Bauhaus Wagen

Kann Autodesign vom Bauhaus lernen?

© Stellantis

TEXT LUTZ FÜGENER

Kann das Design heute noch vom Bauhaus lernen? Für alle anderen Sparten des Produkt- und Industriedesigns erscheint diese Frage rhetorisch. Im Falle des Automobildesigns jedoch nicht. Bis auf ein paar Ausnahmen gibt es keine nennenswerte Geschichte, in der Automobildesign und Bauhaus in einem Satz vorkämen. Woher kommt diese Aversion und wäre es an der Zeit sie aufzugeben?

Obwohl die Epoche der Moderne nun schon seit fast einem halben Jahrhundert Kulturgeschichte ist, wirken die Ideen und Arbeiten der Protagonist: innen des Bauhauses immer noch auf die gestalterische Praxis in den weiten Feldern der Architektur und all dem, das man unter den Begriffen Industrie- und Produktdesign zusammenfasst. Vor mehr als 100 Jahren begann man damit, gestalterische Lösungswege für die enormen Aufgaben zu ersinnen, die das Projekt der Industrialisierung der Welt jener Zeit stellte. Solange diese Industrialisierung in ihren Evolutionsstufen fortschreitet, sind die Bauhaus-Ansätze zumindest wert, sie immer mal wieder herzunehmen, um sie im konkreten Fall auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Für ein Befassen mit den Anforderungen der Digitalisierung war das Bauhaus zu früh, doch es leben auch im digitalen Zeitalter Menschen in Häusern und benützen physische Objekte. Und solange sich das nicht grundlegend ändert, verlieren diesbezügliche Ansätze wenig von ihrer Relevanz. So hat das Bauhaus nach wie vor das Potenzial, gestalterischen Konzepten und Leistungen Anleitung und Qualitätsmaßstab zu sein und — nun ja — ihnen intellektuellen Glanz zu verleihen. Denn die Verlockung ist groß, die starke Marke Bauhaus als stilistisch reproduzierbare Gestaltung zu verstehen und die Gestaltungen der heute noch modern wirkenden Artefakte auf neue Produkte zu projizieren.

 

© Thonet

 

Thonet,  Stahlrohr-Schreibtisch S 285, 1935

 

In der heutigen Epoche des Primates des Marketings ist eine so starke Marke wie das Bauhaus einfach eine zu große Verlockung. Den oft beschworenen Bauhausstil gibt es nicht; den Bauhaus-Code dagegen sicher. Manchem ist er tatsächlich zu mächtig! Der New-Yorker Architekturkritiker Mark Wigley fordert gar, die Welt von den Ideen des Bauhauses zu befreien. Er verdächtigt die Bauhäusler:innen der Absicht, einen perfekten Menschen (super human) angestrebt zu haben und vertritt die Ansicht, wir alle wären auch heute noch Opfer des Bauhauses und seines übergriffigen Optimierungsbemühens. Er spricht vom Bauhaus-Virus — in Post-Corona-Zeiten eine starke Metapher. Umso erstaunlicher ist es dann, dass der vermeintlich virale Bauhaus-Code in einem speziellen gestalterischen Arbeitsfeld kaum Einfluss entwickeln konnte — dem der Fahrzeuge. Automobildesign und Bauhaus verhalten sich wie unmischbare Flüssigkeiten. Zwar gibt es hin und wieder Bemühungen, diese zu verquirlen, doch bildet sich die Trennschicht immer wieder von selbst.

 

Fotografie Walter Gropius mit Selbstauslöser. Schenkung Originalabzug von Ati Gropius-Johansen an Helmut Erfurth am 04.12.2006

 

Walter und Ise Gropius mit ihrer gemeinsamen Freundin Lily  Hildebrandt:  Fotografiert von Walter Gropius mit Selbstauslöser während eines Autoausfluges mit ihrem neuen, in weiß ausgeführten Adler Standard 8 in Dessau, 1930.

 

