An der Kreuzung von Design und Handwerk

Gespräch mit Andreas Feussner, Head of Modelling bei Mazda

Photo Credits: Mazda

Chapter Immer wieder war in den vergangenen Jahren von einem Revival des Handwerks die Rede. Lässt sich das tatsächlich beobachten? Was ist Ihre Einschätzung dazu?

Andreas Feussner Ich merke schon, dass das Interesse an handwerklichen Berufen gestiegen ist. Wenn man vor einigen Jahren erzählt hat, dass man einem handwerklichen Beruf nachgeht, haben sich nur wenige danach erkundigt, was man genau macht. Das ist jetzt definitiv anders. Manchmal spürt man auch eine Form von Sehnsucht, die möglicherweise daher rührt, dass es sowohl in unserer Natur als auch in unserer Vergangenheit liegt, etwas mit den Händen zu tun. Weil klassische Büroarbeit erst seit vergleichsweise kurzer Zeit fixer Bestandteil unseres Lebens ist, gibt es nach wie vor eine starke Verbindung zu Tätigkeiten, die mit den Händen ausgeführt werden.

Chapter Trotzdem fehlt es in vielen Bereichen an Fachkräften …

Andreas Feussner Das ist eine Konsequenz aus der Vergangenheit. Mittlerweile spürt man aber, dass handwerkliche Produkte wieder stärker nachgefragt werden und es wieder »cool« geworden ist, in von Hand gefertigte Objekte zu investieren. Es erfüllt die Menschen mit Stolz, etwas zu besitzen, das nicht jeder hat. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gerne an einen Satz unseres Designchefs Ikuo Maeda. Er hat gesagt, dass in Japan die Menschen das Gefühl haben, dass ein Handwerker seinem Produkt Leben einhaucht. Es eine Seele bekommt. Das ist eine schöne Philosophie, die wir auch in unsere Modelle hineinbringen möchten.

Chapter Gerade im vergangenen Jahr wurden die Stimmen nach mehr Regionalität, Nachhaltigkeit und gutem Handwerk wieder lauter. Könnte das eine der positiven Seiten dieser Krise sein?

Andreas Feussner Die Krise, die wir gerade durchleben, führt auch dazu, dass wir sehr viel Zeit zu Hause verbringen. Wir befassen und umgeben uns also ständig mit den Produkten, die uns begleiten. Dadurch merken wir vielleicht auch, dass uns handwerkliche Produkte mehr Freude bereiten als Dinge, die industriell hergestellt wurden. Wenn man früher viel Geld für Reisen ausgegeben hat, ist nun etwas mehr übrig, um es in schöne und langlebigere Produkte zu investieren. Darüber hinaus glaube ich auch, dass es viele Menschen gibt, die sich seit dieser Krise mehr Gedanken über ihren ökologischen Fußabdruck machen und ihr Konsumverhalten überdenken. Geht es beispielsweise um das Thema Arbeitsbedingungen, bringt Regionalität eine Transparenz mit sich, nach der sich immer mehr Menschen sehnen. Dadurch entsteht in weiterer Folge Vertrauen. Das merke ich auch in unserer Abteilung, weil wir mit einigen Suppliern aus der näheren Umgebung zusammenarbeiten und das gegenseitige Vertrauen sehr zu schätzen wissen.

Chapter Gleichzeitig mussten viele Branchen in Sachen Digitalisierung nachziehen. Haben Sie Angst davor, dass Ihnen eines Tages ein Roboter Ihre Position streitig machen könnte?

Andreas Feussner Ich denke, dass man das Beste aus beiden Welten geschickt vereinen sollte, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die Digitalisierung kann dabei als weiterer Baustein im gestalterischen Prozess gesehen werden. Deshalb versuchen wir bei Mazda neuen Techniken nicht erschrocken zu begegnen, sondern Dinge geschickt zu kombinieren. Digitalisierung heißt auch nicht immer, dass plötzlich Roboter zum Einsatz kommen, sondern bedeutet zum Beispiel auch, dass man einen Modellbau-Ablauf besser strukturieren und Fehleranfälligkeiten verringern kann. Trotzdem ist ein Auto immer noch ein hochemotionales Produkt und ein physisches Modell deshalb nach wie vor extrem wichtig, um Formen und Flächen zu verstehen. Mit einem rein digitalen Modell ist das einfach nicht in dieser Form möglich.

Chapter Warum ist das so?

Andreas Feussner Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass Licht- und Schattenverhältnisse, wie wir sie in der realen Welt vorfinden, digital unglaublich schwer nachgestellt werden können. Um abschätzen zu können, wie das Fahrzeug unter realen Gegebenheiten wirkt, sind physische Modelle ein wichtiger Baustein im gesamten Prozess.

 

 

Chapter Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, das beschreibt, wie digitale Abläufe Ihrem Team die Arbeit erleichtert hat?

Andreas Feussner Durch Digitalisierung lassen sich Designprozesse gut verkürzen und es wird möglich, parallel an Lösungen zu arbeiten. Ein Beispiel: Bei unseren physischen Modellen wird jeder Abschnitt, den wir gestalterisch implementieren, eingescannt und dadurch auch ein älterer Status ganz einfach wieder abrufbar. Das rein händisch wieder herzustellen, wäre sehr viel aufwendiger.

Chapter Gibt es manchmal auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihrem Team und dem Designteam? Wenn es beispielsweise um die Realisierbarkeit eines Designs geht?

