wirklich enorm ist. Das können wir ja mittlerweile messen, und auch der Wasserverbrauch und was da alles dahinter steckt prozessual. Und ästhetisch gesehen ist es so, dass wir nun eine Oberfläche haben, die dem sehr, sehr nahe kommt. Wir haben das übrigens auch verprobt. Wir haben Kunden und Kundinnen vor die Wahl gestellt und gefragt: Was ist aus eurer Sicht hochwertiger? Was sie nicht wussten, ein Material war Leder und das andere Kunstleder und nur aufgrund der Pattern, der Feinheit der Struktur, haben sich alle für das Kunstleder entschieden. Und auch das hat gezeigt, wir müssen nur in der Industrialisierung sicherstellen, dass wir diese optische und auch haptische Qualität erreichen können, alles andere passiert im Kopf. Wir haben also gesagt, wir müssen einfach den Anfang machen. Und für die Marke MINI, wiederum mit dem, womit MINI eigentlich auch begonnen hat, ist es fast verpflichtend. [CS]