Um dieses Abstoßungs-Phänomen zu erklären, muss man vermutlich verschiedene Ursachen ergründen. Eine erste, weil naheliegende: Fahrzeuge gehörten nicht zu den originären Arbeitsfeldern des Bauhauses während seiner aktiven Zeit zwischen den Weltkriegen, noch bevorzugte nur einer der danach über die Welt verteilten, ehemaligen Bauhäusler:innen dieses Thema in seinen aktiven Jahren danach. Wie für fast jede Regel gibt es jedoch auch hier Ausnahmen — wenn auch wenige. Erste war Walter Gropius’ Entwurfsarbeit für die vor dem Zweiten Weltkrieg bedeutende Frankfurter Automobilmarke Adler. Miteinander vertraut durch Gropius’ Entwurfsarbeit zum Erscheinungsbild der Marke setzte man die Zusammenarbeit durch den Entwurf von Sonderkarosserien für die Modelle Standard 6 und 8 fort — beides luxuriöse Modelle und so eher im Geiste eines Wilhelm Wagenfeld als eines Hannes Meyer entstanden. In Ästhetik und Detail schaffte Gropius durchaus Neues. Eine wie beim Cabrio Standard 8 wahlweise vorne oder hinten angeschlagene Fahrertür wäre auch heute noch ein Aufreger, die Idee der Liegesitze in der Limousine Standard 6 sind gar zum gängigen Ausstattungsmerkmal des Automobils geworden. Doch erlaubten die Grenzen des vom Hersteller vorgegebenen Handlungsrahmens es Gropius nicht, die Struktur des Automobils in der von ihm aus seiner Tätigkeit als Architekt bekannten Radikalität infrage zu stellen. Disruptive Ansätze zum Automobil der Zukunft kamen zu jener Zeit aus anderen Richtungen. Gropius selbst war offensichtlich mit den Ergebnissen dieser Kooperation zufrieden und bewegte bis zu seiner Emigration im Jahr 1932 eines der wenigen entstandenen Fahrzeuge — ein Adler Standard 8 Cabriolet — als seinen Privatwagen. Leider hat keines der wenigen verkauften Exemplare den folgenden Weltkrieg überdauert und es bleibt fraglich, ob sie anderenfalls heute zum physischen, aber mehr noch zum mentalen Bestand der Geschichte des Bauhauses gehörten und so das Thema Automobildesign für dieses in Anspruch genommen hätten. Wahrscheinlich nicht.

 

© Junkers-Sammlung Helmut Erfurth

 

Die Junkers G 38 (1929) war das größte Landflugzeug seiner Zeit und galt als ein Wunderwerk der Technik. Mit seiner Spannweite von rund 45 Metern, sowie einer Tragfläche von fast 300 Quadratmetern, lag das Flugzeug weit über den damals üblichen Proportionen und war in seinen Ausmaßen nur mit dem Wasserflugzeug Do X der Dornierwerke vergleichbar.

 

Spannend, weil wesentlich mehr verwoben mit den Aktivitäten und dem Habitus des Bauhauses, ist dessen Zusammenarbeit mit dem ebenfalls in Dessau ansässigen Flugzeugbauer Hugo Junkers. Dieser hatte seinen Schwerpunkt zwar nicht im Feld der Mobilität, war durch deren neue Erfordernisse jedoch thematisch geprägt. Der heute weltweit bekannte Claim »Form Follows Function« resultiert nicht zuletzt aus genau dieser hier umgesetzten Art des vernetzten Vorgehens von Design und technischer Entwicklung. Junkers benötigte für seine Pionierarbeit bei der Entwicklung von Passagierflugzeugen Innovatoren, die bereit und in der Lage waren, unabhängig von gängigen Konventionen zu agieren. Passagierluftfahrt war in den Zwanzigern selbstverständlich elitär und der luxusverwöhnten Oberschicht vorbehalten. Bei der Gestaltung der Inneneinrichtung der Flugzeuge standen die Anforderungen der Flugzeugentwickler an Leichtbau und Stabilität den gängigen Bildern einer luxuriösen Einrichtung diametral entgegen. Die im Bauhaus entworfenen und hergestellten, radikal neuen Aluminiummöbel schufen mit ihrem High-Tech-Design ein neues, modernes Bild einer hochwertigen Gestalt. Die kongeniale Zusammenarbeit von Junkers und Bauhaus wirkte nicht nur in die Möbelindustrie zurück und legte die Saat aus für ein heute weltweit wirksames Gegenbild zur Opulenz des traditionellen Luxus, das sich in beinahe allen Arbeitsfeldern des Designs zumindest als Alternative etablieren konnte — außer im Automobil. Hier sind bis heute zwei tradierte Vektoren zu beachten, um Luxus zu exerzieren: Performanz und massiver Prunk im weiteren Sinn. Gerne in Kombination.

 

© Junkers-Sammlung Helmut Erfurth

 

Eine von mehreren statisch und strömungstechnisch optimal gestalteten Junkers-Stahlbau-Brücken auf der Dessauer Autobahn-Weltrekordstrecke, die der Rennfahrer Rudolf Caracciola im Mercedes W 154 am Tag ihrer Einweihung im Jahr 1939 mit neuer Rekordzeit durchfuhr.

 