Andreas Feussner Das kommt natürlich vor, denn ein Fahrzeug ist ein mit Emotionen aufgeladenes Produkt, in das die Designer sehr viel Herzblut stecken. Da die Fahrzeuge in den Skizzen oft etwas überspitzt und abstrakter gezeichnet werden, sind sie manchmal nicht so leicht realisierbar. Da liegt es dann an uns, die goldene Mitte finden – zwischen der Produzier- und Realisierbarkeit und dem Wiedererkennungswert der Key-Skizze. Am Ende des Tages kommt es aber immer darauf an, gemeinsam einen guten Lösungsweg zu finden.

Chapter Welche Eigenschaften sollte man mitbringen, wenn man in Ihrem Beruf erfolgreich sein möchte?

Andreas Feussner Wichtig sind Leidenschaft und der Wille sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Clay Modelling ist kein Handwerk, das man in kurzer Zeit erlernen kann. Es gibt Rückschläge und manchmal auch Frustration. Das ist ein Teil des Weges. Da muss man dann geduldig sein und das Ziel gut im Auge behalten.

Chapter Ein gewisser Hang zum Perfektionismus ist mit Sicherheit auch von Vorteil …

Andreas Feussner Den sollte man definitiv mitbringen, weil man sich sehr präzise mit seinen Aufgaben auseinandersetzen muss. Das ist auch dadurch bedingt, dass Timings von Projekten oft kurz sind und Fehler den Zeitplan enorm durcheinanderbringen können. Perfekt ist am Ende trotzdem nichts, denn kleine Verbesserungen, auch wenn man sie nur selbst sieht (lacht), sind immer möglich.

Chapter Was war die größte Herausforderung, die Ihnen auf ihrem bisherigen Karriereweg begegnet ist?

Andreas Feussner Ganz klar: Clay Modelling zu lernen (lacht). Wir haben Kollegen aus Japan, die für drei Jahre zu uns kommen und hier mit uns arbeiten, die allesamt sehr talentierte Modelleure sind. Sie sind meistens unglaublich schnell und können wahnsinnig gut skizzieren. Wenn man das zum ersten Mal sieht, flößt einem das schon ordentlich Respekt sein. An deren Niveau heranzukommen, vor allem wenn man Quereinsteiger ist, erfordert sehr viel Übung und Disziplin.

Chapter Liegt das am hohen Stellenwert, den Clay Modelling in Japan hat?

Andreas Feussner Weil Clay Modelling bei Mazda so stark verankert ist, gibt es im Headquarter in Japan eine eigene Abteilung, die ausschließlich Clay Modelle anfertigt. Die Menschen, die dort arbeiten, sind also absolute Spezialisten auf ihrem Gebiet. Hier in Oberursel bedienen wir hingegen das gesamte Spektrum des Modellbaus. Wir haben eine eigene Metallwerkstatt, eine eigene Schreinerei, lackieren unsere Modelle selbst und kümmern uns teilweise auch um Color und Trim.

Chapter Ich habe gelesen, dass Sie gelernter Schreiner sind. Was mögen Sie an dem Werkstoff Holz besonders?

Andreas Feussner Den Duft, der bei der Bearbeitung entsteht. Wenn ich hier, in unserer eigenen Schreinerei, ein Holz bearbeite, fühle ich mich immer wie an meinen ersten Tagen in meinem damaligen Job. Ich schätze aber auch die Haptik von Holz und die Art, wie es sich bearbeiten lässt. Und seine Langlebigkeit.

Chapter Was konnten Sie aus Ihrem damaligen Job in Ihren jetzigen Beruf mitnehmen?

Andreas Feussner Wenn man als Schreiner etwas baut, muss man immer das fertige Produkt im Kopf haben. Man kann keine Schritte rückgängig machen, was man beim Modellieren mit Clay schon kann. Trotzdem ist es auch für unsere Arbeit wichtig, immer das fertige Produkt zu sehen und dahingehend alle Arbeitsabläufe zu planen und zu terminieren. Das kommt beispielsweise dann sehr stark zum Tragen, wenn man Interieurs in Originalgröße baut. Das ist eine unglaublich komplexe Arbeit, bei der man das Produkt unter der Oberfläche sehen und verstehen können muss.

 

 

Chapter Was ist für Sie gutes Handwerk?

Andreas Feussner Wenn ich mir das Produkt ansehe und erkenne, dass es mit Leidenschaft gemacht wurde. Ein Handwerker muss nicht nur ein guter Handwerker sein, sondern auch wissen, wie das Produkt am Ende aussehen soll. Und er muss sich im Klaren darüber sein, was für eine Wirkung das Stück haben soll. Innovation, Kreativität und Ideenreichtum sind jene Säulen, auf die es dabei ankommt.

Chapter Was ist für Sie der schönste Moment des gesamten Modellbau-Prozesses?

Andreas Feussner Wenn man sich das fertige Modell ansieht und das Fahrzeug aus der Skizze wiederkennt. Das sind jene Momente, die mich mit besonders viel Stolz erfüllen. Da fällt dann auch der ganze Stress von einem ab. Wenn die Designer dann auch noch zufrieden sind, ist der Glücksmoment perfekt.

Chapter Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr besonders?

Andreas Feussner Konkrete Projekte darf ich natürlich nicht verraten (lacht),  aber ich freue mich darauf, dass wir trotz all der Herausforderungen dieses Jahres mit unseren Projekten weitermachen und weiterhin sehr stark handwerklich arbeiten dürfen. Das ist auch in unserer Branche längst nicht mehr selbstverständlich. Ich finde es großartig, gute Modelleure zu haben, die Dinge schnell umsetzen können und rasch erkennen, ob Skizzen, die in 2D gezeichnet wurden, tatsächlich realisierbar sind. Außerdem freue ich mich darauf, mit unseren Concept Cars wieder auf Reisen gehen zu dürfen, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das ist eine schöne Abwechslung zum Alltag im Studio.