Als zweite Ursache gilt die grundsätzliche Gegensätzlichkeit der Ansätze des Bauhauses und des kontemporären Automobildesigns in der Mitte der Zwanziger des letzten Jahrhunderts. Während in Dessau Konzepte von sozialem Bauen, Wohnen und Leben ins Werk gesetzt wurden, unterwarf sich auf der anderen Seite des Atlantiks die noch junge Disziplin des Automobildesigns im Rahmen der Massenmotorisierung der USA den Gesetzen des Marketings. Nachdem GMChef Alfred P. Sloan durch eine einfache, aber wirksame Grundidee zur Nutzung der Möglichkeiten des Designs den bisher unangefochten marktbeherrschenden Henry Ford in nur vier Jahren auf die Plätze verwiesen hatte, schien die Gestaltung von Fahrzeugen allein dem Markterfolg verpflichtet. Zwar war man auch am Bauhaus gegenüber Kooperationen mit der Industrie offen und führte diese auch in kleinen und großen Projekten in großer Zahl aus, doch sah man sich als gleichberechtigten Partner und nie als Mittel der Gewinnmaximierung in einer Welt der Produkte. Aus heutiger Sicht könnte man der Automobilindustrie in den USA bescheinigen, ihrer Zeit weit voraus gewesen zu sein. Sie übersprang einfach die Epoche der Moderne und schuf das postmoderne Produkt bereits ein halbes Jahrhundert früher als der Rest der Welt. So wurde das Automobildesign zu einer Art Gegenentwurf der Moderne. Der nach dem zweiten Weltkrieg rapide wachsende Einfluss der USAutoindustrie und der damit einhergehende Export ihrer Denk- und Arbeitsweisen initiierte einen Wettkampf der gestalterischen Philosophien. Und je mehr die Märkte sich sättigten und auf den Märkten Verdrängungswettkämpfe tobten, desto größer wurde die Zahl der Überläufer. Man kann den Übergang von der Epoche der Moderne zur Postmoderne auch als Umkippen genau dieses Verhältnisses zugunsten der marktorientierten Ausrichtung des Designs à la Sloan verstehen.

 

© Stellantis

 

Fiat Panda, 1980-1984

 

Durchaus gibt es Automobile, deren Design sich in aller Konsequenz auf den Bauhaus-Code hätte berufen können: Der von Giorgio Giugiaro entworfene und 1980 erschienene Fiat Panda würde gar den strengen, sozial geprägten Ansprüchen eines Hannes Meyer standhalten. Die Randbedingungen für den Entwurf dieses italienischen Volksmobils waren denkbar eng — sogar die Anzahl der zur Herstellung der Karosserie zu verwendenden Schweißpunkte war vorgegeben und streng limitiert. Der Entwurf ist stringent, ökonomisch, ästhetisch beherrscht, modern und logisch und so als ein Superlativ des Automobildesigns sicher höher einzuschätzen als zahlreiche aus gleicher Feder stammender und natürlich spektakulärer Arbeiten à la ISO Grifo oder Bugatti EB 112. Bauhaus-Glanz benötigt ein Giorgio Giugiaro natürlich nicht — steht sein Name doch selbst für eine der stärksten Marken in der Geschichte des Automobildesigns. Inwieweit er vom Bauhaus beeindruckt oder beeinflusst war, ist nicht bekannt. Der Entwurf des Pandas mit seinem offensiven, für die Apologeten der automobilen Ästhetik beinahe vulgär wirkenden Pragmatismus bringt so manchen Kritiker in Nöte. Ein »Haushaltsgerät auf Rädern« oder ein dem Industriedesign zuzuordnender Entwurf sind gängige Interpretationen zur Auflösung des inneren Konflikts. Man steckt den Panda einfach in eine andere Schublade, und die Welt ist wieder in Ordnung.

© BRAUN P&G / Braun Archive Kronberg

 

Exporter 2 — tragbares Radio entworfen von Otl Aicher für BRAUN, 1956.

 

Der Riss geht dabei auch durch die Fronten. Im Jahr 1984 veröffentlichte der bedeutende deutsche Grafikdesigner Otl Aicher — selbst fraglos einer klassisch-modernen Bauhaus-Tradition verpflichteten Ulmer Schule angehörend — ein Buch mit dem Titel »Kritik am Auto. Schwierige Verteidigung des Automobils gegen seine Anbeter«. Heute liest sich das Buch phasenweise wie eine Selbsttherapie, die archetypisch für den inneren Konflikt der Protagonist:innen der Moderne im Design, aber auch für den heutigen Diskurs zum Thema Auto ist. So treffend man auf rationaler und analytischer Ebene die Fehlentwicklung am kontemporären Automobil als Verkehrsmittel formulierte, so sehr war man doch emotional dem Reiz des Sujets erlegen und musste sich zu den »Anbetern« zählen lassen. Aicher feiert den kompakten Fiat Uno und wirft — selbst begeisterter Sportwagenfahrer — dem 911er von Porsche sein »Styling« vor — in Kreisen der Modernist:innen ein Kampfbegriff für Konzeptarmut und Oberflächlichkeit. Jedoch markiert seine ebenfalls kritische Einschätzung »er fährt auch, wenn er steht«, aus heutiger Sicht nicht weniger als eine fast selbstverständliche Minimalanforderung des kontemporären Designs von Automobilen.

Es spräche nichts gegen ein Bekenntnis zum Bauhaus im Automobildesign — nicht als universelle Formel, aber als vorformulierter Anspruch an funktionelle Innovation und ästhetische Klarheit. Der anderorts hin und wieder überstrapazierte Bauhaus-Code kann für das Automobil der Zukunft eine Inspiration von unberührtem Reiz sein. Es käme auf einen Versuch an. Mr. Wigley müsste dann wohl die Bahn nehmen, um vom Bauhaus-Virus verschont zu bleiben.

ARTIKEL ERSTMALS VERÖFFENTLICHT IN CHAPTER №VIII »ELEMENTS« – SOMMEr 2023